Verfassungsschutz in Berlin: Fremdkörper mit Sonderrechten
Der Senat will Berlins Verfassungsschutz mehr Befugnisse verleihen und gleichzeitig die Rechte von Betroffenen einschränken. Datenschützer zeigen sich alarmiert.
Onlinedurchsuchungen, umfassender Zugriff auf Videoüberwachung und ein abgeschwächtes Auskunftsrecht für Betroffene: Der schwarz-rote Senat will den Verfassungsschutz mit neuen Befugnissen ausstatten. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hatte die Koalition im Mai ins Parlament eingebracht. Nun haben Berlins Datenschutzbeauftragte Meike Kamp und weitere Juristen das Vorhaben der Koalition scharf kritisiert und Nachbesserungen gefordert.
Kamp sagte bei einer Anhörung im Verfassungsschutzausschuss des Abgeordnetenhauses am Montagnachmittag, der Entwurf für das neue Gesetz sehe „eine massive Ausweitung von teils höchst eingriffsintensiven neuen Überwachungsbefugnissen“ vor. Heimliche Eingriffe in Grundrechte durch Sicherheitsbehörden seien aber nur verhältnismäßig, wenn es einen entsprechenden Ausgleich für die Betroffenen gebe – etwa ein Recht auf Auskunft über gespeicherte Informationen. „Dies ist im Entwurf nicht ausreichend oder mangelhaft umgesetzt“, beanstandete Kamp.
Auch der Jurist David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sieht große Schwachstellen in dem neuen Gesetz. „Geheimdienste sind Fremdkörper in einer Demokratie“, betonte er im Ausschuss. Deshalb bräuchten sie enge rechtsstaatliche Bindungen und eine demokratische Kontrolle. Aber: „Der Gesetzentwurf verfehlt diesen Anspruch.“ Das Berliner Gesetz drohe „früher oder später“ vor dem Bundesverfassungsgericht zu landen und in Teilen als verfassungswidrig erklärt zu werden, sagte Werdermann, der bei der NGO Verfassungsklagen koordiniert und damit schon in mehreren Bundesländern Erfolg hatte.
David Werdermann, Jurist
Sollte es wirklich so weit kommen, wäre das ein Eigentor. Denn die Neufassung des Berliner Verfassungsschutzgesetzes war unter anderem wegen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zum Verfassungsschutzgesetz auf Bundesebene sowie zum Bayerischen Verfassungsschutz aus dem Jahr 2022 notwendig geworden. Darin hatte das Gericht Vorgaben zu sogenannten Eingriffsschwellen gemacht, die regeln, welche Überwachungsmaßnahmen in welchen Fällen gerechtfertigt sind.
CDU und SPD wollen deshalb in Berlin drei abgestufte Kategorien einführen. Je nachdem, wie hoch die Beobachtungsbedürftigkeit einer Gruppe oder einer Person bewertet wird, können etwa verdeckte Ermittler oder V-Leute zum Einsatz kommen und zur Observation Autos verwanzt oder Gespräche außerhalb der Wohnung mit einem Richtmikrofon abgehört werden.
Umfassende Echtzeit-Videoüberwachung
Doch neben dieser überfälligen Klarstellung will der Senat die Neufassung des Gesetzes auch dazu nutzen, dem Verfassungsschutz völlig neue Befugnisse zu verleihen. Unter anderem soll künftig Videomaterial von öffentlichen Orten zur Observation von Einzelpersonen verwendet werden dürfen. Im Entwurf heißt es dazu, der Verfassungsschutz könne Betreiber von „öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen“ – etwa Sportstätten, Einkaufszentren oder Parkplätze – dazu verpflichten, die Bilder weiterzuleiten und Aufzeichnungen zu übermitteln.
Meike Kamp zeigte sich alarmiert: „In einer räumlich sehr engen Situation wie in Berlin wird so letztlich die Möglichkeit einer nahezu flächendeckenden Überwachung geschaffen – und das in Echtzeit“, sagte die Datenschutzbeauftragte. „Insofern könnte die Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen Realität werden“, warnte sie mit Blick auf das technische Potenzial von künstlicher Intelligenz. „Das ist aus unserer Sicht unverhältnismäßig.“
Außerdem sollen die Verfassungsschützer in Zukunft berechtigt sein, sogenannte Onlinedurchsuchungen durchzuführen, also umfangreiche Hackerangriffe auf private Computer mithilfe eines Staatstrojaners. Und für das analoge Ausspähen soll die rechtliche Hürde für die Überwachung von Wohnungen gesenkt werden.
Zwei überflüssige Paragrafen, findet der Anwalt David Werdermann. Beides seien so schwerwiegende Grundrechtseingriffe, dass der Verfassungsschutz sie nur bei einer sogenannten konkretisierten oder dringenden Gefahr durchführen dürfe. In solchen Fällen müsste dann allerdings sowieso direkt die Polizei tätig werden, erklärte Werdermann gegenüber der taz: „Die Befugnisse laufen ins Leere.“ In Hamburg sei die Wohnraumüberwachung bei der Neufassung des dortigen Gesetzes komplett gestrichen worden, weil die Behörde sie nicht benötigte, betonte Werdermann.
Opposition kritisiert Ungleichgewicht
Berlins Verfassungsschutzchef Michael Fischer verteidigte die Regelungen. Um überhaupt in der Lage zu sein, Onlinedurchsuchungen durchzuführen – wenn auch nur in Amtshilfe für die Polizei –, brauche man das technische Equipment. „Und das schaffen wir nur an, wenn wir das auch dürfen“, sagte Fischer.
In der Opposition sieht man das anders: „Von allen möglichen Werkzeugen wurde sich alles aus dem Kasten genommen, die Transparenzpflichten hingegen werden nicht ausreichend festgeschrieben“, kritisierte etwa Grünen-Fachpolitikerin June Tomiak. Auch sie sieht ein Ungleichgewicht zwischen Überwachungsmaßnahmen und Rechten der Betroffenen. „Die Koalition muss nachsteuern“, forderte Tomiak.
Tatsächlich ist im Gesetz nur bei Onlinedurchsuchungen und Wohnungsüberwachungen vorgesehen, dass Betroffene im Nachhinein darüber informiert werden. „Auf diese Weise wird effektiver Rechtsschutz vereitelt“, so David Werdermann dazu. „Man kann sich also oft nur dann gerichtlich gegen Überwachung wehren, wenn man durch Zufall davon erfährt.“
Denn auch die Auskunftsrechte für Berlins Bürger*innen will die Koalition stark einschränken. Derzeit kann noch jede*r beim Verfassungsschutz nachfragen, welche Informationen dort zur eigenen Person gespeichert sind. In Zukunft soll man zunächst einen „konkreten Sachverhalt“ und ein „berechtigtes Interesse“ darlegen, um Auskünfte zu erhalten. „Antragsteller*innen wird abverlangt, sich selbst zu denunzieren“, betonte Werdermann. Darüber hinaus fehle es weitgehend an einer Pflicht, Parlament und Öffentlichkeit über die Anzahl der angeordneten Maßnahmen zu informieren.
Nach der Expert*innen-Anhörung im Fachausschuss hat die Koalition nun die Gelegenheit, den Entwurf zu überarbeiten. Geht es nach den Plänen von CDU und SPD, soll das Abgeordnetenhaus das Gesetz noch in diesem Jahr verabschieden.
Zusätzlich zum großzügigeren Rechtsrahmen soll der Verfassungsschutz dann auch mehr Geld zur Verfügung haben als bisher. Im Haushaltsentwurf sind derzeit 20,2 Millionen Euro für 2026 und 19,9 Millionen Euro für 2027 eingeplant. „Damit ist das Budget leicht über dem von 2025“, freute sich Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Das zusätzliche Geld soll vor allem in Personalkosten fließen. In diesem und im vergangenen Jahr waren beim Verfassungsschutz 18 neue Stellen geschaffen worden. Insgesamt verfügt die Abteilung über 284 Stellen.
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