Verdrängung in Mitte: Zu oll für den Hackeschen Markt
Nach nur 20 Jahren lässt ein Spekulant ein Seniorenheim abreißen, eine lukrativere Verwertung winkt. Die Rentner werden verteilt.
Doch das soll sich nun ändern. Am Montag teilte der Pressesprecher des Pflegeheim-Unternehmens Pro Seniore, Peter Müller, den BewohnerInnen mit, dass sie bis Ende Juni die Einrichtung verlassen müssen. Der Hauseigentümer, seit 2014 die DC Value aus Hamburg, will das erst vor 20 Jahren errichtete Gebäude abreißen lassen.
Im Neubau sollen Gewerbeflächen auf zwei Etagen und – davon ist auszugehen, hochpreisige – Wohnungen entstehen. „Erwerb von Bestandsimmobilien, mit kurz bis mittelfristigem Wertsteigerungspotential“ nennt sich das im Unternehmensprofil.
Am Dienstagmorgen stehen Silke Gebel, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, und Taylant Kurt, grüner Abgeordneter der Bezirksverordnetenversammlung Mitte, vor der „Residenz“ – sie wollen zum Geschäftsführer. Für Gebel sind die Senioren Ausdruck einer „sozialen Mischung“. Kurt sagt: „Das ist ein massiver Verlust sozialer Infrastruktur. Die werden wir hier in Mitte nicht noch einmal bekommen.“ Die von den SeniorInnen genutzten Edeka- und Rossmann-Filialen im Haus sind bereits ausgezogen.
„Gangbarer Kompromiss“
Pro-Seniore-Sprecher Müller gibt zu, dass die BewohnerInnen auf die Nachricht ihres baldigen Auszugs zunächst „skeptisch und enttäuscht“ reagiert haben. Dann spricht er über einen „verjüngten Kiez“, die „schlechte Rettungssituation vor Ort“ und einen „gangbaren Kompromiss“. Mit Letzterem meint er, dass 29 BewohnerInnen, die bisher selbstständig in eigenen Appartements wohnen, ein Rückkehrrecht in den Neubau haben. Für sie würden seniorengerechte Wohnungen gebaut. Bis es so weit ist – wohl in 18 bis 24 Monaten –, kommen sie in Ausweichheime am Kurfürstendamm oder in Spandau.
Die meisten der pflegebedürftigen BewohnerInnen werden zurück in die Genthiner Straße nach Schöneberg ziehen, wo sie vor drei Jahren wegen Renovierungsarbeiten ausgezogen waren. Übrig bleiben 49 SeniorInnen, denen ein Platz in einem Heim in Friedrichshain angeboten wird. Pro Seniore gibt das Haus nicht gegen den eigenen Willen auf – ursprünglich bestand ein Mietvertrag bis 2023 mit Option auf eine fünfjährige Verlängerung.
Die Genehmigung für den Neubau hat der Bezirk bereits Ende 2016 erteilt. Baurechtlich gab es keine Handhabe. Dass der „moderne Neubau“, wie der Betreiber das Heim bislang anpreist, nach nur 20 Jahren abgerissen wird, bezeichnet Silke Gebel als „absurd“. „Offensichtlich“, sagt sie, „bringt das mehr Rendite.“ Sie forderte, dass die Bezirksverordneten den Eigentümer im Bauausschuss vorladen. „Ich erwarte von ihm, dass er im neuen Haus für eine Durchmischung der BewohnerInnen sorgt“, so Gebel.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden