VenezolanerInnen in Kolumbien: Voller Hoffnung auf Veränderungen
Angesichts des Machtkampfs in ihrem Heimatland fiebert die Exilgemeinde mit ihren Landsleuten. Der Optimismus überwiegt.
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E s gibt kein Zurück mehr. Davon ist Argenis Alvarado überzeugt. Das, was in seiner venezolanischen Heimat mit Juan Guaidó passiert, lässt sich nicht mehr umkehren. Wenn er an den selbsternannten Interimspräsidenten denkt, breitet sich Freude auf seinem Gesicht aus. „Ich weiß nicht, wann oder wie“, sagt der 31-Jährige. „Aber die Veränderung kommt.“
Seit neun Monaten lebt der Akademiker in Bogotá und arbeitet als Spinning-Trainer in einem Fitnessstudio. Es sei ihm relativ gut in Caracas gegangen, sagt er. Aber seine Mutter und Großmütter hätten Bluthochdruck. Medikamente seien kaum zu bekommen. „Ich muss jetzt dorthin gehen, wo ich noch etwas aufbauen und ihnen helfen kann“, sagt Alvarado.
1.000 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Caracas und Bogotá. Wohl nirgends sonst fiebern so viele mit den Menschen in Venezuela mit. Fast 1,2 Millionen Venezolaner*innen leben in Kolumbien. Bei 50 Millionen Einwohnern ist das eine Menge. Vor allem, wenn das Land gerade den mehr als 50 Jahre dauernden bewaffneten Konflikt mit der größten Guerillagruppe Farc beendet hat und weiter gegen Rebellengruppen, Paramilitärs und Drogenbanden kämpft.
Dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier diese Woche bei seinem Südamerika-Besuch Kolumbien für dessen Einsatz für die venezolanischen Flüchtlinge Respekt zollte, ging in den kolumbianischen Medien trotzdem fast unter.
Rebellen-Unterhändler ausliefern
Schlagzeilen machte Präsident Iván Duque, der bei der Abschlusserklärung von Kuba forderte, die Unterhändler der ELN-Rebellen bei den Friedensgesprächen auszuliefern. Nach dem Attentat auf die Polizeiakademie in Bogotá hatte die Regierung diese abgebrochen. Danach reiste Duque nach Washington zu Präsident Trump. Hauptthema: Venezuela.
Dass die USA und andere Staaten Guaidó anerkannt haben, ist ein Grund, weshalb Spinning-Trainer Alvarado voller Hoffnung ist. Dass die USA die Finanzen der Maduro-Leute eingefroren haben und die Erdöleinnahmen wegen der Sanktionen sinken, sind weitere. Und die humanitären Hilfsgüter. 100 Tonnen davon stecken an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze fest, weil Präsident Nicolás Maduro die Einfuhr verweigert.
Alejandra Valles, Gasingenieurin
Guaidó zeigte trotzdem am Montag auf Twitter Bilder von ersten Hilfsgütern mit US-Aid-Aufklebern. Alvarado bezweifelt nicht, dass diese echt waren. Seine Familie betreibt in Caracas eine Klinik. Das geht einigermaßen, weil alle seit Jahren gestiftete Medikamente persönlich im Ausland abholen und importieren. „Wenn wir das können, dann schaffen das Organisationen erst recht“, sagt er. Er glaubt an die große Hilfslieferung, die Guaidó für den 23. Februar verspricht.
„Endlich stellt sich jemand Maduro entgegen“, freut sich auch Alejandra Valles (24). Es sind vor allem die Jungen wie Valles, die Venezuela verlassen. Sie wollte ihre Familie entlasten. Derzeit arbeitet die Gasingenieurin in einem Sandwich-Lokal. „Wenn Maduro geht, gehe ich zurück nach Venezuela“, sagt Valles. „Ich will mein Land mitaufbauen. Guaidó wird Erfolg haben. Wann, weiß nur Gott.“
Erinnerungen an den Hunger
Eher früher als später, sagt Verónica Angarita. Die 30-jährige Anthropologin aus Caracas hat dank ihres Vaters einen kolumbianischen Pass. Sie erinnert sich noch gut an den Hunger der ersten Zeit in Kolumbien.
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Heute arbeitet sie als Besucherführerin im Wissenschaftspark Maloka. „Ich kenne Leute, die bei der Maduro-Regierung arbeiten“, sagt Angarita. „Sie sagen: Es geht zu Ende.“ Die Regierungsleute seien dabei, Geld auf ihre Konten zu schaufeln und alle Beweise zu vernichten.
„Ich bin skeptisch“, sagt Angarita. „Aber das ist das erste Mal seit mehr als zehn Jahren, dass sie mir das sagen.“ Fitnesstrainer Alvarado hofft, dass Maduro und seine Familie gegen eine Amnestie das Land verlassen. Sonst bleibe nur die Militärinvasion.
Selbst wenn Guiadó Erfolg habe, dauere es 20 Jahre, bis Venezuela wieder bewohnbar sei, glaubt Angarita. Schon jetzt könnten die Exilvenezolaner*innen ihre Familien kaum unterstützen. Geld zu schicken lohnt nicht, weil man dafür weniger bekommt als hier“, sagt Angarita. Ihre Eltern wollen nicht nach Kolumbien. „Spätestens in einem Jahr werden sie hier sein. Sie haben keine Wahl.“
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