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Verfassungsklage gegen Bremer HaushalteKlimaschutz kann Schulden begründen

Die Klimakrise kann Schulden im Haushalt rechtfertigen, urteilt der Bremer Staatsgerichtshof. Das könnte auch in andere Bundesländer wirken.

Können Schulden begründen, wenn das gut begründet ist: Straßenbahnen in Bremen Foto: Sina Schuldt/dpa

Der Bremer Senat hat am Donnerstag vor Gericht verloren – und gewonnen. Der Staatsgerichtshof hat nach einer Klage der oppositionellen CDU-Bürgerschaftsfraktion entschieden: Die Bremer Haushalte von 2023 und 2024 waren verfassungswidrig. Viel weiter reichende Bedeutung hat aber ein anderer Teil des Urteils: Einstimmig hat das Gericht klargestellt, dass Klimaschutz ein guter Grund sein kann, um Kredite aufzunehmen.

Die Klimakrise, so der Staatsgerichtshof, ist eine außergewöhnliche Notsituation, die sich der Kontrolle des Staates entzieht. Das hatte so bisher kein Gericht festgestellt. Sie kann damit prinzipiell auch Ausnahmen von der Schuldenbremse begründen. „Die heutige Entscheidung des Staatsgerichtshofes ist ein Meilenstein für den Klimaschutz“, sagte Finanzsenator Björn Fecker (Grüne). „Der Senat hatte mit dieser Begründung für Notlagenfinanzierungen rechtlich Neuland betreten und ist für diesen Mut heute belohnt worden.“

Die CDU hatte genau diesen Zusammenhang in ihrer Klage bestritten. Schließlich sei die Klimakrise ein lange andauerndes Ereignis, der neue Normalzustand eben. Und schließlich hätte man auch schon vor zehn, 20, 30 Jahren absehen können, was da kommt – und sich entsprechend darauf einstellen müssen. Jetzt Krise zu rufen und deshalb Schulden zu machen, das widerspreche dem Sinn der Schuldenbremse.

Das ließ der Staatsgerichtshof so nicht stehen. Auch eine lang andauernde Krise sei eine Krise – vor allem, wenn sie sich, wie der Klimawandel, nicht linear entwickle, sondern dynamisch, mit dramatischen Sprüngen. Gerade 2024 sei noch einmal klar geworden, mit welcher Brisanz die neue Klimarealität das menschliche Leben bedroht – um Kipppunkte zu vermeiden, sei schnelles und drastisches Handeln geboten.

Urteil auch außerhalb Bremens relevant

In der Bedeutung, betonte das Gericht außerdem, übertreffe der Klimawandel alle rein punktuellen Naturkatastrophen um ein Vielfaches. „Es geht um das Überleben der Menschheit und die planetare Gesundheit“, las Richter Peter Spehrlich aus der Urteilsbegründung vor.

Diese Entscheidung hat nicht nur Auswirkungen auf Bremen: Urteile von Staatsgerichtshöfen, also Landeverfassungsgerichten, werden auch bei Entscheidungen in anderen Bundesländern berücksichtigt. Wer in Stadt, Land oder Bund in Zukunft Klimaschutzmaßnahmen finanzieren will, aber im normalen Haushalt kein Geld dafür hat, der wird sich sehr genau anschauen, was der Bremer Staatsgerichtshof da entschieden hat.

Seit 2020 muss Bremen laut dem mit dem Bund und den anderen Ländern vereinbarten Konsolidierungspfad ohne Neuverschuldung auskommen; die Schuldenbremse in Bundes- und Landesverfassung verbietet die Aufnahme von Krediten. So weit die Theorie. Tatsächlich ist das laufende Jahr 2025, für das der Haushalt erst im Juni verabschiedet worden ist, das erste Jahr, in dem diese Regel zieht. Ab 2020 hatte Bremen Schulden mit Verweis auf eine Ausnahmeregelung der Schuldenbremse nach Artikel 131a, Absatz 3 gemacht: Aufgrund der Pandemie wurde eine besondere Notlage festgestellt.

Das war so weit unumstritten – und zog auch 2021 und 2022. Ab 2023 nutzte Bremen eine Kombination aus verschiedenen Gründen: Die Nachwehen der Pandemie, der Ukrainekrieg und die Energiekrise, sowie die Klimakrise träten gleichzeitig auf, verstärkten sich gegenseitig und lösten so eine Notlage aus, die nicht ohne Schulden gestemmt werden könnte.

Auch gute Gründe müssen gut begründet werden

Das Problem an den Bremer Haushalten: Die Idee war gut, die Umsetzung weniger. Laut Gericht fehlte es für die einzelnen Kredite und Posten an Begründungen durch den Gesetzgeber. Viel zu pauschal habe das Land argumentiert; Bremen hätte noch viel deutlicher machen müssen, warum die Ausgaben x und y und z sich jeweils nur durch Kredite finanzieren lassen könnten. Und: Warum und wie diese jeweiligen Ausgaben direkt mit einer der Begründungskrisen zusammenhängen.

Ein Beispiel: 2024 hatte Bremen mit den Notlagekrediten eine Extra-Geldspritze für Bus und Bahn finanziert. Der ÖPNV sei weiterhin durch Corona geschwächt, die Fahrgastzahlen hätten sich nicht wieder erholt, es sei aber wichtig, die klimafreundliche Mobilität zu stützen. Diese Begründung reichte dem Gericht nicht: Es sei überhaupt nicht dargelegt worden, warum die gesunkenen Fahrgastzahlen weiterhin auf die Coronakrise zurückzuführen seien. Wenn das Problem 2024 weiter bestehe, müsse man es vielmehr als neuen Normalzustand begreifen und aus dem normalen Haushalt finanzieren.

Die konkreten Folgen dieser Ablehnung für die Haushalte 23 und 24 sind überschaubar: Die Haushaltsgesetze sind mit den abgelaufenen Haushaltsjahren außer Kraft getreten. Sie werden vom Gericht nicht nachträglich für nichtig erklärt; das Urteil soll nur Leitplanken für die Zukunft darstellen. Das war in Schleswig-Holstein noch anders: Nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichts dort mussten Notlagenkredite aufgelöst und durch andere Kredite umgeschichtet werden.

Für die Zukunft macht der Staatsgerichtshof es dem Land Bremen nicht leicht, neue Schulden zu machen. Mehrere Regeln stellte er auf und bezog sich dabei auch auf die Urteile aus Schleswig-Holstein und vom Bundesverfassungsgericht: Je öfter eine Regierung von der Ausnahmeregel Gebrauch macht, desto besser muss die Begründung sein. Auch wenn mit Krisenkrediten Maßnahmen finanziert werden sollen, die vorher schon beschlossen waren, muss die Begründung umso besser sein. Und auch wenn eine Krise zu einem dauerhaften Zustand wird, gilt umso mehr: Die Begründung muss stimmen.

Zwar handelt es sich beim Klimaschutz (auch) um eine Zukunftsaufgabe. Dies bedeutet jedoch nicht, dass deren Bewältigung ausschließlich auf Kosten künftiger Generationen finanziert werden soll

Urteil des Bremer Staatsgerichtshofs

In der Summe stehen für den Haushaltsgesetzgeber damit ziemlich strenge „Darlegungspflichten“. Nur so könne sichergestellt sein, dass Notlagenkredite das bleiben, was sie sein sollen: Ausnahmen von der Regel, keine Schulden zu machen. Das gebiete auch die Generationengerechtigkeit. „Zwar handelt es sich beim Klimaschutz (auch) um eine Zukunftsaufgabe“, heißt es in der Urteilsbegründung. „Dies bedeutet jedoch nicht, dass deren Bewältigung ausschließlich auf Kosten künftiger Generationen finanziert werden soll.“ Die Verursacher lebten schließlich jetzt.

Die CDU gibt sich mit dem Urteil zufrieden: „Eine Notlage ist kein Freifahrtschein für neue Schulden“, fasst die Fraktionsvorsitzende Wiebke Winter zusammen. „Wer sich auf die Schuldenbremse beruft, muss nachweisen, dass jede einzelne Maßnahme tatsächlich hilft, die Notlage zu überwinden und nicht bloß strukturelle Finanzlöcher stopft.“ Man sei dem Staatsgerichtshof dankbar, mit welcher Gründlichkeit er die Haushalte geprüft habe, ergänzte der finanzpolitische Sprecher Jens Eckhoff. „Das Urteil bringt Klarheit für kommende Haushalte.“

Diese Klarheit will man im Finanzressort in den kommenden Monaten schaffen. Schon bei den Haushalten 2023 und 2024 habe man jeweils mehrere hundert Seiten für die Begründung aufgebracht, so Matthias Makosch, Sprecher des Finanzsenators. „In Zukunft sind es dann vielleicht Tausende.“

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