Verhaftungen in der Türkei: Berlin verurteilt Festnahme von İmamoğlu
Die Bundesregierung kritisiert Erdogans Vorgehen als „schweren Rückschlag für die Demokratie“. Oppositionelle CHP ruft zu landesweiten Protesten auf.

Inhaltsverzeichnis
- Frankreich verurteilt Festnahme von Istanbuler Bürgermeister
- Deutsche Politiker verurteilen parteiübergreifend Festnahme Imamoglus
- Wegner kritisiert Verhaftung seines Istanbuler Amtskollegen
- Studenten protestieren nach Festnahme von Erdogan-Kontrahenten
- Ehefrau von festgenommenem Imamoglu übt Kritik an türkischer Regierung
- Bundesregierung fordert „Achtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien“
- Partei İmamoğlus ruft Türken zu landesweiten Protesten auf
- Klingbeil: Festnahme ist Angriff auf Demokratie in der Türkei
- Verhaftung von Erdoğan-Kontrahenten erschüttert türkische Finanzmärkte
- Online-Medien nach İmamoğlus Festnahme eingeschränkt
- Straßen in Istanbul nach İmamoğlus Festnahme gesperrt
Frankreich verurteilt Festnahme von Istanbuler Bürgermeister
Frankreich hat die Festnahme des prominenten türkischen Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu in Istanbul verurteilt. Diese könne „schwere Folgen für die türkische Demokratie haben“, sagte ein Sprecher des französischen Außenministeriums am Mittwoch in Paris. Es sei „wichtig, dass die Türkei die internationalen Verpflichtungen einhält, die sie freiwillig übernommen hat, insbesondere als Mitgliedstaat des Europarats“, betonte der Sprecher. (afp)
Deutsche Politiker verurteilen parteiübergreifend Festnahme Imamoglus
Deutsche Politikerinnen und Politiker haben parteiübergreifend die Festnahme des prominenten türkischen Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu und zahlreicher weiterer Menschen in der Türkei verurteilt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fürchte sich vor „starken Konkurrenten wie Imamoglu, die für Freiheit und eine pluralistische Gesellschaft stehen“, sagte der Grünen-Politiker Cem Özdemir, dessen Familie selbst türkische Wurzeln hat, dem „Spiegel“. „Erdogan hat Angst vor Wahlen, selbst wenn es unfaire Wahlen sind“, sagte der Bundeslandwirtschafts und -forschungsminister weiter. Der Istanbuler Bürgermeister Imamoglu sollte in den kommenden Tagen als Präsidentschaftskandidat der oppositionellen CHP in der Türkei nominiert werden. Erdogan reagiere darauf nach dem „Autokraten-Drehbuch“, sagte Özdemir: „Wer ihm gefährlich werden kann, kommt ins Gefängnis.“
„Die Festnahme von Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu ist ein schwerer Angriff auf die Demokratie in der Türkei“, erklärte SPD-Chef Lars Klingbeil in Berlin. Er wies darauf hin, dass Imamoglu zuvor bereits sein Universitätsabschluss aberkannt worden sei. „Der Versuch, ihn aus dem politischen Wettbewerb auszuschalten, ist unübersehbar“, erklärte Klingbeil dazu weiter. Der SPD-Chef forderte die sofortige Freilassung des Politikers. Er betonte die Solidarität der SPD mit „Imamoglu, unserer Schwesterpartei CHP und allen heute Festgenommenen.“ Er stellte klar: „Politische Willkür darf nicht die Zukunft der Türkei bestimmen.“ Mit ihrem Vorgehen zeige die türkische Regierung, „dass sie keine fairen Wahlen und keinen unabhängigen Rechtsstaat mehr will“.
Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt nannte die Festnahmen „eine weitere Eskalation des Kampfes Erdogans gegen die Opposition“. Nun werde die türkische Justiz sogar „gegen führende Repräsentanten mit breitem Rückhalt in der Bevölkerung instrumentalisiert“, sagte Hardt ebenfalls dem „Spiegel“. Er hoffe „auf eine pluralistische und demokratische Türkei als enger Partner Deutschlands und der EU“, betonte der CDU-Politiker, doch „die aktuelle Entwicklung spricht leider dagegen“. Die CDU-Verteidigungspolitikerin Serap Güler, deren Eltern einst als sogenannte Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland kamen, nannte die Festnahme von Imamoglu eine Art Staatsstreich. Die Maßnahmen der türkischen Führung „wirken wie ein Staatsstreich, um ernsthafte Konkurrenten aus dem Weg zu räumen“, sagte sie. „Alle Ebenen in der Türkei sind jetzt gefordert, die Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten“, forderte Güler im „Spiegel“ weiter.
„Freie Wahlen und ein fairer Wettbewerb um das türkische Präsidialamt wurden heute angegriffen“, erklärte der Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, Max Lucks (Grüne), in Berlin. Auch Lucks, der Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages ist, wertete die Festnahme Imamoglus als Versuch Erdogans, seinen schärfsten Konkurrenten auszuschalten. „Jeder Angriff auf die Demokratie in der Türkei ist auch ein Angriff auf die deutsch-türkischen Beziehungen“, warnte der Grünen-Politiker weiter. Lucks wies auch darauf hin, dass damit ein System von Einschüchterungsversuchen durch eine „politisierte Justiz“ fortgesetzt werde, das in der Türkei schon länger aus stark von Kurdinnen und Kurden bewohnten Provinzen bekannt sei. Der Grünen-Politiker erinnerte an „Bilder von Polizisten, die die Häuser von demokratisch gewählten Bürgermeistern und Kommunalpolitikern umstellen“. Dass dabei „die Staatsgewalt für die eigenen Wahlergebnisse perfide eingesetzt wird, ist der eigentliche Missbrauch“, fügte er hinzu. (afp)
Wegner kritisiert Verhaftung seines Istanbuler Amtskollegen
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner zeigt sich erschüttert über die Verhaftung seines Istanbuler Amtskollegen Ekrem Imamoglu. „Mit Bestürzung und großer Sorge habe ich die Nachrichten aus unserer Partnerstadt Istanbul zur Kenntnis genommen“, erklärte der CDU-Politiker auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. „Freie Wahlen und eine unabhängige Justiz sind Grundpfeiler für die Demokratie. Berlin fühlt sich seiner langjährigen Partnerschaft mit Istanbul verbunden und verpflichtet“, so Wegner. „Solidarität mit Ekrem Imamoglu.“ Wegner plant im April eine Reise in die Partnerstadt Istanbul und will dort auch Imamoglu treffen. „Wir beobachten die Entwicklungen in Istanbul aufmerksam“, sagte eine Senatssprecherin dazu. „Sollte Imamoglu länger inhaftiert bleiben, wird der Regierende Bürgermeister die Reise absagen.“ Erst im Juni 2024 war Imamoglu in Berlin und hatte Wegner im Roten Rathaus besucht. (dpa)
Studenten protestieren nach Festnahme von Erdogan-Kontrahenten
Studierende haben in Istanbul trotz eines Demonstrationsverbots mit Protesten auf die Festnahme des Bürgermeisters Ekrem Imamoglu reagiert. Im Stadtteil Fatih versammelten sich Studierende in der Nähe der dortigen Istanbul-Universität, wie mehrere Medien berichteten. Das Nachrichtenportal „Birgün“ schrieb, die Polizei habe sich den Protestierenden in den Weg gestellt. Es teilte ein Video, auf dem zu sehen war, wie eine große Gruppe von Menschen eine Polizeibarrikade durchbrach. Andere Medien berichteten, es sei Tränengas eingesetzt worden. Die Istanbul-Universität hatte Imamoglu erst am Dienstag seinen Abschluss aberkannt und sich auf einen unrechtmäßigen Universitätswechsel vor rund 30 Jahren berufen. In der Türkei ist ein Universitätsabschluss Voraussetzung für eine Kandidatur als Präsident. Die Aberkennung ist laut Imamoglus Anwalt erst ein Hindernis für seine Kandidatur, wenn alle Rechtswege gegen die Entscheidung ausgeschöpft sind. (dpa)
Ehefrau von festgenommenem Imamoglu übt Kritik an türkischer Regierung
Die Frau des festgenommenen Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu sieht die Regierung von Recep Tayyip Erdogan als Verantwortliche für das Vorgehen gegen ihren Mann. Der wahre Grund für seine Festnahme sei, dass er seine Herausforderer an der Wahlurne besiegt habe, sagte Dilek Imamoglu in einer Videobotschaft. „Diejenigen, die bei der nächsten Wahl nicht verlieren wollen, haben diesen seit langem geplanten Schritt getan und dabei die Demokratie mit Füßen getreten“, sagte sie weiter. Imamoglus Sieg in Istanbul 2019 gilt als bis dahin größte Niederlage der AK-Partei von Erdogan. 2024 gewann er Istanbul erneut. (dpa)
Bundesregierung fordert „Achtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien“
Die Bundesregierung hat die Festnahme des prominenten türkischen Oppositionspolitikers Ekrem İmamoğlu in Istanbul scharf verurteilt. Dies sei „ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in dem Land am Bosporus“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Mittwoch in Berlin. İmamoğlu ist Bürgermeister von Istanbul und designierter Präsidentschaftskandidat der Oppositionspartei CHP. Die Festnahme „reiht sich ein in eine Serie erhöhten juristischen Drucks“ gegen İmamoğlu, kritisierte der Außenamtssprecher weiter. Er betonte, für die Bundesregierung seien „die Achtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien Grundbedingungen für eine funktionierende Demokratie“. Diese Haltung der Bundesregierung werde „in angemessener Weise gegenüber unseren türkischen Ansprechpartnern adressiert werden“. Zu Details äußerte sich der Sprecher nicht.
Neben İmamoğlu waren auch zahlreiche weitere Menschen am Morgen in der Türkei festgenommen worden. „Die jüngsten Verhaftungen werfen dementsprechend ein zutiefst beunruhigendes Licht auf die Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundprinzipien in der Türkei, zu denen sie sich als EU-Beitrittskandidat, aber eben auch als Mitglied des Europarats verpflichtet hat“, sagte der Außenamtssprecher dazu weiter. Er betonte auch: „Die Menschen in der Türkei haben ein Recht auf demokratisch legitimierte Volksvertreterinnen und Volksvertreter, und das ist Herr İmamoğlu ja zweifellos.“ (afp)
Partei İmamoğlus ruft Türken zu landesweiten Protesten auf
Nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters und führenden Oppositionspolitikers Ekrem İmamoğlu hat seine Partei zu landesweiten Protesten aufgerufen. Menschen sollten um 12.00 Uhr MEZ (Ortszeit 14 Uhr) vor Einrichtungen der sozialdemokratischen CHP im ganzen Land zusammenkommen, teilte die Partei mit. Für Istanbul gelte das nicht, sagte der CHP-Politiker Özgür Celik. Das Gouverneursamt hatte zuvor ein mehrtägiges Demonstrationsverbot für die Metropole verhängt. İmamoğlu war am Morgen, wenige Tage vor seiner geplanten Wahl zum Präsidentschaftskandidaten der größten Oppositionspartei in der Türkei, festgenommen worden. Seine Partei spricht von einem „zivilen Putsch“, mit dem die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan einen politischen Gegner ausschalten will. (dpa)
Klingbeil: Festnahme ist Angriff auf Demokratie in der Türkei
SPD-Chef Lars Klingbeil bezeichnet die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu am Mittwoch als „schweren Angriff“ auf die Demokratie in der Türkei. Klingbeil sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Bereits gestern wurde ihm sein Universitätsabschluss aberkannt. Der Versuch, ihn aus dem politischen Wettbewerb auszuschalten, ist unübersehbar. Die türkische Regierung zeigt damit, dass sie keine fairen Wahlen und keinen unabhängigen Rechtsstaat mehr will. Das Vorgehen ist unverhältnismäßig und zerstört Vertrauen und Glaubwürdigkeit mit dramatischen Folgen für das ganze Land.“ Klingbeil sagte weiter, seine Solidarität und die der gesamten SPD gelte İmamoğlu, der Schwesterpartei CHP und allen heute Festgenommenen. „Sie müssen sofort freigelassen werden. Politische Willkür darf nicht die Zukunft der Türkei bestimmen.“ (dpa)
Verhaftung von Erdoğan-Kontrahenten erschüttert türkische Finanzmärkte
In der Türkei hat der Haftbefehl gegen einen wichtigen Kontrahenten von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan am Mittwoch die Finanzmärkte erschüttert. Die Landeswährung Lira sackte zum US-Dollar auf ein Rekordtief ab, der Aktienmarkt brach ein und am Anleihenmarkt zogen die Renditen deutlich an. Wenige Tage vor seiner geplanten Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten wurde Haftbefehl gegen den Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu erlassen. Ihm werde unter anderem die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation und Korruption vorgeworfen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft. Damit erschüttert wieder einmal eine politische Krise das Vertrauen der Anleger in den türkischen Finanzmarkt. Zwischenzeitlich mussten mehr als 40 Lira für einen Dollar gezahlt werden. An der Börse in Istanbul brach der Leitindex Borsa Instanbul 100 um fast 7 Prozent ein. Zuletzt stand noch ein Minus von 4,6 Prozent zu Buche. Auch am Anleihenmarkt gingen die Kurse auf Talfahrt.
„Türkische Vermögenswerte stehen unter starkem Verkaufsdruck“, sagte Piotr Matys, Währungs-Analyst bei In Touch Capital Markets. Einigen Anlegern werde nun erneut in Erinnerung gerufen, dass Präsident Erdoğan seine Macht noch mehr festigen will. Erdoğan versuche mit diesem Schritt, seinen größten politischen Rivalen daran zu hindern, bei den für 2028 anstehenden Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Besser als erwartet ausgefallene Inflationswerte im Februar, eine Leitzinssenkung und die Hoffnung auf engere Beziehungen zur Europäischen Union hatten dazu beigetragen, dass türkische Aktien Anfang des Monats noch stark gestiegen waren. Durch den Kursrutsch am Mittwoch ist dieses Kursplus jetzt deutlich geschrumpft. (dpa)
Online-Medien nach İmamoğlus Festnahme eingeschränkt
Nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters und führenden türkischen Oppositionspolitikers Ekrem İmamoğlu sind laut Berichten mehrere soziale Netzwerke sowie Kurznachrichtendienste nur eingeschränkt nutzbar. Viele Türken beschrieben Drosselungen und Beschränkungen unter anderem auf X, Youtube, Instagram, Tiktok, Whatsapp, Signal, Telegram und weitere Diensten.
İmamoğlu war am Morgen festgenommen worden; ihm werden von der Justiz Korruption und auch Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgeworfen. Er gilt als aussichtsreichster Herausforderer des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und sollte am Sonntag von seiner Partei als Präsidentschaftskandidat aufgestellt werden. In der Türkei wurden schon oft Bürgermeister, gegen die Terrorermittlungen laufen, durch regierungsnahe Zwangsverwalter ersetzt. (dpa)
Straßen in Istanbul nach İmamoğlus Festnahme gesperrt
Nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters und Oppositionspolitikers Ekrem İmamoğlu sind in der Millionenmetropole mehrere Straßen gesperrt worden. Vier Tage lang bleiben laut dem Gouverneursamt in der Innenstadt ausgewählte Straßen gesperrt, zudem werden mehrere Bahnstationen geschlossen. Auch seien alle Arten von Versammlungen und Demonstrationen bis zum 23. März verboten, „um die öffentliche Ordnung in der gesamten Provinz aufrechtzuerhalten und mögliche Provokationen zu verhindern“. İmamoğlu war am Morgen, wenige Tage vor seiner geplanten Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten der größten Oppositionspartei in der Türkei, festgenommen worden. Seine Partei CHP sprach von einem versuchten Staatsstreich. (dpa)
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