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AnalyseVergnügter Europäer

■ Der Kandidat Schröder hinterläßt in Frankreich reichlich gemischte Gefühle

Seit Gerhard Schröder als Campaigner durch Europa tourt, hat sich sein Name auch in Frankreich herumgesprochen. Selbst das dazugehörige breite Gesicht prägt sich allmählich ein. Aber was sich hinter dem Grinsen des SPD- Kandidaten verbirgt, wissen die Franzosen bis heute nicht.

Viele mißtrauen ihm. Sie vermuten, daß ein Kanzler Schröder die deutsch-französische Freundschaft und den europäischen Aufbau hintanstellen und sich mehr in Richtung angelsächsische Welt und Osteuropa orientieren könne. Sie wissen, daß er sich lange gegen den Euro gewehrt hat. Und sie haben vernommen, daß er die bewährte Zweierbeziehung über den Rhein zu einem „Dreieck“ über den Kanal erweitern will. Seit Schröder gestern einen Aufsatz in Le Monde veröffentlichte, ist die Skepsis noch gestiegen. Dabei war der „Ich bin Europäer aus Vergnügen“ getitelte Text eigentlich eine Reaktion auf die besorgten Fragen des Zentristen und einstigen Staatspräsidenten Valéry Giscard d'Estaing. Anfang des Monats hatte der konstatiert, daß EU-Europa „seit 1991 auf der Stelle tritt“ und daß Schröder dazu „ambivalente Positionen“ habe. Schröder schrieb zwar viermal vom „XXI. Jahrhundert“, doch blieb er konkrete Antworten schuldig. Über eine institutionelle Reform, über die Osterweiterung und über eine intensivere politische Zusammenarbeit in der EU sagte er nichts. Den Schwarzen Peter für die europäische Stagnation schob er Frankreich zu, das die „Revolution“ zum Föderalismus, der für die Deutschen „zur Kultur“ gehöre, noch nicht vollzogen habe. Und für die Zukunft sprach er von Großbritannien als neuem Spitzenpartner, als gehörte Frankreich zur Vergangenheit.

Statt der erwarteten eigenen europapolitischen Positionsbestimmung erinnerte Schröder an die Leistungen der Altvorderen deutscher Sozialdemokratie. Zur Geschichte der deutsch-französischen Beziehung behauptete er, sie habe „den Zusammenbruch des Ostblocks ausgelöst“. Und das neue größere Deutschland stellte er als Vorbild und Mittelpunkt für ein „großes Europa“ dar. Seine Erklärungen gab Schröder im Stil eines historischen und geographischen Determinismus ab, der neu im deutsch-französischen Verhältnis ist. Seine Beziehung zu England begründete Schröder mit seiner Herkunft als Hannoveraner und seine Beziehung zu Europa mit der Tatsache, daß er Deutscher ist. Europa bezeichnete er als das unvermeidliche Ergebnis einer „natürlichen Evolution“. Und die Kompetenzverlagerungen an die EU – Einheitswährung eingeschlossen – nannte er schlicht „unvermeidliche Realitäten“. Auch als „Europäer aus Vergnügen“ blieb Schröder ambivalent. Jene Franzosen, die Zweifel hatten, fühlen sich nach der Lektüre bestätigt. Die anderen haben nichts Neues erfahren. Dorothea Hahn

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