Verbotsverfahren in Türkei: Der HDP geht es an den Kragen
Das türkische Verfassungsgericht macht den Weg frei für ein Verbot der kurdisch-linken HDP. Die Partei ist für Präsident Erdoğan gefährlich geworden.
Damit kann nun ein monatelanges Verfahren beginnen, das wahrscheinlich erst im kommenden Jahr beendet sein wird. Die Staatsanwaltschaft fordert nicht nur ein Verbot der HDP, sondern will auch 500 der führenden Kader der Partei für mindestens fünf Jahre mit einem Politikverbot belegen lassen. Dadurch soll verhindert werden, dass die HDP unter einem neuen Namen ihre Arbeit fortsetzt. Außerdem will die Staatsanwaltschaft, dass die Bankkonten der Partei sofort gesperrt werden, was das Verfassungsgericht am Montag jedoch zunächst ablehnte.
Die HDP ist die bislang erfolgreichste Partei aus einem kurdischen Umfeld in der Türkei. Ihren zahlreichen Vorgängerinnen war es nie gelungen, die extra zur Verhinderung einer parlamentarischen Repräsentanz der KurdInnen eingeführte Zehnprozenthürde zu nehmen. Kurdische PolitikerInnen waren bis dahin nur auf Listen anderer Parteien oder als Unabhängige ins Parlament eingezogen.
Der jahrzehntelange Kampf für eine echte parlamentarische Vertretung der kurdischen Minderheit hatte erst unter der Führung des populären Selahattin Demirtaş im Frühjahr 2015 Erfolg, als die HDP mit über 13 Prozent die Zehnprozenthürde überwand. Trotz massiver Repression gelang der HDP seitdem bei zwei weiteren Wahlen der Wiedereinzug ins Parlament in Ankara, zuletzt 2018 bereits ohne Demirtaş, der da schon im Gefängnis saß.
Terrorvorwurf gegen die HDP
Das Parteiverbotsverfahren wird nun parallel zu einem Gerichtsprozess gegen Demirtaş und andere führende HDP-PolitikerInnen stattfinden, die beschuldigt werden, im Oktober 2014 zu illegalen Demonstrationen aufgerufen zu haben, um die Kurden in Syrien bei ihrem Kampf gegen die Terrororganisation IS gegen den Willen der türkischen Regierung zu unterstützen. Demirtaş droht eine Haftstrafe von über 100 Jahren.
Sowohl der Prozess gegen den populären Parteiführer als auch das anstehende Verbotsverfahren sollen dafür sorgen, dass die um mehr Selbstbestimmung kämpfenden KurdInnen in der Türkei politisch ausgeschaltet werden. Die wesentliche Begründung dafür ist, die HDP unterstütze den „Terror“ der militanten PKK und sei in Wahrheit keine politische Partei, sondern ein Handlanger der Terrororganisation.
Dass damit mehr als sechs Millionen WählerInnen pauschal als „Terrorunterstützer“ abgestempelt werden, nimmt die Regierung in Kauf. Die andauernde Dämonisierung der HDP hat zudem immer wieder zu Attacken gegen die Partei geführt. Erst vergangene Woche hatte ein bewaffneter Attentäter das HDP-Parteibüro in Izmir angegriffen und eine junge Frau getötet.
Der wichtigste Grund für das nun anstehende HDP-Verbotsverfahren dürfte sein, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan befürchten muss, in der Wahl 2023 keine parlamentarische Mehrheit mehr zu erreichen, sollte ein gemeinsamer Kandidat der republikanischen Opposition auch von den KurdInnen unterstützt werden. Schon im Jahr 2015 hatte Erdoğans AKP durch den Einzug der HDP ins Parlament ihre absolute Mehrheit verloren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit