Verfassungsschutz Niedersachsen: Linke bleibt Staatsfeind
Die niedersächsische Landesregierung blockiert mit ihrer schwarz-gelben Mehrheit einen Antrag aller Oppositionsparteien, die Beobachtung der Linken-Abgeordneten einzustellen.
HANNOVER taz | Niedersachsens schwarz-gelbe Landesregierung will von der Beobachtung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz nicht lassen. Den unverzüglichen Abzug des Nachrichtendienstes von der Partei haben Grünen-, SPD- und Linksfraktion am Freitag im Landtag in Hannover gefordert. Die Regierungsfraktionen blockten den Antrag ab - mit ihrer Stimmenmehrheit.
Gleich nach seinem Amtsantritt 2003 hat Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) seine Verfassungsschützer angewiesen, die Linkspartei ins Visier zu nehmen. Acht der zehn Linken-Landtagsabgeordneten lässt er derzeit beoachten. Zu ihnen werden öffentlich zugängliche Informationen wie Zeitungsartikel gesammelt. Eingesetzt werden in Niedersachsen auch geheimdienstliche Mittel, wie im Januar im Zuge der bundesweiten Debatte über die Ausrichtung der Verfassungsschutzbehörden herauskam. Dazu zählen etwa der Einsatz von V-Leuten, Observationen, das Abhören von Telefonaten oder das Öffnen von Post.
Ein "unverhältnismäßiger Eingriff in die freie Betätigung der Partei und deren Chancengleichheit" sei eine derartige Beobachtung der Linken, heißt es jetzt in dem Oppositionsantrag. Die einzelnen Abgeordneten seien dadurch in der freien Mandatsausübung behindert. Im Gespräch mit BürgerInnen etwa könnten sie keine Vertraulichkeit zusichern, sagte Linken-Fraktionschef Hans-Henning Adler am Freitag im Landtag. Der Verfassungsschutz sei keine unabhängige, sachkundige Instanz, sondern ein "Instrument des Innenministers".
Niedersachsens Verfassungsschutz guckt scharf nach links: Die Zahl autonomer und gewaltbereiter Linksextremisten ist laut Verfassungsschutzbericht zwischen 2009 und 2010 von 720 auf 910 gestiegen.
Hinzugerechnet werden hier auch Castor-GegnerInnen und "militante Tierrechtler".
Auch Hausbesetzer sind im Fokus: In Hannover-Linden wird eine Gruppe Jugendlicher beobachtet, die 2011 mit Besetzungen ein selbstverwaltetes Stadtteilzentrum forderte, darunter auch Mitglieder der Grünen Jugend.
Schünemanns Rechtfertigung: Auch das Schaffen "herrschaftsfreier Zellen" seien "Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung".
Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Helge Limburg, warf der Regierung "Missbrauch" der Behörde vor. Die SPD-Innenpolitikerin Sigrid Leuschner sprach von einem "Skandal". "Das tragen wir nicht mit", sagte sie. Schwarz-Gelb gehe es um "pauschale Diffamierung, statt sich inhaltlich mit einem politischen Gegner auseinanderzusetzen". Das ziehe sich "wie ein roter Faden durch die Legislaturperiode".
Seit ihrem Einzug ins Parlament 2008 ist die Linkspartei liebstes Angriffsziel von CDU und FDP. Niedersachsens CDU-Generalsekretär Ulf Thiele fordert seither zu jeder sich bietenden Gelegenheit, "radikallinke Parteigänger nicht mit Samthandschuhen anzufassen". Ministerpräsident David McAllister (CDU) lässt sich gerne mit dem Satz "mir stinken die Linken" zitieren. Vergangenen Herbst gipfelte die schwarz-gelbe Aversion in einem Landtagsbeschluss, der die Partei für verfassungswidrig erklärt und in dem sich alle Fraktionen "eindeutig" von ihr distanzieren - verabschiedet nur mit den Stimmen der Regierungsfraktionen.
Als Beleg führen CDU und FDP immer wieder die Äußerung der Linken-Bundesvorsitzenden Gesine Lötzsch an, der Kommunismus sei noch immer erstrebenswert. Und auch an diesem Freitag warf Innenminister Schünemann der Partei mangelnde Distanzierung zum "DDR-Unrechtsstaat" vor. Solche Positionen seien mit dem Grundgesetz unvereinbar, sagte er: "Die Beobachtung der Linkspartei ist keine politische Willkür."
"Die Pose des kalten Kriegers", hielt Linken-Fraktionschef Adler dem entgegen, "ist nicht mehr zeitgemäß." In der Tat ist die Diskussion andernorts, etwa im Bund, schon einen Schritt weiter: Als im Januar bekannt wurde, dass 27 der 76 Linken-Bundestagsabgeordneten im Visier des Verfassungsschutzes stehen, kam dort auch aus den Reihen von Union und FDP Kritik. Selbst der sonst eher als Hardliner bekannte CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses, zeigte sich "überrascht" über die Anzahl der Bobachtungen und erklärte, allein die Mitgliedschaft in der Linkspartei reiche nicht als Anlass.
Die Debatte blieb in Berlin nicht ohne Wirkung: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kündigte an, die Liste der beobachteten Abgeordneten zu überprüfen. Sein niedersächsischer Amtskollege Schünemann hält am entgegengesetzten Kurs fest: Dass andere Bundesländer die Partei nicht überwachen, nannte er am Freitag falsch - ein "wehrhafter Rechtsstaat" müsse sich schützen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt