Verfall von Kubas Binnenökonomie: Kuba wartet auf den Obama-Effekt
Die Wirtschaft des Inselstaates verharrt in Agonie. Statt viel Leistung für wenig Lohn zu bringen, wie von Raúl Castro verlangt, arbeiten die meisten Kubaner auf Sparflamme.
"In Kuba gibt es drei Klassen von Arbeitern. Die, die wirklich arbeiten. Die, die nur zur Arbeit kommen, um das Mittagessen mitzunehmen, und die, die gar nicht mehr auftauchen", sagt Gabriel Calaforra und deutet von seinem Balkon auf die Straße. Dort sitzen viele seiner Nachbarn auf dem Bürgersteig. Die einen starren vor sich hin, die anderen haben die Straße im Auge, um Polizisten oder Touristen zu melden. An die einen möchten sie nur zu gern die Produkte aus der kleinen Tabakmanufaktur verkaufen, die in einem der Hinterhöfe untergebracht ist. Vor den anderen muss man die Belegschaft, die in der Hinterhofmanufaktur fleißig falsche Cohibas und Montecristos rollt, warnen.
Die Szene ist nichts Ungewöhnliches in Centro Habana, wo viele der prächtigen Gründerzeithäuser in einem jämmerlichen Zustand sind und wo vor allem die Jugendlichen ihrer eigenen Wege gehen. "Für die Jobs und die Löhne, die der kubanische Staat anbietet, interessiert sich hier kaum jemand", erklärt Calaforra. In einem anderen Leben vertrat der Mann mit dem weißen Haarschopf das offizielle Kuba als Botschafter in Dänemark. Schnee von gestern, heute gilt Calaforra als Dissident. In seinem Apartment im vierten Stock treffen sich Studenten und Intellektuelle und tauschen sich aus - über den kubanischen Alltag und das Neueste aus der weiten Welt. Die Lust an Auseinandersetzung treibt sie in das heruntergekommene Apartment. Calaforra deutet auf kaputte Türeinfassungen und die verrottete Balkontür: "Es ist mir verboten, meine eigene Wohnung zu renovieren. Auf legalem Weg bekomme ich weder das nötige Holz noch einen Handwerker. Das ist ein Grund für den überall sichtbaren Verfall in Kuba", erklärte er.
Ein anderer Grund ist die Lücke zwischen Löhnen und Preisen. Auf 230 Peso Nacional, umgerechnet knapp 7 Euro, beläuft sich das Einstiegsgehalt eines Lehrers. Alles andere als attraktiv, wenn man weiß, dass eine vierköpfige Familie mindestens 1.600 Peso Nacional benötigt, um über die Runden zu kommen - das schätzt zumindest das Forschungsinstitut der kubanischen Wirtschaft (CEEC).
Diese Diskrepanz ist für die Sozialwissenschaftler des Instituts ein Grund für die fehlende Dynamik, welche vor allem den Binnensektor der kubanischen Wirtschaft kennzeichnet. Das Sorgenkind par excellence ist dabei die Landwirtschaft, die schlicht zu wenig Lebensmittel produziert, um die Bevölkerung zu versorgen. Auf mindestens 2 Milliarden US-Dollar schätzen Agrarexperten wie Armando Nova vom CEEC den Importbedarf im laufenden Jahr. Mitverantwortlich dafür sind auch die immensen Schäden von insgesamt drei Hurrikanen, die die Insel verwüsteten.
Doch die Appelle der politischen Führung, härter zu arbeiten, fruchten nur partiell, weil die strukturellen Reformen, die der seit Februar regierende Staatschef Raúl Castro versprochen hat, auf sich warten lassen. Statt Dezentralisierung lautet die aktuelle Parole allem Anschein nach Zentralisierung. Die Monopolisierung der Wirtschaft von Staats wegen treibt neue Blüten. Für die Analysten vom CEEC ein Eigentor angesichts der negativen Effekte der internationalen Finanzkrise und der auf 10 Milliarden US-Dollar taxierten Schäden durch die drei Wirbelstürme. Nickel, Kubas wichtigstes Exportprodukt, ist nur noch ein Fünftel dessen wert, was vor der Krise pro Tonne auf dem Weltmarkt gezahlt wurde. "Auch beim Tourismus müssen wir mit Einbußen rechnen, denn Finanzkrisen dämpfen die Reiselust", sagt Omar Everleny vom CEEC. Neue Impulse erwartet der Ökonom erst mit dem für Ende 2009 anvisierten Parteitag der kommunistischen Partei.
Bis dahin heißt das Prinzip Hoffnung. Dabei kommt den USA eine wichtige Rolle zu. Barack Obama könnte, so ist in Kuba immer wieder zu hören, mit Reiseerleichterungen für einen touristischen Aufschwung sorgen, und vielleicht steht das Handelsembargo ja auch bald zur Disposition. Viele US-Unternehmen würden es begrüßen. So machten US-Agrarkonzerne auf der Messe von Havanna Anfang November gute Geschäfte mit dem Mangel in Kuba. Für etliche Millionen US-Dollar orderten die Kubaner Lebensmittel - eine direkte Folge der Agonie, in der große Teile der Inselwirtschaft vor sich hin dämmern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance