Veränderungen bei Tierschutz-Siegel: Ein Angebot für die Agrarindustrie
Bislang will kaum eine Legehennenfarm das Label „Für mehr Tierschutz“. Deshalb lässt der Tierschutzbund nun deutlich größere Betriebe zu.
Der Tierschutzbund, die größte deutsche Tierschutzorganisation, hatte das Siegel „Für mehr Tierschutz“ 2013 eingeführt. Es soll zum Beispiel Fleisch und Eier kennzeichnen, deren Preise zwischen denen für Standard- und Bioware liegen. Beide Varianten des Labels (1 oder 2 Sterne) verlangen unter anderem etwas mehr Platz im Stall, sind aber meist nicht so streng wie das Öko-Siegel.
Zwar hat sich das Tierschutzlabel bislang kaum am Markt durchsetzen können. Doch es wird diskutiert als Vorlage für das von Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) geplante staatliche Tierwohlsiegel. Deshalb sind Änderungen am Label des Tierschutzbunds politisch relevant.
Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass beispielsweise die Stallgröße von 9.000 Legehennen viele Betriebe daran gehindert habe, an dem Programm teilzunehmen, so der Verband. „Mit der Anpassung wollen wir die Landwirte dort abholen, wo sie stehen.“ Sie werde ab 1. Dezember gelten.
Kritik von Bauern
Nun habe der Tierschutzbund bereits einen Interessenten, der konkret die Umstellung auf die neuen Bestandsvorgaben plant und damit die jetzige Tierzahl des Betriebes quasi halbiert. „Weitere Interessenten planen und bauen neue Ställe in der Größenordnung und unter Einhaltung der weiteren Kriterien“, so der Verband.
Eckehard Niemann, Agrarindustrieexperte der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, kritisierte die höheren Tierzahlgrenzen scharf. Bürgerinitiativen würden viele Legehennen-Anlagen dieser Größe verhindern. Das Bundesbauministerium wolle mit einer Reform des Baugesetzbuchs ein Vetorecht der Gemeinden gegen sämtliche Anlagen mit mehr als 15.000 Legehennen einführen. „Da ist dies ein umwelt-, nachbarschafts- und tierschutzschädliches Vorhaben – zugunsten agrarindustrieller Dimensionen und zulasten bäuerlicher Strukturen“, sagte Niemann der taz. Größere Anlagen verursachen oft mehr Gestank und Belastungen der Zufahrtstraße.
Je größer die Tierzahl und je größer die Zahl der Tiere pro Gebäude, desto weniger könne das Auslaufareal genutzt werden, das die 2-Sterne-Variante des Labels vorschreibt, ergänzte Niemann. „Zwar sind rechnerisch jedem Tier bestimmte Quadratmeter zugemessen, aber aus der großen Herdentierzahl folgt, dass viele dieser Quadratmeter viel zu weit von den Stallausgängen liegen müssen. Das wiederum hat oft zur Folge, dass sich in der Nähe der Ausgänge zu viele Tiere befinden, deren Exkremente dort zu Problemen mit Parasiten führen“, argumentierte der Bauernaktivist.
Außerdem wird oft die Grasnarbe schneller weggepickt, sodass Schadstoffe aus den Ausscheidungen der Tiere leichter ins Grundwasser gelangen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin