Verhandlungen zum TTIP-Abkommen: Gabriel sieht schwarz
Das Wirtschaftsministerium zieht eine desolate Bilanz der TTIP-Verhandlungen. Die Kanzlerin pocht dennoch auf einen schnellen Abschluss.

Bundesregierung, EU-Kommission und US-Präsident Barack Obama hatten bisher stets wiederholt, dass sie das Abkommen bis Ende des Jahres zu Ende verhandeln wollen. Das allerdings scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.
„Bisher gibt es in keinem der 27 bis 30 Kapitel, die das TTIP-Abkommen am Ende umfassen könnte, eine Verständigung in der Sache“, heißt es in dem 25-seitigen Papier des Bundeswirtschaftsministerium, das der taz vorliegt.
Darüber könnte es nun zum Streit in der Koalition kommen: Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ in Berlin durch eine Sprecherin ausrichten, sie halte an einem „zügigen Abschluss des Abkommens“ fest – was so viel heißen soll wie: Der Wirtschaftsminister soll hier mal nicht die Regierungslinie verlassen. Gabriel wiederum ließ durchblicken, dass das Papier aus seinem Ministerium seine Meinung wiedergebe.
Am Tag zuvor zitierte das Handelsblatt exklusiv aus dem Gutachten und anonym einen Regierungsvertreter mit den Worten: „Merkels Zeitplan hat keine Basis. Was die Kanzlerin der Öffentlichkeit präsentiert, ist von grober Unkenntnis geprägt.“ Offenbar eine gezielt über die Zeitung lancierte Kampfansage Gabriels an Merkel, um beim in der Bevölkerung ungeliebten Thema Freihandel Boden gutzumachen.
„Einigungschancen gering“
In dem Papier selbst sind die strittigen Punkte in seltener Offenheit aufgelistet. Washington hält etwa an der „Buy American“-Klausel fest, dass bei öffentlichen Aufträgen inländische Firmen bevorzugt werden. Die EU-Kommission fordert dagegen einen Marktzugang für Firmen aus Europa. Fazit: „Einigungschancen gering.“
Ein weiterer Punkt ist, dass zwar beide Seiten eine Kooperation von Behörden wollen, wenn es um Regularien für die Wirtschaft geht. Die EU allerdings mit dem Ziel, die Schutzstandards für die Bürger hoch zu halten, die USA vorrangig, um Handelshemmnisse abzubauen. Fazit: „Grundlegende Fragen offen.“
Überhaupt keine Einigung gibt es auch über den umstrittenen Investitionsschutz für die Wirtschaft – hier lehnen die USA ordentliche Handelsgerichte statt geheimer Schiedsgerichte schlicht ab.
Für den SPD-Bundestagsabgeordneten und TTIP-Berichterstatter Dirk Wiese ist klar, dass die Verhandlungen in diesem Jahr nicht mehr abzuschließen sind. „Mein Vorschlag wäre, die Verhandlungen einzufrieren und dann mit einer neuen US-Regierung, hoffentlich unter Clinton, im nächsten Jahr mit einem veränderten Verhandlungsmandat und transparent neu zu beginnen“, sagt er der taz.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen