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Verfolgung von NS-TäternNazi-Fahnder sucht neue Wege

Jens Rommel, Leiter der Zentralen Stelle zur Ermittlung von NS-Verbrechen, will die letzten noch lebenden NS-Täter vor Gericht bekommen.

Jens Rommel vor dem Gebäude seiner Behörde in Ludwigsburg. Foto: dpa

Ludwigsburg taz | Die Zentrale Stelle zur Ermittlung von nationalsozialistischen Verbrechen in Ludwigsburg steht vor einer Neuausrichtung. Leiter Jens Rommel sagte der taz, man wolle die bisherigen Ermittlungsansätze neu bewerten und einen rechtlichen Plan entwickeln, um die letzten noch lebenden NS-Straftäter vor Gericht zu bringen.

Der 43-jährige Oberstaatsanwalt Rommel hat vor wenigen Monaten den langjährigen Leiter Kurt Schrimm abgelöst, der zuletzt einige Erfolge erzielen konnte. Dank seiner Arbeit kam es zu Anklagen gegen fünf mutmaßliche Auschwitz-Täter. Einer von ihnen, Oskar Gröning, wurde im letzten Jahr in Lüneburg verurteilt. Gegen die anderen haben die Verfahren begonnen oder stehen vor ihrem Start.

Das weitere Vorgehen, so Rommel, hänge von einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) ab. Im Frühjahr will der BGH in der Berufung des Gröning-Verfahrens entscheiden, ob schon die Tätigkeit in einem NS-Vernichtungslager wie Auschwitz ausreicht, um einen Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen. Alle anderen Tatvorwürfe außer Mord sind längst verjährt.

Rommel rechnet für die nächste Zeit nicht mit weiteren Anklagen. Die Zentrale Stelle mit ihren 19 Mitarbeitern werde aber nicht verkleinert. Rommels Berufung wurde als Signal dafür betrachtet, dass die Justiz trotz des inzwischen hohen Alters mutmaßlicher NS-Täter weiter gegen diese vorgehen will.

Der baden-württembergische Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) erklärte, er erwarte, dass die Behörde noch etwa zehn Jahre existieren wird, bevor sie einer Außenstelle des Bundesarchivs angeschlossen wird. Auch Rommel rechnet dann mit einem Abschluss der Ermittlungen angesichts des Alters der zuletzt Angeklagten: Diese waren zwischen 91 und 95 Jahre alt.

Einwanderungsakten in Lateinamerika

Die Ermittlungen der Zentralen Stelle konzentrieren sich derzeit auf Recherchen von Einwanderungsakten deutscher Bürger in Lateinamerika. Dabei müssen die Beteiligten mühsam von Hand diese Einträge mit den in Ludwigsburg gesammelten Informationen über mutmaßliche NS-Verbrecher vergleichen. Zwar ergaben sich bereits Treffer, die Personen waren aber bereits verstorben. Rommel selbst will im Frühjahr nach Argentinien reisen.

Zudem untersuchten die Ludwigsburger Ermittler alte Urteile sowjetischer Gerichte gegen deutsche Kriegsgefangene: Geschaut wird nach Hinweisen zu Mordtaten anderer Deutscher. Dabei hätten sich in mehreren Fällen Hinweise ergeben, die an die zuständigen Staatsanwaltschaften abgegeben wurden, sagte Rommel. Diese hätten die Verfahren aber eingestellt, weil die Moskauer Akten lückenhaft seien. Rommel hofft, dass die fehlenden Aktenbestände aus einem Moskauer Archiv nachgeliefert werden.

Der Karrierejurist Rommel, der in keinem Verwandtschaftsverhältnis zu dem deutschen Generalfeldmarschall gleichen Namens im Zweiten Weltkrieg steht, will sich nicht als „Nazi-Jäger“ verstanden wissen: „Dagegen wehre ich mich, wo es nur geht.“ Jäger, das sei gleichbedeutend mit dem Erlegen einer Beute. „Das hat nichts mit unseren Ermittlungen zu tun.“

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3 Kommentare

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  • Diese Ermittlungen sind verlogen. Verlogen nicht deshalb weil die Leute unschuldig wären. Verlogen deshalb, weil die Haupt- und Nebentäter_innen nie angeklagt wurden - oder schlimmer noch, von ehemaligen NS-Richtern freigesprochen wurden.

    Jetzt gibt es niemanden mehr, der Einfluss und Verantwortung hatte. Nun werden die kleinen Leute angeklagt, die weder den Mord angeordnet noch durchgeführt haben - wegen Beihilfe.

    Statt sich hier ein Standbild der Doppelmoral zu schaffen, sollten wir die eigene Vergangenheit bewältigen. Eine Vergangenheit, in denen mit zweifelhaften Argumenten die Täter_innen unbehelligt blieben, sie bei uns in den Parlamenten und Gerichten saßen oder hohe Pensionen für ihr mörderisches Tun bezogen. Da haben heute noch im Amt befindliche Staatsanwälte aktiv Strafvereitelung betrieben. Doch statt dessen werden die kleinen Helfeshelfer aufgespürt und angeklagt. Das ist keine konsequente Strafverfolgung sondern jämmerlich und ein moralischer Offenbarungseid.

  • Die Prozesse wegen Beihilfe finde ich aus juristischer Sicht schwierig zu bewerten. Es gibt kein klares Gesetz dass beispielsweise eine beihilfe bei 10.000 fachem Mord weitaus weniger schlimm ist als bei Millionenfachem trotzdem wird es so angewandt wenn man sich die jüngsten Entwicklungen anschaut da sollte man klare Gesetze machen.

     

    Bestes Beispiel die damals 19 jährige Funkerin von Ausschwitz, angeklagt wegen beihilfe zum Mord. Ich weiß jetzt nicht ob man eine deartige Sache bei einem Isisrückkehrer in ähnlicher Weiße bestrafen müsste da es ja laut Gesetzt nicht genau geregelt ist ob 10.000 Facher Mord anderst behandelt wird als Millionenfacher

    • @Tobias Müller:

      Sehr richtig.

      Und es ist nur eine Schein-Justiz. Um uns im Glauben zu lassen, es würde gehandelt.

      Zumal, bei aller Abscheulichkeit der Verbrechen die begangen wurden, 70 Jahre später ganz andere Rechtsnormen herrschen.

       

      Und die Sprache ist verräterisch:

      "...noch lebenden NS-Straftäter vor Gericht zu bringen."

      Straftäter sind die erst nach der Verurteilung.