piwik no script img

Verfassungssschutz-GutachtenHalbwissen über die AfD

Der Verfassungsschutz hat Fakten über rechtsradikale Verstrickungen von AfD-Verbänden im Norden nicht berücksichtigt.

Wie gemalt für den Verfassungsschutz: „Merkel-muss-weg“-Demos und AfD gehören zusammen Foto: dpa

Hamburg/Bremen taz | Die Haltung der AfD ist klar: Die Einstufung der Partei als „Prüffall“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sei durch einen „gewissen politischen Druck“ entstanden, wie ihr Landesprecher in Mecklenburg-Vorpommern, Dennis Augustin, es auf Facebook formuliert, nicht etwa durch ihre Positionen.

Mit der Einstufung hätten „die Altparteien und das Establishment“ gezeigt, dass sie „vor nichts mehr gegen eine konservative und patriotische Opposition zurückschrecken“, so Augustin. Nicht „Spalten und Reinigen“ sei jetzt geboten, warnt er.

Augustin gehört zu jenen Personen, die in dem jetzt bekannt gewordenen Gutachten des BfV zu der Bewertung als Prüffall geführt haben. Auf 443 Seiten wird dort bestätigt, dass sich die Parteistrukturen auch im Norden extrem rechts munitioniert und positioniert haben. Das Gutachten offenbart aber auch Leerstellen. Lange bekannte Belege für rechtsextreme Verbindungen zieht der Geheimdienst nicht heran.

Keinem der AfD-Landesverbände Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein attestiert das BfV eine moderate Ausrichtung.

Chemnitz und die Folgen

Der Schweigemarsch der AfD nach einem tödlichen Messerstich in Chemnitz warf in Medien und Politik die Frage auf, ob diese Partei nicht mehr als rechtspopulistisch sei, und befeuerte die Debatte über eine Beobachtung der Partei.

Mandats- und Funktionsträger der AfD standen am 27. August 2018 mit rund 6.000 Demonstranten auf der Straße, darunter erkennbar viele organisierte Rechtsextreme und rechtsextreme Hooligans.

Hans-Georg Maaßen musste das Amt des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Zuge der Auseinandersetzung im November 2018 räumen.

Die „Junge Alternative“ beobachten die Landesämter von Verfassungsschutz in Niedersachsen und Bremen schon seit September 2018 – als erste Bundesländer.

Der AfD in Mecklenburg-Vorpommern um Augustin schreibt das Bundesamt völkisch-nationalistische Tendenzen zu. Oft wird Augustin zitiert, etwa aus einer Rede, in der er ausführte, „dass die deutschen Jünglinge hilflos mit ansehen, wie ein muslimischer Mob wie die Halbaffen über die Frauen und Freundinnen herfällt“. Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken wie der Identitären Bewegung (IB) finden Erwähnung.

Gewaltfantasien im Chat

Nicht thematisiert werden dagegen die Gewalt- und Vergewaltigungsfantasien gegen politische Gegner oder ein Foto von marschierenden SS-Männern in AfD-internen Chatgruppen. Kein Wort verliert das Gutachten darüber, dass ein AfD-Funktionär Beschuldigter in einem Terrorverfahren ist und der Landtagsabgeordnete Jens Holger Schneider Kontakte in die rechtsextreme Szene pflegte.

Der Parlamentarische Geschäftsführer Ralph Weber wird zwar etliche Male zitiert – aber dass er in seinem Bürgerbüro einen Rechtsextremen als Mitarbeiter beschäftigt hatte, bleibt unerwähnt. Auch dass Augustin bei der Kampagne „Merkel muss weg!“ in Hamburg als Redner auftrat, fehlt.

Verbandelt mit „Merkel muss weg!“

Der Hamburger AfD hält der Verfassungsschutz rechtsextreme Kontakte wie die des Fraktionsvorsitzenden Alexander Wolff vor. Dass jedoch Fraktionsvize Dirk Nockemann auf Facebook mit Thomas Gardlo vom „Orga-Team“ der Hamburger „Merkel muss weg!“-Demos in Kontakt steht, kommt im Gutachten nicht vor.

Überraschenderweise, denn der Hamburger Verfassungsschutz hatte sich selbst das Verdienst zugeschrieben, er habe durch seine Einschätzung des Orga-Teams als rechtsextrem den Zulauf zu den Demos eingedämmt.

Plakatieren mit Identitären

Aus Bremen greift das BfV nur einen Vorfall auf, der die Nähe des AfD-Jugendverbands Junge Alternative (JA) zu den Identitären belegt. Im Juni 2017 hatten der Bremer JA-Vorsitzende Robert Teske und sein Stellvertreter Marvin Mergard eine Demon­stration der IB in Berlin besucht. Doch dass der IB-Regionalleiter Jonas Schick zeitweise Mitarbeiter im Büro der AfD in Bremen war, wird nicht angeführt

Auch nicht, dass der Landeschef und Bundestagsabgeordnete Frank Magnitz gemeinsam mit IB-Aktivisten Flugblätter am Rande einer Rede von Angela Merkel verteilte. Oder dass der Bürgerschaftsabgeordnete Alexander Tassis im Bundestagswahlkampf zusammen mit einem Mann plakatierte, der ein T-Shirt der Identitären trug. Das BfV betont allerdings eine völkisch-nationalistische Einstellung des Bremer Landesverbandes.

Nah dran an Holocaustleugnern

Der AfD in Schleswig-Holstein hält der Verfassungsschutz vor, sie biete Raum für Relativierungen des Nationalsozialismus. Die Kritik des AfD-Landesverbandes an der deutschen Erinnerungspolitik erinnere an „rechtsextremistische Motive“. Die Aussagen der ehemaligen Landesvorsitzenden Doris von Sayn-Wittgenstein könnten auf ein „ethnisch-biologisches Verständnis von Volk hindeuten“.

Unberücksichtigt bleiben ihre Kontakte ins rechtsex­treme Milieu, etwa ihre Beziehungen zu dem von einer notorischen Holocaustleugnerin mitgegründeten Verein „Gedächtnisstätte“ oder ihr E-Mail-Verteiler, der von Freunden der Waffen-SS, Holocaustleugnern und Verfechtern einer Reichs­ideologie bis zum internationalen Rechtsextremismus reichte. Die taz hatte darüber Mitte Dezember 2018 berichtet.

Das Verfassungsschutz-Gutachten mag da schon weitgehend formuliert gewesen sein. Der Streit über den Stormarner AfD-Kreistagsabgeordneten Arnulf Fröhlich wegen seiner Teilnahme am Holocaustleugner-Kongress „Wahrheit macht frei“ war allerdings schon seit November bekannt – und taucht auch nicht auf.

Krieg gegen das „System“

Niedersachsens AfD bescheinigt das BfV in der Einwanderungs- und Asylpolitik eine „kompromisslosere“ Positionierung als „anderen Verbänden der AfD“. Mit Begriffen wie „Messer-Migration“ setze der Landtagsabgeordnete Stephan Bothe, Flüchtlinge und Migranten pauschal mit lebensgefährlichen Gewalttaten in Beziehung. Dem AfD-Kreisverband Osterholz wirft das Amt eine „völkische“ Sprechweise vor.

Ausgeblendet bleibt aber, dass der Diepholzer AfD-Kreisvorsitzende Andreas Illof einem rechtsextremen Orden angehörte, der ein Deutsches Reich anstrebt, dass die Landtagsfraktion die IB-Anhängerin Hildburg Meyer-Sande beschäftigt und dass der Bundestagsabgeordnete Wilhelm von Gottberg den Völkermord an den europäischen Juden als „Propaganda-Dampfwalze“ und „‚jüdische Wahrheit‘ über den Holocaust“ bezeichnete.

Der Kreisverband Salzgitter, der mit hetzerischen Posts auf Facebook und Twitter Schlagzeilen machte, kommt im Verfassungsschutz-Gutachten auch nicht vor. Nach dem Einzug der AfD in den Bundestag hatte es dort geheißen: „Die nächste Phase im Krieg gegen dieses widerwärtigste System, das je auf deutschem Boden existierte, nimmt nun ihren Anfang.“

Ein Geheimdienst ist ein Geheimdienst. Deshalb kann man das BfV schlecht fragen, ob die ausgewählten Leerstellen der Unkenntnis geschuldet sind. Vielleicht hat das Amt diese Fakten beim Zeitungslesen aber auch einfach übersehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Zitat: „Die Einstufung der Partei als ‚Prüffall‘ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sei durch einen ‚gewissen politischen Druck‘ entstanden, wie ihr Landesprecher in Mecklenburg-Vorpommern, Dennis Augustin, es auf Facebook formuliert, nicht etwa durch ihre Positionen.“

    Dennis Austin hat offenbar nicht aufgepasst im Physikunterricht. Er wüsste sonst, dass Druck Gegendruck erzeugt. Dabei hätte er das auch ganz ohne Lehrer und durch reine Selbstbeobachtung rausfinden können. Denn schließlich behaupten die AfD-Mitglieder ja, sie würden unterdrückt und müssten sich deswegen zu Wehr setzen.

    Aber na ja, mit dem Denken tun sich manche Leute ja nicht nur in der Schule schwer. Und dass die Kehrseite der eigenen Individualität die Individualität aller anderen ist, wollen manche Leute womöglich einfach nicht kapieren. Sie wären offenbar gern Gottkönig mit Allmachtsgarantie.

    Schade nur, dass Leute mit derartigen Ansprüchen sich nicht nur in der AfD organisieren. Denn die Liste der Versäumnisse ist ja doch beeindruckend lang. Wär schön, wenn man damit was anfangen könnte. Bleibt nur das Problem mit der verdammten Gleichbehandlung.

    Die Tatsache, dass „[der Geheimdienst] lange bekannte Belege für rechtsextreme Verbindungen […] nicht heran [zieht]“, erklärt sich womöglich ja ganz einfach damit, dass „völkisch-nationalistische Tendenzen“ und „Gewalt- und Vergewaltigungsfantasien“ kein Alleinstellungsmerkmal sind. Und dass „Spalten und Reinigen“ jetzt grade nicht sonderlich geboten wären, findet nicht nur Dennis Austin. Das finden z.B. auch die SPD- und die Unions-Granden.

    Würde man jede Partei verbieten, in der einzelne Mitglieder Kontakte nach Rechts außen pflegen, bekäme die deutsche Demokratie vermutlich schwerwiegende Probleme. Stell dir vor es ist Wahl, und keiner kandidiert. Nein, ich beneide den Verfassungsschutz gerade nicht. Auch, weil er womöglich hart gegen sich selbst vorgehen müsste, würde er seinen Job wirklich ernst nehmen.

  • Die AfD ist nicht Gegner.



    Die AfD ist Feind.

  • 9G
    92293 (Profil gelöscht)

    wiederwärtig an diesem system ist eher, dass viele vermutlich zuviele dieser afd gesinnten beamte sind, wiederwärtig an diesem system ist, dass man als bürger der meint die zuständige behörde auf eine fehlentwicklung hinzuweisen, man eine zusätzliche schikane erfährt; wiederwärtig an diesem system ist, dass man eher von beamten gemobbt wird, als dass sie ihre rechten bis rechtsextremen kollegen das leben zu verhageln; siehe pegida unterstützer der dann eine adequate stelle bekommt, siehe höcke, der seine leherpension bekommt, siehe meuthen, der vom professor zum politiker gewechselt ist

  • Ja wie*¿* Halbwissen - hm^¿^

    “Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht im Norden keine moderaten AfD-Verbände. Dabei hat es Fakten über rechtsradikale Verstrickungen nicht berücksichtigt.“

    Ja wie jetzt^?^ - wären dann doch moderate zu sehen^¿^ - oder was?

    • @Lowandorder:

      Klarer wäre es womöglich so: “Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht im Norden keine moderaten AfD-Verbände. Dabei hat es sogar noch einige Fakten über rechtsradikale Verstrickungen nicht berücksichtigt.“

      Habe den Artikel überhaupt nur wegen der komischen Schlagzeile gelesen ;-)

      • @DERJakob:

        Ja - das issen bekannter tazi-Trick!;))

        Morgendliches SchmunzelStrühfück -



        Garantiert. Lausige Schreibi di heiti*¡*;)



        Immer gern genommen - Dank‘derschö.