Verfassungsschutz in Niedersachsen: Wenigstens ein Student, der zuhört
Darf ein V-Mann die universitäre Selbstverwaltung untergraben? Das Verwaltungsgericht Hannover weist die Klage einer linken Aktivistin ab.
Aufgeflogen war das, weil eine Aktivistin ein Auskunftsersuchen beim Verfassungsschutz gestellt hatte. Sie wollte fehlerhafte Daten löschen lassen. In den Gerichtsakten fanden sich detaillierte Hinweise auf den Einsatz des V-Mannes, weil beim Verfassungsschutz jemand geschlafen und es versäumt hatte, die Seiten zu schwärzen.
Ein Riesenskandal damals, in dessen Folge Verfassungsschutz-Chefin Maren Brandenburger gehen musste. Die betroffene Aktivistin versucht immer noch vor Gericht zu erwirken, dass ihre Daten gelöscht werden und der Verfassungsschutz einräumen muss, dass das Vorgehen insgesamt nicht in Ordnung war.
In der Zwischenzeit hat der Verfassungsschutz immerhin die Daten gesperrt und zur Löschung vorgemerkt – allerdings nicht, weil sie unrechtmäßig zustande gekommen waren, sondern weil sie veraltet sind und die junge Frau längst aus Göttingen weggezogen ist.
Wie weit darf eine V-Mann gehen?
Anwalt Sven Adam lässt deshalb noch lange nicht locker: Vor dem Verwaltungsgericht Hannover hat er Klage gegen den Verfassungsschutz eingereicht, um feststellen zu lassen, dass die Erfassung und Speicherung der Daten nicht rechtens war und der Einsatz des V-Mannes unverhältnismäßig. In seinen Augen wirft der Fall nämlich eine ganze Reihe von grundsätzlichen Fragen auf, die dringend einmal geklärt werden müssten.
Da wäre zum Beispiel die Frage, wie weit ein V-Mann eigentlich gehen darf. Das spielt vor Gericht immer mal wieder eine Rolle – etwa wenn es darum geht, ob verdeckte Ermittler oder V-Männer der Polizei oder auch des Verfassungsschutzes zu Mittätern oder Anstiftern geworden sind.
Im Fall Gerrit G. hat das Ganze aber noch eine ganz andere Note, sagt der Göttinger Anwalt. Der hat sich nämlich über die Alternative Liste in diverse Gremien wählen lassen – und damit eigentlich die universitäre Selbstverwaltung und letztlich die Wissenschaftsfreiheit untergraben.
Auch bei der Einstufung seiner Mandantin und der Gruppe als Beobachtungsobjekt habe man es sich zu leicht gemacht, findet Adam. Der einzige konkrete Vorwurf gegen seine Mandantin, der sich in den freigegebenen Akten findet, ist, dass sie an der Demo „Bautzen bleibt bunt“ teilgenommen hat. Sie soll dabei zwei Dosen Pfefferspray in der Tasche gehabt haben – ein Vorwurf, den sie allerdings vehement bestreitet.
Falsche Infos aus Sachsen
Der Eintrag beruht auf Informationen des Verfassungsschutzes Sachsen und weist einige sachliche Fehler auf – so stimmt beispielsweise die Jahreszahl nicht und das Pfefferspray wurde nicht auf der Demo, sondern bei einer (später vor Gericht angefochtenen) Durchsuchung des Autos nach der Demo gefunden. Weil mehrere Personen im Wagen saßen, konnte es ihr nicht klar zugeordnet werden.
Die „Basisdemokratische Linke“, zu der die junge Frau gehört, versteht sich als Teil der „Interventionistischen Linken“, die regelmäßig in den Verfassungsschutzberichten auftaucht. Sie gilt als Teil der autonomen/post-autonomen Szene, Phänomenbereich Linksextremismus.
Darunter wiederum fasst der Verfassungsschutz so einiges. Eine Auflistung von Straftaten, die vor Gericht verlesen wird, umfasst alles: Von der Zerstörung von rechten Wahlplakaten über den Tortenwurf auf ein AfD-Mitglied über Brandanschläge bis hin zu Ausschreitungen bei Demonstrationen.
Verfassungsfeindliche Selbstbeschreibung
Der Haken: Wenig bis gar nichts von dem, was hier als autonome Gewalttat aufgelistet wird, konnte der Uni-Gruppe der Basisdemokratischen Linken zugeordnet werden. Bei der argumentiert der Verfassungsschutz im Gerichtssaal immer bloß damit, dass sich aus der Selbstbeschreibung ergäbe, dass man verfassungsfeindlich gesinnt sei – da sei immerhin von der Überwindung des Kapitalismus und der bestehenden Herrschaftssysteme die Rede.
Außerdem, sagt der Linksextremismusexperte des Verfassungsschutzes, Udo Baron, habe sich die Interventionistische Linke ausdrücklich nicht von den gewalttätigen Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg distanzieren wollen. Und wenn sich die Basisdemokratische Linke als Teil der Interventionistischen Linken verstehe, sei sie eben auch Teil dieses Gewaltverständnisses.
Aufgrund der „Organisations- und Hierarchiefeindlichkeit“ der Autonomen könne man ja auch gar nicht anders als die Beobachtungsobjekte so weit zu fassen, dass auch die ständig wechselnden Gruppen und Untergruppen davon erfasst würden.
Politik will Auskunftsrechte wieder einschränken
Das Verwaltungsgericht Hannover folgt dieser Argumentation und weist die Klage ab. Es gäbe hinreichende Begründungen und Kontrollmechanismen – durch den Innenminister, die G10-Kommission, die vertrauliche Unterrichtung des entsprechenden parlamentarischen Ausschusses – argumentiert die Richterin. Da sei davon auszugehen, dass die Einstufung als Beobachtungsobjekt sorgsam erfolgt sei.
Deshalb sei der Einsatz des V-Mannes auch nicht unverhältnismäßig oder sonst wie zu beanstanden gewesen. Und was die universitären Gremien angehe: Da sei die Klägerin gar nicht klageberechtigt, weil sie nicht in ihren subjektiven Rechten betroffen sei. Rechtsanwalt Sven Adam sagt, dass er damit im Grunde gerechnet habe. Er will nun in die nächste Instanz gehen.
Auf der politischen Ebene wird derweil an einer erneuten Änderung des niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes herumgedoktert. Man möchte vor allem die Auskunftsrechte Betroffener weiter beschneiden, mit denen der ganze Schlamassel erst angefangen hat.
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