Vattenfall in Schweden: Dreck selbst wegmachen
Warum drückt sich der Konzern um die Verantwortung für klimaschädliche Braunkohle? Das fragt sich die schwedische Wirtschaftspresse.
Es geht um die von der Regierung in Stockholm gewünschte Trennung des staatlichen Energiekonzerns von seiner deutschen Braunkohlesparte.
Im Oktober letzten Jahres hatte Greenpeace auf eine Ausschreibung Vattenfalls reagiert und Interesse am Erwerb der Tagebaue und Kraftwerke angemeldet. Die Umweltschützer hatten angekündigt, die dortige Braunkohleverstromung „kontrolliert abzuwickeln“, und einen negativen Kaufpreis verlangt: Das Staatsunternehmen müsse zur Finanzierung der Sanierungskosten 2 Milliarden Euro auf den Tisch legen.
Verschleudertes Vermögen - so oder so
Vattenfall hatte Greenpeace aus dem weiteren Bieterverfahren ausgeschlossen. Man könne nicht das Vermögen des schwedischen Steuerzahlers verschleudern, hieß es: Ein Verkauf werde der Staatskasse auf jeden Fall einen Betrag zwischen 2 und 3 Milliarden Euro einbringen.
Davon ist ein halbes Jahr später keine Rede mehr. Vattenfall schreibt aufgrund des aktuellen Strompreisniveaus mit der Braunkohleverstromung rote Zahlen. Angesichts der auf rund 4 Milliarden Euro geschätzten Folgekosten für den Ausstieg und die Rekultivierung der Natur ist die Braunkohlesparte mittlerweile faktisch wertlos. Was sich auch in den noch nicht bekannt gewordenen Angeboten der übrig gebliebenen Interessenten, der tschechischen Unternehmen Czech Coal und EPH, niederschlagen dürfte.
In der Vergangenheit konnte Vattenfall – wie beim Milliardenfiasko mit dem niederländischen Versorger Nuon – Verluste in der Bilanz relativ unauffällig unter dem Posten „Abschreibungen“ verstecken. Bei der deutschen Braunkohle gehe es nun erstmals um „stranded assets“, also direkt verlorene Vermögenswerte, konstatiert Dagens Industri. Wenn Vattenfall den Bürgern sowieso einen katastrophalen Deal präsentieren müsse, stelle sich die Frage, ob sich das Unternehmen auch noch vor jeder Umweltverantwortung drücken wolle.
Tatsächlich gibt es in Schweden immer mehr Befürworter, die den möglichen Verkauf der deutschen Braunkohle gänzlich neu bewerten. Mit den hoch gesteckten klimapolitischen Ambitionen Stockholms sei es unvereinbar, einfach an einen Akteur zu verkaufen, der die Braunkohle weiter verfeuern und die Erdatmosphäre aufheizen werde, begründeten Schwedens oppositionelle Liberale die Abkehr von ihrer bisherigen Pro-Verkaufs-Linie. Die schwedische Linkspartei hatte schon immer gefordert, die Braunkohle zu behalten und geordnet abzuwickeln.
Und von grünen Kabinettsmitgliedern in der rot-grünen Koalition erhält man derzeit keine Stellungnahme, wie sie denn ihr Versprechen einlösen wollen, keinem Verkauf zuzustimmen, wenn dieser nicht mit einem „konkreten Klimagewinn“ verbunden sei. Der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Mikael Damberg will erst Stellung nehmen, wenn Vattenfall einen Geschäftsvorschlag unterbreitet hat. Der war ursprünglich für Ende März angekündigt. Doch laut dem Vattenfall-Vorstandsvorsitzenden Lars Nordström würden die Angebote derzeit noch „geprüft“: Unter Berücksichtigung geschäftlicher und ökologischer Faktoren, aber auch hinsichtlich „politischer Risiken“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz