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Kurdischer Familie droht AbschiebungProtest mit Polizeieskorte

Seit einem Monat sitzt eine Familie im Transitbereich des BER fest. Am Freitag soll sie in die Türkei abgeschoben werden. Den Eltern droht dort Haft.

Die „Sammelstelle für Abschiebungen“ am BER am Mittwochabend Foto: Cristina Plett

Berlin/Schönefeld taz | Der Protest an diesem Mittwochnachmittag am 11. August beginnt nach einem kurzen Spaziergang, flankiert von Polizist*innen. Auf dem letzten Teil des Weges zur Kundgebung vor dem Abschiebegefängnis am BER, hinter dem Gelände des alten Flughafens Schönefeld, eskortiert die Polizei die Protestierenden. Ist ja Flughafengelände.

Umgekehrt wurden früher am Tag schon die hinaus gebracht, für die dieser Protest stattfindet: die kurdische Familie C., die aus der Türkei über die Ukraine nach Deutschland geflohen ist. Am 16. Juli sollen die vier Personen am BER angekommen sein, seitdem gelten sie als noch nicht eingereist. Stattdessen werden sie im Transitbereich des Flughafens festgehalten. Am Freitag um 6 Uhr sollen sie mit einer Ryanair-Maschine in die Ukraine abgeschoben werden.

Rund 60 Menschen sind gekommen, um dagegen zu protestieren. Dazu aufgerufen hatte die Berliner Gruppe „No Border Assembly“. Die Familie bekommt davon nichts mit; damit sie während der Demonstration weg ist, hat die Polizei sie für den Nachmittag in die Erstaufnahmeeinrichtung des DRK in Wünsdorf gebracht. Als eingereist gilt sie trotzdem nicht.

Zwei Anträge auf Asyl abgelehnt

Der erste Asylantrag der Familie sei im Schnellverfahren bearbeitet und abgelehnt worden, heißt es in einer Presseerklärung des Flüchtlingsrats Brandenburg. Die Bitte der Familie, vor der Anhörung ei­ne*n An­wäl­t*in kontaktieren zu dürfen, sei ebenso abgelehnt worden. Am Nachmittag der Kundgebung wird bekannt, dass das Verwaltungsgericht Potsdam auch den zweiten Antrag ablehnt, dies jedoch an Bedingungen knüpft: Es müsse geprüft werden, ob die medizinische Versorgung im Zielland sichergestellt sei. Ob das die Ukraine oder die Türkei ist und wer das kontrollieren soll, lässt das Gericht offen. Möglicherweise verzögert das die Abschiebung um ein paar Tage.

Über Odessa war das Ehepaar C. mit seinen vier Kindern geflüchtet, zwei der vier Kinder haben die Eltern laut Flüchtlingsrat dort zurücklassen müssen. Der Berliner Linken-Abgeordnete Hakan Taş erklärt am Rande der Kundgebung die politische Brisanz dieser Abschiebung: „Die Türkei hat mit der Ukraine eine Vereinbarung, so dass es einfacher ist, sie weiter abzuschieben. Wenn sie in die Türkei zurückkommen, werden sie direkt verhaftet.“

Die Familie ist nicht nur kurdisch, eine Minderheit in der Türkei, sondern auch politisch aktiv: Der Mann soll vor Jahren gefoltert worden, die Frau in der pro-kurdischen Partei HDP aktiv gewesen sein. Die Partei sieht sich in der Türkei zunehmend mit Repressionen konfrontiert, ein Verbotsverfahren wurde im Juni eingeleitet.

Zur Kundgebung ist auch eine ehemalige Abgeordnete der HDP gekommen, Sibel Yiğitalp. Gegen sie wurde in der Türkei wegen ihrer politischen Aktivität ermittelt, seit zwei Jahren lebt sie daher in Deutschland. „Einerseits möchte man keine Flüchtlinge aufnehmen, andererseits werden mit Ländern wie der Türkei Kooperationen geschlossen“, kritisiert sie auf der Kundgebung. Die Kur­d*in­nen in der Türkei stünden unter großem Druck, so Yiğitalp: „Bürgermeister der HDP werden abgesetzt.“

Für das Potsdamer Verwaltungsgericht hingegen liege die politische Aktivität des Mannes zu lange zurück, so der Berliner Flüchtlingsrat. Auch die der Frau würde nicht ausreichen.

Fall bei Bundestagsabgeordneten angekommen

Der Fall ist bereits in der Bundespolitik angekommen. Grünen-Bundestagsabgeordnete Canan Bayram hat die Familie am Dienstag besucht und sich an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und dessen Staatssekretär gewandt, ohne eine Antwort erhalten zu haben: „Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum man jetzt um jeden Preis diese Familie abschieben will. Das hat nichts mehr mit maßvollem Umgang zu tun“, erklärte sie gegenüber der taz. Im persönlichen Gespräch hätten alle vier Familienmitglieder auf sie einen psychisch belasteten Eindruck gemacht.

Die Frau hat laut Flüchtlingsrat nach dem ersten abgelehnten Asylantrag einen Suizidversuch begangen, wurde daraufhin ins Klinikum Neukölln gebracht. Auch ihr Ehemann gilt als psychisch krank.

Eine Ärztin, die die beiden vor der Abschiebung untersuchte, soll daher beide als nicht reisetauglich befunden haben. Daraufhin soll ein zweiter Arzt hinzugezogen worden sein, der beiden die Reisefähigkeit bescheinigte. „Eine sehr fragwürdige Art und Weise“, findet Bayram das, sie will dem im Innenausschuss nachgehen.

Das Brandenburgische Innenministerium war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Ein Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ließ verlauten, man könne sich „aus datenschutzrechtlichen Gründen grundsätzlich nicht zu Einzelfällen im Asylverfahren äußern“.

Am Abend nach der Demonstration wurde Familie C. wieder zum BER gebracht, so der Berliner Flüchtlingsrat. Inzwischen sei ihr das WLAN abgestellt worden.

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1 Kommentar

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Es ist sehr bedauerlich, wenn am Ende der Flucht die Abschiebung steht.

    Das Problem ist jedoch, dass Deutschland Flüchtlinge anzieht, viel mehr als die anderen EU-Staaten. Dazu der einstige Merkel-Entscheid - eine Katastrophe!

    Aus ganz Afrika, Afghanistan, Syrien, Mynamar, Weißrußland, Naher Osten, usw. kommen die Menschen hierher. Die Bearbeitung eines Asylantrags dauert Monate, wenn nicht Jahre. Das weckt Hoffnungen, endgültig hier zu bleiben. Groß ist das Geschrei, wenn nach 2 Jahren entschieden wird, die Person muss gehen.

    Eine Regelung über die Verteilung auf die anderen EU-Staaten gibt es nicht, wie jeder weiß. Passt nicht zu unserer Kultur, argumentieren z.B. die Polen. Das ist natürlich ein klarer Rechtsbruch in Sachen Asyl.

    Das kostet alles viel Geld - unser Geld! In Polen, Ungarn, Tschechien hält man lieber die Hand in Brüssel auf.

    Klar, das Asylrecht erlaubt es jedem Verfolgten auf der Welt, nach Deutschland bzw. in die EU zu kommen und einen Asylantrag zu stellen, sofern man in der Lage war, die enormen Summen an die Schlepper zu bezahlen.



    Lösung ist nicht in Sicht.