piwik no script img

Verfassungsschutz und Coronaprotest„Querdenker“ bundesweit beobachtet

Immer wieder kommt es bei Corona-Demos zu Übergriffen. Nun nimmt der Verfassungsschutz die „Querdenker“ bundesweit unter Beobachtung.

Offene Agitation gegen den Staat: Der Verfassungsschutz stuft den Coronaprotest ein Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

BERLIN taz | Immer wieder kam es zuletzt auf Coronaprotesten zu Übergriffen auf Po­li­zis­t:in­nen und Medienvertreter. Aus der Szene kommt es zu Morddrohungen gegen Politiker:innen, Rechtsextreme reihen sich in die Demonstrationen ein. Nun reagiert das Bundesamt für Verfassungsschutz: Es stuft die Coronaproteste bundesweit als Beobachtungsobjekt ein.

„Unsere demokratische Grundordnung sowie staatliche Einrichtungen wie Parlamente und Regierende sehen sich seit Beginn der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie vielfältigen Angriffen ausgesetzt“, erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz am Mittwoch. „Legitime Proteste und Demonstrationen gegen die Coronapolitik werden dabei immer wieder, und in jüngerer Zeit zunehmend, instrumentalisiert und Eskalationen provoziert.“

Für den Verfassungsschutz zeigten auch einige der Organisatoren der Demonstrationen, dass ihre Agenda „über die reine Mobilisierung zu Protesten gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen hinausgeht“. Das Bundesamt nennt hier „zuvörderst Protagonisten der Querdenken-Bewegung“.

Von ihnen würden Verbindungen zu Reichsbürgern gesucht und es werde propagiert, behördliche Anordnungen zu ignorieren – was „letztlich das staatliche Gewaltmonopol negiert“. Das sei geeignet, „das Vertrauen in die staatlichen Institutionen und seine Repräsentanten nachhaltig zu erschüttern“.

„Erheblich katalysatorische Wirkung“

Der Verfassungsschutz warnt, dass mit solcher Art Protest „demokratische Entscheidungsprozesse und die entsprechenden Institutionen von Legislative, Exekutive und Judikative in sicherheitsgefährdender Art und Weise delegitimiert und verächtlich gemacht werden“. Es würden Verschwörungsmythen, antisemitische Ressentiments und QAnon-Konstrukte bemüht, was eine „erhebliche katalysatorische Wirkung“ habe.

Da der Coronaprotest in keines der bisherigen Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes passt, schafft das Bundesamt eigens ein neues Sammelbeobachtungsobjekt: „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“. Dort werden nun relevante Akteure des Coronaprotests zugeordnet und überwacht. Ähnlich war der Verfassungsschutz zuletzt schon mit der Reichsbürgerszene verfahren.

Einstufung zuvor schon in vier Bundesländern

Schon im Dezember hatte der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg das dortige Querdenken 711, eine der bundesweiten Hauptorganisatoren der Proteste, als Beobachtungsobjekt eingestuft. Es folgten die Landesämter in Bayern, Hamburg und Berlin. Der Protest zeige zunehmend eine „staats- und Politikfeindlichkeit in bedenklichem Ausmaß“, erklärte schon damals Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). Es werde „gezielt Hass auf den Staat geschürt“.

Zuletzt hatte auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der die Proteste aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung anfangs zurückhaltend bewertete, eine Einstufung gefordert. „Ich bin für eine rigorose Vorgehensweise des Rechtsstaates“, erklärte er. „Man muss allen Anfängen die Stirn bieten.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Dass die sogen. Querdenker hinsichtlich der Pandemie völlig absurde Gedanken verbreiten, stellt hoffentlich niemand infrage, der noch einen Funken Verstand hat. Inwiefern die Querdenkenden eine Gefahr für die Bundesrepublik darstellen, kann ich nicht beurteilen. Allerdings nehme ich zur Kenntnis, dass auch die taz in immer stärkerem Maße zu begrüßen scheint, dass der Verfassungsschutz sein Aktionsfeld ständig vegrößert. Das ist aber der VS, der im Kampf gegen Rechtsextremismus kläglich versagt hat und unter Verdacht steht, z.B. im Falle NSU kooperiert zu haben. Die entsprechenden Beweise wurden größtenteils für Jahrzehnte der Öffentlichkeit entzogen. Aber genau dieser Verfassungsschutz soll also nun immer mehr Bereiche des öffentlichen Lebens beobachten und alles, was durch mehr oder weniger blödsinnige Aktionen unangenehm auffällt als Verdachtsfall behandeln.

    Es hat in der Vergangenheit immer Demonstrationen gegeben, die gegen Auflagen verstießen oder wo Sektierer oder Hooligans Gewalt anwendeten. Es hat sogar berechtigterweise extreme Proteste gegeben, z.B. gegen die BILD oder andere Springer Blätter. Und seit den Springer Protesten in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts hat sich zumindest bei Springer nichts verändert. Im Gegenteil. Man kann den Eindruck haben, dass sich viele Medien Springer angeglichen haben.



    Meine Skepsis beruht auf der Überzeugung, dass politische Prozesse NICHT mit dem Verfassungsschutz geklärt werden können. Freunde aus der ehemaligen DDR sind da besonders skeptisch.

  • 9G
    92293 (Profil gelöscht)

    Manche Dinge wären nicht passiert hätten sie zeitiger gehandelt. Aber ohne Maßen geht es wohl etwas zügiger.

  • Da werden sie jetzt aber schlottern und sich geläutert von ihren kruden Standpunkten abwenden.

  • Reichsbürger, Querdenker, was muß diese Menschen veranlassen, Schwachsinn zu verbreiten? Schwere Kindheit, Unzufriedenheit mit sich? Randalemacher, Alkoholismus? Armut? Dieser schlimme und böse Hass. Ich werde diese Menschen nie verstehen.

    • @RPH:

      Gar nicht so viel. Es ist ein trivialer Abwehrmechanismus der Zukurzdenkenden:

      "It was much better to imagine men in some smoky room somewhere, made mad and cynical by privilege and power, plotting over the brandy.

      You had to cling to this sort of image, because if you didn't then you might have to face the fact that bad things happened because ordinary people, the kind who brushed the dog and



      told their children bedtime stories, were capable of then going out and



      doing horrible things to other ordinary people.

      It was so much easier to blame it on Them.

      It was bleakly depressing to think that They were Us.

      If it was Them, then nothing was anyone's fault.

      If it was Us, what did that make Me? After all, I'm one of Us.



      I must be.



      I've certainly never thought of myself as one of Them.

      No-one ever thinks of themselves as one of Them.



      We're always one of Us.

      It's Them that do the bad things"



      -- Terry Pratchett, "Jingo"