piwik no script img

Verfassungsrichterwahl im BundestagDiesmal scheint es wirklich zu klappen

Union und SPD sind zuversichtlich, dass die Hängepartie um die Rich­te­r:in­nen­-Wahl nun ein Ende hat. Obwohl die AfD wieder hetzt.

Zweiter Anlauf Wahl der Bundesverfassungsrichter*innen: Jens Spahn versichert bei Caren Miosga, wie kommunikativ er unterwegs sei Foto: Uwe Koch/imago

Berlin taz | „Ja, das wird am Donnerstag klappen.“ Jens Spahn, Unionsfraktionschef der Union klang am Sonntag richtig euphorisch als er bei Caren Miosga über die anstehende Wahl der Richterinnen fürs Bundesverfassungsgericht sprach. Die neue Kandidatin sei eine sehr, sehr gute, davon habe er sich im Gespräch mit ihr überzeugen können. Und außerdem habe man ja aus der – verpatzten – Wahl im Juli – gelernt: mehr Menschen eingebunden, mehr Rückkopplung und er selbst habe sich auch stärker eingebracht.

Dass die Koalitionsparteien die Wahl von drei Rich­te­r:in­nen fürs Bundesverfassungsgericht Anfang Juli in letzter Minute absagten, war vor allem Spahn angelastet worden. Der Fraktionsvorsitzende galt als geschwächt. Er habe den heraufziehenden Sturm in der Unionsfraktion gegen die Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf unterschätzt, hieß es aus der Koalition, und sei daran gescheitert, eine stabile Mehrheit in den eigenen Reihen zu organisieren.

Brosius-Gersdorf war wegen ihrer liberalen Position zum Abtreibungsrecht ins Visier rechter Medien und Portale geraten, die gegen sie mobilisierten. In den Tagen vor der Wahl meldeten immer mehr Abgeordnete aus der Union Gesprächsbedarf an und erklärten, Brosius-Gersdorf aus Gewissensgründen nicht mitwählen zu können. Die in der geheimen Abstimmung notwendige Zweidrittelmehrheit schmolz wie Eis in der Sonne.

Diesmal muss Spahn also zeigen, dass der die Dinge besser im Griff hat. Und es sieht tatsächlich gut aus. Mit Sigrid Emmenegger hat die SPD eine Kandidatin nominiert, die als Richterin am Bundesverwaltungsgericht, qua Amt zurückhaltender auftritt als die Lehrstuhlinhaberin Brosius-Gersdorf und kaum Angriffsfläche bietet. Statt über Abtreibungen hat sie über Masten und Erdkabel publiziert. Themen, die niemanden so richtig zu triggern scheinen.

SPD noch „entspannter als die Union“

In der Fraktionssitzung der 208 Unionsabgeordneten am Montag sei an Spahn kein weiterer Austauschbedarf herangetragen worden, heißt es Teilnehmerkreisen. Der Vorsitzende der Jungen Gruppe Pascal Reddig teilte auf Anfrage mit: „Natürlich sind die Abgeordneten frei in ihrer Entscheidung, wir gehen aber von Zustimmung innerhalb der Jungen Gruppe aus.“ Im Juli war die Lage noch eine andere, gerade viele junge Abgeordneten waren auf Distanz gegangen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Dirk Wiese ist ebenfalls frohgemut. „Ich bin noch entspannter als die Union“, bekannte Wiese am Montag. Er sei nach vielen Gesprächen guter Dinge. Die Wahl aller drei Rich­te­r:in­nen – neben Emmenegger auch Ann-Katrin Kaufhold und Günter Spinner – findet am Donnerstagnachmittag in einem Wahlgang statt. Um abzustimmen haben die Abgeordneten zwei Stunden Zeit. Puffer genug, um auch Abgeordneten, die später anreisen, Zeit zu geben, ihre Stimme abzugeben.

Auch Grüne und Linke hatten am Dienstag keine Einwände gegen den Zeitplan. Einzig die AfD, meldete fundamentale Kritik an. Sie griff auch in der Woche vor der Wahl erneut die SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold an. Der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann raunte von einem „Unterwanderungsversuch“ der SPD, den die CDU durchwinke. Ebenso wie gegen Brosius-Gersdorf läuft seit Wochen eine faktenferne Schmutzkampagne gegen die Rechtsprofessorin Kaufhold, die als radikale Klimaaktivistin und Enteignungsbefürworterin dargestellt wird. Aus der AfD-Fraktion war zu hören, dass die Ablehnung von Kaufhold einhellig sei.

Extrem rechte Schmutzkampagne

Der AfD missfällt, dass Kaufhold in einem Interview Gerichten eine wichtige Rolle beim Klimaschutz zugebilligt hatte. Dabei hatte Kaufhold selbst die Bundesregierung bei Klimaklagen von Umweltverbänden vertreten, zudem wäre sie beim Bundesverfassungsgericht in der zweiten Kammer nicht für Klimafragen zuständig.

Ein weiterer Anwurf aus der extrem rechten Ecke ist, dass Kaufhold Enteignungsbefürworterin sei. Tatsächlich war die Juristin Teil einer 13-köpfigen Expert*innen-Kommission, die für die Berliner Landesregierung nach dem erfolgreichen Volksbegehren für die Vergesellschaftung von großen Wohungskonzernen prüfen sollte, ob und wie diese rechtlich umzusetzen wären. Enteignungen sieht das Grundgesetz im Artikel 15 ausdrücklich vor. Die Expertenkommission kam in einem 150-seitigen Gutachten mit renommierten Juristinnen zum Schluss, dass dies wie im Volksbegehren gefordert durchaus möglich sei. Aber auch für ein noch fehlendes Enteignungsgesetz wäre Kaufhold im zweiten Senat nicht zuständig.

Und AfD-Politiker Baumann behauptete diese Woche auch erneut, dass Kaufhold ein AfD-Verbot befürworte. Dabei hatte Kaufhold nicht dezidiert ihre Meinung zum AfD-Verbot geäußert, sondern lediglich davon gesprochen, dass es kein gutes Argument gegen einen Verbotsantrag sei, dass er scheitern könne. Der politische Prozess könne ein Scheitern in Karlsruhe durchaus aushalten, womit Kaufhold im Verbotsverfahren nach Expertenmeinung nicht einmal befangen wäre. Allerdings ist zumindest richtig, dass ihre Kammer für das AfD-Verbot zuständig wäre.

Aber wenn alles gut geht, kommt es auf die Stimmen der AfD ohnehin nicht an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare