Verfahren zu Chemnitz-Totschlag: Sachsen als Schauplatz infragegestellt
Im März wird der Prozess zum Tod von Daniel H. starten. Die Verteidiger fordern, dass es außerhalb Sachsens stattfindet – aus Sicherheitsgründen.
Eine Gerichtssprecherin bestätigte, dass ein entsprechender Antrag beim Landgericht einging. Nach taz-Informationen werden darin Sicherheitsrisiken und zu erwartende Protestaktionen angeführt, sollte der Prozess in Chemnitz stattfinden. Auch heißt es darin, diese würden in die Zeit des Landtagswahlkampfs fallen, rechte Parteien könnten das Verfahren instrumentalisieren. Ein fairer Prozess sei so gefährdet. Die Verteidiger von Alaa S. beantragten außerdem, die Verhandlung auch nicht in Thüringen und Brandenburg stattfinden zu lassen, wo im Herbst ebenfalls gewählt wird.
„Der Antrag ist noch in Bearbeitung“, sagte die Gerichtssprecherin der taz. Wahrscheinlich werde das Oberlandesgericht Dresden darüber entscheiden.
Die Anklage wirft Alaa S. gemeinschaftlichen versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung vor. In der Nacht des 26. August 2018, um 3.15 Uhr, soll der noch flüchtige Beschuldigte Farhad R. mit dem Chemnitzer Daniel H. in Streit geraten sein. Laut Süddeutscher Zeitung und ARD soll sich Farhad R. nach Kokain erkundigt oder dieses angeboten haben, H. habe ihn zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft teilte dagegen mit, der Grund für den Streit „konnte bislang nicht aufgeklärt werden“.
Die Beweislage ist noch immer unklar
Auf den Streit seien „wechselseitige Tätlichkeiten“ gefolgt, so die Anklage. Alaa S., der sich zuvor in in einem nahen Döner-Imbiss befand, eilte Farhad R. daraufhin zur Hilfe. Es folgten die Messerstiche auf Daniel H., einer traf ihn ins Herz, einer in die Lunge – der 35-Jährige verstarb noch am Tatort.
Die Beweislage gegen den nun angeklagten Alaa S. bleibt indes unklar. Mehr als 100 Zeugen befragten die Ermittler. Viele beobachteten das Geschehen aber nur aus der Ferne. Laut seinen Verteidigern ergebe sich auch aus den DNA-Spuren kein konkreter Tatverdacht gegen Alaa S. Man werde auf Freispruch verteidigen, sagte der Verteidiger von Alaa S. bereits direkt nach Anklage-Erhebung der taz.
Offenbar ist es vor allem ein Zeuge, der Alaa S. belastet. Er will Stichbewegungen des Syrers gesehen haben, allerdings auch aus einiger Entfernung. Laut Süddeutscher Zeitung und ARD wurde der Mann zuletzt von Bekannten von S. bedroht, auch mit einem Stuhl beworfen. Eine entsprechende Anzeige sei im September gestellt worden. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz wollte sich dazu nicht äußern. Die Sprecherin des Landgerichts sagte, die verhandelnde Kammer prüfe selbstverständlich alle nötigen Sicherheitsmaßnahmen für den Prozess und dort auftretende Zeugen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen