Verhältnis zwischen Polizei und taz: Als der Schlagstock regierte
Berlins Polizei versuchte, die Arbeit der taz zu behindern. Erst unter Rot-Rot setzt sie auf Dialog. Die Geschichte einer 40-jährigen Annäherung.
Der Kommentar von Johann Legner endet so: „Unfair, wie taz-Menschen nun mal gegenüber Polizeiaktionen sind, bleibt nichts anderes übrig, als zu konstatieren, dass die Pressestelle der Polizei selbst schuld daran ist, wenn wir in Zukunft noch misstrauischer sind gegen die Polizei.“
Das Verhältnis der taz zur Polizei ist von Abneigung, um nicht zu sagen von Feindschaft geprägt. Aus der Geschichte und den Gewalterfahrungen heraus, die die Linke mit dem Repressionsapparat gemacht hat, haben wir dazu allen Grund. Und: Wir dürfen ein Feindbild haben, für uns gilt die Pressefreiheit. Wir dürfen Partei sein, die Polizei darf es nicht. Gegen diese Neutralitätspflicht hat sie jahrzehntelang immer wieder verstoßen. Das ist belegt.
Am 12. September 1984 entscheidet das Berliner Verwaltungsgericht, dass Klaus Hübner, von 1969 bis 1987 Polizeipräsident von Westberlin, die taz zu seiner Mittwochsrunde einladen muss. So heißen die Hintergrundgespräche, bei denen uns der Sozialdemokrat nicht dabeihaben will.
hat den Berlinteil mitgegründet. Die Polizei gehört seit Ende der 90ern zu ihren Schwerpunktthemen.
Die taz-Anwälte Christian Ströbele und Johannes Eisenberg hatten gegen die wechselnden Begründungen des Polizeipräsidenten immer wieder Beschwerde eingelegt. Jahrelang. Bis das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit beendet: Die Mittwochsrunde sei keine private Plauderei des Polizeipräsidenten, sondern ein Informationsgespräch, zu dem die Presse gleichermaßen Zutritt haben müsse.
Hübner ist ein schlechter Verlierer. Er beschimpft die taz als Sprachrohr einer Szene, die sich dem „Kampf gegen die Schweinegesellschaft“ verschrieben habe. Dann stellt er die Mittwochsrunden kurzerhand ein.
Es ist bereits Hübners zweite Niederlage gegen die taz. Ein Jahr zuvor hatte das Kammergericht entschieden, dass das Wort „Bulle“ nicht mehr automatisch eine Beleidigung ist. Die Redaktion verwendet den Begriff nur sparsam; die Leserbriefschreiber sind weniger zimperlich. Gegen die presserechtlich Verantwortlichen der taz hagelt es Strafanzeigen der Polizeibehörde wegen Beleidigung. Nach dem Schöffengericht folgt nun auch das Kammergericht der Argumentation der taz-Anwälte: Der Begriff „Bulle“ werde in der Regel ohne Hintergedanken verwendet. Schließlich würden sich Polizisten selbst Bullen nennen, es gebe Bullenorden und ein Bullenballett.
Die 80er Jahre waren eine Zeit der auch physisch harten Auseinandersetzungen zwischen linker Szene und Polizei. Es gibt keine auf Festnahmen spezialisierten polizeilichen Greiftrupps und keine Dokumentationseinheiten; Deeskalation ist ein Fremdwort, der Schlagstock regiert. Auf Demonstrationen und bei Protesten kommt es zu unzähligen Festnahmen und Verletzten, auch taz-Redakteur Benny Härlin wird von einem Polizisten der Arm zertrümmert.
Zeugengesuche und Kommandoerklärungen
Auf der Kleinanzeigenseite „Berliner Wiese“ publiziert die taz Zeugengesuche. Wir veröffentlichen Lagepläne, wie man der Polizei durch Hinterhöfe entkommen kann, drucken Kommandoerklärungen ab. Wiederholt rückt der Staatsschutz zur Durchsuchung der taz an. Respekt vor dem Redaktionsgeheimnis? Bei der Berliner Polizei nicht vorhanden.
Beispiele für weitere offene Rechtswidrigkeiten gibt es zuhauf. Etwa am 6. Juni 1987: Ronald Reagan besucht Westberlin zum zweiten Mal. Der Bezirk Kreuzberg ist über Stunden von der Außenwelt abgeriegelt. „Polizeistaat ist, wenn polizeiliche Machtausübung keine Beschränkung mehr durch rechtsstaatliche Institutionen findet. Kein Betroffener fand einen Richter“, schreibt die taz.
Oder am 28. September 1988: Während der Tagung von IWF und Weltbank, zu der rund 12.000 Banker nach Berlin kommen, gleicht die Stadt einer Polizeifestung. Hunderte Demonstranten wandern in Vorbeugehaft, Journalisten werden eingekesselt. „Am Tatort muss die Pressefreiheit schon mal zurücktreten“ – dieser Satz des damaligen CDU-Innensenators Wilhelm Kewenig ist legendär. Linse zugehalten, Kamera zerstört: Nicht nur taz-Fotografen ergeht das so. Wir schreiben: „Wieder ist Journalisten von vermummten Polizisten die Fresse poliert worden.“
Die Behörde wird umgekrempelt
Bis in die 90er Jahre ändert sich wenig am schlechten Verhältnis zwischen taz und Polizei. Eigentlich kommt erst mit der rot-roten Landesregierung die Wende. SPD-Innensenator Ehrhart Körting holt Dieter Glietsch 2002 als Polizeipräsidenten aus Nordrhein-Westfalen an die Spree. Der krempelt die Behörde um.
Ein auf Dialog, Deeskalation und Kooperation ausgerichteter Geist hält langsam Einzug. Dazu gehört auch, Fehler öffentlich einzugestehen. Er verstehe die Presse als kritischen Begleiter; in diesem Sinne „wollen wir sie auch unterstützen“, sagt Glietsch. 2011 setzt er gegen erhebliche Widerstände in der Behörde die Kennzeichnungspflicht durch – eine alte Forderung der Bürgerrechtsbewegung ist damit erfüllt.
Über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg begegnen sich Polizei und taz nun mit Respekt. Die taz berichtet weiterhin über fast alles, was die Polizei betrifft: von Todesschüssen über Strukturreformen bis hin zu Ausrüstungsfragen. Mit Otto Diederichs, der mehr als 20 Jahre für uns schreibt, verfügen wir über einen Autor mit großem Insiderwissen. Diederichs ist gleichzeitig Herausgeber des Informationsdienstes Bürgerrechte und Polizei/Cilip.
Im April 2018 bekommt Berlin erstmals eine Polizeipräsidentin. Kritik in der Polizeibehörde müsse „hierarchieunabhängig“ möglich sein, sagt Barbara Slowik bei ihrem Amtsantritt. Zwei Jahre später dominiert das Thema Rechtsextremismus in der Polizei die Schlagzeilen. Auch in Berlin scheinen sich die Vorfälle zu mehren.
Neu ist das Phänomen allerdings nicht: Bereits am 11. März 1995 hatte taz-Autor Diederichs beklagt, dass es deutschlandweit keine seriösen Untersuchungen zum Thema Fremdenfeindlichkeit und Rechtstendenzen in der Polizei gibt und dass die Vorfälle von den politisch Verantwortlichen stets als Einzelfälle abgetan würden. Diederichs erklärte sich das so: „Es ist der Korpsgeist, der die Aufdeckung von Straftaten so schwierig macht.“
Bis heute ist das so. Der Zusammenhalt in den Reihen der Polizei ist im Zweifel größer als Verfassungstreue und Rechtsstaatlichkeit. Auch vor der Justiz macht dieser Korpsgeist nicht halt: Staatsanwaltschaft und Gerichte schlagen sich tendenziell eher auf die Seite der beschuldigten Polizisten. Die große Mehrheit der Verfahren wird eingestellt.
Auch das ist unverändert: Bei Einsätzen gegen die linksradikale Szene lässt sich die Polizei nicht in die Karten gucken. Während der Räumung der Neuköllner Kiezkneipe Syndikat vor wenigen Wochen oder dem Hausprojekt Liebig34 wird sich Journalisten in den Weg gestellt, ist der Presseausweis nichts wert. Oder es werden wie bei der Räumung des Szeneladens Friedel54 Fake News verbreitet: Ein Türknauf sei unter Strom gesetzt worden, um die Räumung zu verhindern, erklärte die Polizei damals. Alles schon mal gehabt. 1990 nach der Räumung der Häuser in der Mainzer Straße in Friedrichshain hatte die Polizei eine Gallone auf dem Dach zum Supermolli stilisiert. In Wirklichkeit war es gegorener Apfelsaft.
Was die Berliner Einheiten heute deutlich von früher unterscheidet, ist, dass sie auch bei schwierigsten Versammlungslagen imstande sind, die Ruhe zu bewahren. Andere Polizeien im Bundesgebiet könnten sich davon eine Scheibe abschneiden. Man kann sie ja auch mal loben, die Hauptstadtbullen.
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