Vater sein mit Behinderung: „Das schaffe ich“
Wie erlebt ein behinderter oder chronisch kranker Mensch das Vatersein? Und was, wenn man deswegen auf Nachwuchs verzichtet? Vier Protokolle.
„Natürlich bin ich auf Hilfe angewiesen“
Für mich kommt es auf die Familie an. Ich bin als Siebzehnjähriger beim Baden verunglückt. Seitdem bin ich querschnittsgelähmt. Nur meine Arme kann ich noch eingeschränkt benutzen. Meine drei kleinen Kinder kennen mich ausschließlich als aktiven Rollstuhlfahrer. Am meisten unterstützt mich meine Frau, manchmal helfen die Schwiegereltern aus, die in der Nähe wohnen. Dass wir Kinder wollten, war schnell ein Thema. Ob das auf natürlichem Weg klappen und wie wir das alles stemmen würden, darüber haben wir uns keine Gedanken gemacht. Umso glücklicher bin ich, dass es funktioniert hat.
Natürlich bin ich auf Hilfe angewiesen. Aber da konzentriere ich mich nicht drauf. Auch „Normalsterbliche“ sind nicht zu allem imstande. Ich hadere nicht mit meinem Schicksal. Alles zu Ende denken zu wollen, heißt, nichts Neues beginnen zu können. Es war nicht einfach, aber ich habe es geschafft, meine Energie der Gegenwart zu widmen und Vergangenes hinter mir zu lassen. Dass ich als Lehrer beruflich Erfolg hatte, hat sicherlich meiner Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung anderer, speziell von Frauen, gutgetan, die in einem Mann einen verlässlichen Partner suchen.
Dass im Alltag eher mal meine Frau als ich angesprochen wird, passiert. Das nehme ich mir in der Regel nicht mehr zu Herzen. Wenn unsere Kinder solche Reaktionen mitbekommen oder generelle Unterschiede – etwa, dass ich mit meinem Sohn nicht Fußball spielen, aber ihn anfeuern kann –, sprechen sie im Zweifel darüber. Wenn nicht mit mir, dann eben mit meiner Frau. Damit gehen wir offen um.
Reimar Deibert, 40, Osnabrück
„Plötzlich spielte meine Beeinträchtigung doch eine Rolle“
Benachteiligt wurde ich schon auf dem Schulhof. Wegen einer angeborenen Gehbehinderung und einem kurzen rechten Arm mit nur einem Finger haben mich andere Kinder schikaniert.
Meinen Kinderwunsch habe ich meiner ersten Beziehung freiheraus erzählt. Ich konnte mir vorstellen, mit dieser Person eine Familie zu gründen. Passiert ist es Jahre später mit einer flüchtigen Bekanntschaft. Als sie schwanger war, brachte ich eine Abtreibung ins Spiel. Das lag nicht an der absehbaren Verantwortung, ich wollte eine andere Partnerin. Doch sie behielt das Kind. Ich habe jetzt einen Sohn.
Ein geteiltes Sorgerecht kam nicht zustande. Beim Jugendamt hieß es gegenüber der Kindsmutter: „Nach deutschem Recht haben Sie das alleinige Sorgerecht. Überlegen Sie sich gut, ob Sie es abgeben wollen.“
Einige Monate nach der Geburt meines Sohnes ist mein Kontakt zu ihm eingefroren. Plötzlich spielte meine Beeinträchtigung doch eine Rolle. Anfangs war es nicht nur für mich schwer, sondern auch für meine Mutter, die ihren Enkel nicht mehr sehen durfte. Seitdem sind fünf Jahre vergangen.
Mein Umgangsrecht habe ich nie eingefordert, weil die Situation mir psychisch und körperlich zugesetzt hat. Unsere Kommunikation war Stress pur für mich.
Wie es jetzt ist, ist es gut. Ich zahle Unterhalt, schreibe Briefe, schicke Pakete. Ein Wiedersehen mit einem Heranwachsenden, der seinen biologischen Vater nie kennengelernt hat, fürchte ich nicht. Ich hoffe einfach, dass er mich verstehen wird.
Weitere Kinder sind erst mal nicht geplant. Meine Lebensgefährtin und ich haben momentan andere Prioritäten. Aber den Anforderungen einer echten Vaterrolle gerecht zu werden, das schaffe ich, wenn es so weit ist.
Hans-Friedrich „Graf Fidi“ Baum, 40, Berlin
„Mich um meine Kinder kümmern zu können, das gibt mir Kraft“
Bei der Geburt meines jüngsten Kindes 2014 schien alles in Ordnung. Meine Lungenprobleme damals schrieben alle meinem hohen Arbeitspensum als selbstständiger Geschäftsführer privater Kindertagesstätten zu. Heute weiß man, dass das bereits mit meinem jetzigen Leiden zusammenhing.
Ich habe drei Kinder. Eines leidet unter Epilepsie, ein anderes unter Autismus. Bei meiner Muskelerkrankung spielen Ängste mit rein, weil eine Vererbung nicht ausgeschlossen ist. Meine Kinder könnten also irgendwann genauso davon betroffen sein. Aber momentan würde vor allem eine akute Verschlimmerung meines Zustands die Situation für alle verschlechtern.
Nach etlichen Krankenhausaufenthalten habe ich 2017 meinen Tiefpunkt erreicht. Staatliche Unterstützung hat kaum eine Rolle gespielt. Unabhängig davon, dass es keine nennenswerte gab, entsprach das nicht meinem Selbstverständnis als „Macher“. Familie und Freunde haben meiner Frau geholfen, sich um die Kinder zu kümmern, während ich ein Jahr betreut gewohnt habe. In dieser Zeit haben wir uns kaum gesehen. Dann hat sich meine Frau getrennt.
So hatte ich Gelegenheit, zu reflektieren und zu hinterfragen. Ich habe meine homosexuelle Neigung realisiert und bald sogar einen Partner und damit eine Stütze gefunden, nicht nur für Alltägliches.
Inzwischen leite ich ein lokales Inklusionsprojekt und sitze selbst im Elektrorolli. Meine Kinder sind zu mir in die neue Wohnung gezogen. Bei Bedarf greifen mir Großeltern und Nachbarn unter die Arme. Mich um meine Kinder kümmern zu können, das gibt mir Kraft.
DG*, 34, lebt in Sachsen
„Früher wurde man sterilisiert, heute regelt es das System von alleine“
Kinder sind und werden in meinem Umfeld mehr und mehr zum Thema. Einige Freunde und Bekannte haben bereits Nachwuchs. Sogar in meiner WG lebt seit Kurzem ein Neugeborenes. Eigene Überlegungen dazu stehen also auch bei mir im Raum.
Was bedeutet es für die Kindererziehung, wenn Eltern durch einen Unfall oder eine Erkrankung eingeschränkt sind? Seit 1994 gilt laut Grundgesetz: Niemandem darf aufgrund seiner Behinderung ein Nachteil entstehen – oder das Kind weggenommen werden, wie das Sozialgesetzbuch betont. Kinder zu bekommen und selbst zu versorgen, ist ein Menschenrecht.
Bundesregierung und Länder haben sich 2009 auf Basis der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet, Eltern mit Behinderung zu unterstützen. Dann geschah lange nichts. Als das Bundesteilhabegesetz 2017 auf den Weg gebracht wurde, lebten circa 12.000 registrierte Kinder bei ihren behinderten Eltern. Väter mit Behinderung oder chronischer Krankheit kämpfen noch immer: Nicht nur um einen möglichst reibungslosen Alltag, sondern vor allem um ihre Rechte.
Das Studium habe ich fast hinter mir. Wie es ist, bald 30 zu werden und als ungebundener Epileptiker durchs Leben zu gehen, ist nicht leicht zu beschreiben. Diese weitgehend unsichtbare Krankheit ist ein Teil meiner Identität geworden. Aber sie soll nach außen hin nicht das Bild von mir prägen. Ob aus Selbstschutz oder Unsicherheit? Das kommt auf die jeweiligen Umstände an.
Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Behinderung und Beeinträchtigung jedweder Art bleibt in meinen Augen problematisch. Dieses System diskriminiert. Oder krasser gesagt, im letzten Jahrhundert wurde man sterilisiert, heute regelt es das System von alleine.
Der aktuellen rechtlichen Lage kann ich nur wenig abgewinnen. Am Ende steht jeder alleine da. Ich muss mir die Hilfen selber suchen, die Arme nach Unterstützung ausstrecken. Ansonsten kommt nichts bei mir an.
Am Beispiel meiner behinderten Mutter ist mir klar geworden, wie viel Energie und Kraft nötig sind, wenn man ein intaktes Familienleben aufrechterhalten will und gleichzeitig ständig für seine eigenen Belange kämpfen muss. Das Eigenwohl bleibt da auf der Strecke.
Am Ende treffe ich die Entscheidung für Nachwuchs nicht allein. Wenn es meine Partnerschaft dann zulässt und mein soziales Netzwerk bereit ist, meine Einschränkungen im Notfall aufzufangen, sehe ich für mich aber keinen Grund, auf eine eigene Familie zu verzichten.
TL*, 29, lebt in Freiburg
*Die Namen sind der taz bekannt
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