Verdrängung von PM(D)S-Symptomen: So schlimm war es noch nie
„Ist das der Serotoninmangel oder ist mein Leben scheiße?“, fragen sich viele Menschen mit Zyklus. Das hat mit Verdrängung von PM(D)S-Symptomen tun.
E s ist doch zum Haareraufen. Trotz der Zyklus-Apps, trotz so viel angehäuftem Wissen über PM(D)S, garniert mit ausreichend Erfahrungsschatz, denke ich bei jedem Zyklus aufs Neue: So schlimm war es selten. Das hier ist nicht bloß PM(D)S, es ist mein Leben, das so scheiße ist. Ich gaslighte mich praktisch selbst.
Mein Zyklus ist nicht ganz regelmäßig, das heißt, dann und wann geht es schon früher los mit den pausenlosen mentalen Strapazen, und das wiederum erschwert mir die Einordnung. Ist es wirklich hormonell bedingt? Hasse ich mein Leben, weil mein Gehirn zu wenig Serotonin abbekommt, oder war es das jetzt mit meiner Resilienz und die Traurigkeit gehört von nun an zu mir, wie meine Cellulitis?
Selbst wenn mein Zyklus pünktlich ist, wenn in meiner App die grauen Wolken auftauchen, die mir sagen wollen: Pack den Regenschirm aus, es ist Tränenzeit. Die mir versichern, dass es der Serotoninmangel ist und nicht das Leben an sich. Selbst dann zweifele ich häufig daran, die Verzweiflung, die Traurigkeit, die Wut und das Selbstmitleid schon mal derart intensiv gefühlt zu haben.
Was für einen Streich spielt einem das Gehirn denn da?
Meine Freundin S. und ich tauschen viele Sprachnachrichten aus, wenn ihr PM(D)S beginnt, höre ich es an ihrer Stimmlage. Ihre sonst in sich ruhende, eher sanfte Stimme vibriert dann. Als hätte es sich die durch PM(D)S ausgelöste Aggression auf ihren Stimmbändern bequem gemacht. Dieses Mal wurde sie mit einem Sinnbild beehrt. Als sie ohnehin schon entnervt und entkräftet aus dem Supermarkt nach Hause kam und ihre Einkäufe auspackte, fand sie dort neben Milch, Gemüse, Schokolade und Katzenfutter auch Maden vor. Wenn ihr serotoninarmes Gehirn das Fass war, so waren die Maden der Tropfen, der es zum Überlaufen brachte.
Traurigkeit, Wut, Aggression, Neid, Verzweiflung
„Glaub mir, Sarah, ich hatte noch niemals so schlimmes PM(D)S, das spüre ich doch. Mein Leben, das sind die Maden. Was ich anfasse, verfault, was ich versuche, misslingt, was ich fühle, bringt mich um.“ Diesmal war ich in der Beobachterinnenrolle. Ihre Sprachnachricht erreichte mich um die Zeit des Eisprungs. Da bin ich – soweit mir das bei meiner wunderlichen Persönlichkeit möglich ist – in meiner Mitte. Um den Eisprung herum weiß ich, dass Gefühle kommen und Gefühle gehen. Nichts bleibt so schön und nichts bleibt so schrecklich, wie es einem in hellen und dunklen Stunden erscheint.
Doch zwei Wochen später ist von dieser reflektierten Person wenig übrig. Von wegen alles in Bewegung. Mein Fühlen ist eine Statue, geformt aus Traurigkeit, Wut, Aggression, Neid, Verzweiflung, Argwohn.
Wie kann das sein? Hat es mit Verdrängung zu tun? Diesem zu Unrecht verpönten Bewältigungsmechanismus? Wahrscheinlich.
Die allmonatlich erneute Überzeugung, niemals vorher in solcher Intensität seinen Gefühlen ausgeliefert gewesen zu sein, erinnert mich an das Weihnachtsparadox. So nenne ich das Phänomen, Weihnachten mit der Familie zu verbringen, obwohl man sich jedes Jahr schwört: „Das war das letzte Mal, reißt eure sexistischen Witze ohne mich, kommentiert meinen Körper von nun an hinter meinem Rücken, zerfetzt euch in meiner Abwesenheit.“ Nur um dank Verdrängung das nächste Jahr wieder mit den gleichen Menschen und der gleichen Überzeugung, die lautet „So schlimm war es noch nie“, um einen Tisch zu sitzen.
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