Venedig unter Wasser: Schöne Katastrophe

Die Hochwasser in Venedig sind längst zur medialen Kulisse geworden. Die Stadt leidet derweil an ihrer touristischen Übernutzung.

Eine Dame macht ein Selfie am überschwemmten Markusplatz

Am Donnerstag in Venedig, Markusplatz Foto: Manuel Silvestri

VENEDIG taz | Schon komisch, wenn man von der größten Hochwasserkatas­trophe in Venedig seit 53 Jahren nichts anderes sieht als das schöne Spiegelbild der Goldmosaiken des Markusdoms und tapfere Touristen in Wegwerfstiefeln, die den Gezeiten die Stirn bieten. Keine Spur von der zerstörten Uferbefestigung an der Riva dei Sette Martiri, wo ein 40 Tonnen schweres Vaporetto auf das Ufer gespült wurde, nichts von den Marmorsäulen, die kreuz und quer herumliegen, als hätte ein Riese kegeln gespielt. Nichts vom Zeitungskiosk, den das Hochwasser in den Giudecca-Kanal geschwemmt hat. Nichts von den venezianischen Kindern, die nicht zur Schule gehen können, nichts vom venezianischen Alltag.

Nichts davon, dass die Menschen in den wenigen verbliebenen Werkstätten (und ja, es gibt in Venedig noch Handwerker und Unternehmer, die Arbeitsplätze geschaffen haben, die nichts mit dem Tourismus zu tun haben!) zu retten versuchen, was noch zu retten ist, Arbeitsmaterial, Lagerbestände. Nichts davon, dass in den Restaurants die Kühlzellen überflutet und Tonnen von Lebensmitteln vernichtet wurden. Alles muss mühevoll mit Süßwasser abgewaschen werden. Auf Knien rutschend versuchen die Venezianer ihre Existenz zu retten.

Dass nur der schöne Schein zählt, wissen die Venezianer seit jener Zeit, als ihre Stadt von einer geschäftstüchtigen Unternehmerclique im Faschismus zur Museumsstadt erklärt wurde. Mit dem Hafen von Marghera wurde der Großraum Venedig geschaffen: das Festland als Schlafstadt für die Arbeiter des Hafens, der Schiffswerften und der Petrochemie­anlage von Marghera. Heute leben in Venedig noch 52.000 Venezianer – der Großraum hingegen zählt knapp 260.000 Einwohner. Auch Luigi Brugnaro, Unternehmer und Bürgermeister Venedigs, wohnt auf dem Festland, wo die überwältigende Mehrheit der Stadträte lebt, die Hochwasser offenbar nur aus dem Fernsehen kennen.

In seiner Rede gegen die Venezianer, jene „glücklich in ihrem Wasser faulenden Dummköpfe“, beschied der Futurist Marinetti, dass es besser sei, Venedig zu zerstören, als zuzusehen, wie es zu einer mumifizierten Museumsstadt zum ausschließlich touristischen Gebrauch verkomme. Sein aus Florenz stammender Schriftstellerkollege Giovanni Papini schrieb: „Wir sind Hausmeister in Leichenhallen und Dienstboten exotischer Vagabunden.“

Menschen mit Schirmen laufen über einen Steg, der über das Wasser führt, dass auf dem Markusplatz steht

Schlendern über den Markusplatz am Dienstag Foto: Manuel Silvestri

Genau so haben wir uns in der Nacht des 12. November gefühlt, als das Hochwasser stieg und stieg und niemand außer den Social Media davon Notiz nahm. Dort kursierte auch ein bitterböser Post über die venezianische Stadtverwaltung, die im Hochwasser offenbar nichts anderes sieht als ein mögliches Hindernis für Touristen: „Das Hochwasser ist nicht gefährlich, es stellt in der überwältigenden Mehrheit sowohl für die Vene­zia­ner als auch für die Touristen lediglich eine begrenzte Unannehmlichkeit dar. Es handelt sich nur darum, sich ein paar Stunden lang zu gedulden, bis das Wasser wieder abgeflossen ist. Den Neugierigen empfehlen wir den Kauf eines Paars Gummistiefel, die es ermöglichen, die Stadt auf bestimmt ungewöhnliche Weise zu erleben.“

Schön wäre es immerhin, wenn sich in den Medien die Erkenntnis durchsetzen würde, dass das venezianische Hochwasser nichts mit dem Regen zu tun hat und auch der Klimawandel in diesem Fall nicht verantwortlich gemacht werden kann – wie es der venezianische Bürgermeister versucht hat, den man in Venedig nur dann sieht, wenn Staatschefs zu Besuch sind oder Fernsehkameras das ikonische Bild vom überfluteten Markusdom filmen.

Venedigs Hochwasser ist das Ergebnis einer neoliberalen ­Politik, die die venezianische Lagune durch Ausgraben der Kanäle für Erdöltanker und Kreuzfahrtschiffe sowie durch eine sieben Milliarden teure Hochwasserschleuse zerstört hat. Eine Schleuse, die nie funktionieren wird. Dafür wurden Tonnen von Zement in der Lagune versenkt und erinnern – natürlich rein ästhetisch betrachtet – an die Berliner Mauer im Meer. Nicht so schön anzusehen wie der sich im Hochwasser spiegelnde goldglänzende Markusdom.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.