Verhandlungen in Berlin: Treffen sich ein Amerikaner, ein Russe und ein Ukrainer…
Klingt wie ein Witz, aber ist bitterernst: Der US-Sonderbeauftragte Steve Witkoff, russischer Unterhändler, Selenskyj und EU-Regierungschefs verhandeln in Deutschland über die Ukraine.
Europa bemüht sich weiterhin, einen Fuß in die Verhandlungen über das Schicksal der Ukraine zu bekommen. Auf Einladung von Bundeskanzler Friedrich Merz reiste der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Sonntag nach Berlin, wo für Montag ein Treffen mit mehreren europäischen Staatschef:innen sowie den Spitzen von EU und Nato geplant ist.
Noch vor seiner Ankunft sagte Selenskyj vor Presse: „Die gerechteste mögliche Option ist, stehenzubleiben, wo wir sind.“ Er fügte hinzu: „Es handelt sich um einen Waffenstillstand: Die Parteien bleiben auf ihren Stellungen und versuchen anschließend, alle gemeinsamen Probleme auf diplomatischem Wege zu lösen.“ Selenskyj wisse, dass Russland dies „nicht positiv“ sehe. Er wünsche sich, „dass die Amerikaner uns in dieser Frage unterstützen“.
Der ukrainische Präsident unterstrich die Bedeutung glaubhafter Sicherheitsgarantien für sein Land. Die „bilateralen Sicherheitsgespräche“ sähen einen Mechanismus vor, der an die Beistandsklausel in Artikel 5 des Nato-Vertrags angelehnt sei. Und dies, ohne dass die Ukraine der Nato beitreten würde. Dies sei „bereits ein Kompromiss unsererseits“, so Selenskyj.
Selenskyj ist Insidern zufolge am Sonntag im Kanzleramt mit den US-Unterhändlern Steve Witkoff und Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner zusammengekommen. Bundeskanzler Friedrich Merz habe die drei sowie den ukrainischen Unterhändler Rustem Umerow persönlich begrüßt und sich daraufhin zunächst zurückgezogen.
Vor gut drei Wochen hatten die USA einen 28-Punkte-Plan vorgelegt, der Russlands Forderungen weitgehend entgegenkam. Dieser ursprüngliche Plan ist auf Drängen der Europäer und der Ukraine inzwischen überarbeitet und auf 20 Punkte eingedampft worden. Zwei zentrale Fragen sind aber nach wie vor offen: Welche Gebiete muss die Ukraine abtreten und welche Garantien bekommt sie für ihre Sicherheit?
Russische Vermögen sollen Überleben der Ukraine sichern
Ein entscheidendes Pfand sollen nach Vorstellung des deutschen Bundeskanzlers die in Europa eingefrorenen russischen Vermögen sein, die als Sicherheit für zinsfreie Kredite an die Ukraine dienen sollen. Es geht um bis zu 200 Milliarden Euro, die das militärische und wirtschaftliche Überleben der Ukraine in den nächsten drei Jahren sichern sollen.
Merz lancierte einen Gastbeitrag mit einem entsprechenden Vorschlag bereits Ende September in der Financial Times und griff dabei einen zuvor verschickten Vorschlag der EU-Kommission für ein Reparationsdarlehen auf. Nun erhöht er zusammen mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Druck auf die Europäer im Allgemeinen und auf Belgien, wo die Vermögen liegen, im Besonderen.
Es gehe um eine zentrale Überlebensfrage für die Ukraine, aber auch um die europäische Souveränität, heißt es aus europäischen diplomatischen Kreisen. Die Entscheidung über diese Mittel sei auch eine über Europa und seine Handlungsfähigkeit.
Einigung auf EU-Gipfel
Damit hängt die Latte sehr hoch. Der Druck bleibt groß: Nicht nur der Ukraine, sondern auch vielen europäischen Unterstützern geht nach fast vier Jahren Krieg das Geld aus. Das Ziel Russlands, ein Kollaps der Ukraine, rückt also näher. Mit den russischen Zentralbankguthaben als Sicherheit würde die Ukraine Zeit gewinnen und die Mittel, militärisch aufzurüsten.
Eine Alternative zum sogenannten Reparationsdarlehen sind europäische Staatsanleihen, Eurobonds genannt. Doch hier bremst vor allem Deutschland, weil alle EU-Länder gemeinsam und gemäß ihrer Wirtschaftskraft haften. Deutschland als mit Abstand größte Volkswirtschaft müsste etwa ein Viertel übernehmen und fürchtet, wie bereits in der Vergangenheit, eine Transferunion. Eurobonds seien keine Option, heißt es deshalb immer wieder aus Regierungskreisen.
Auf dem EU-Gipfel am Donnerstag soll eine Einigung her. Falls das nicht klappt, sei Europa gescheitert, heißt es aus europäischen Kreisen.
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