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VWL-Professor über Solidaritätszuschlag„Gefährlich, den Soli abzuschaffen“

Von den Steuerplänen der Union und SPD profitiert das reichste Fünftel, sagt Sebastian Dullien. Das Geld reiche außerdem gar nicht, um den Soli ganz abzuschaffen.

Für Investitionen in die Infrastruktur nötig: Der Soli ist längst nicht mehr für die Wiedervereinigung da Foto: dpa
Ulrike Herrmann
Interview von Ulrike Herrmann

taz: Herr Dullien, Union und SPD haben in ihren Sondierungen beschlossen, „ins­besondere untere und mittlere Einkommen“ beim Soli­daritätszuschlag zu entlasten. Was also spart ein Durchschnittsverdiener künftig beim Soli?

Sebastian Dullien: Gar nichts. Statistiken zeigen, dass die untere Hälfte der Steuerzahler überhaupt keinen Soli abführt. Um es konkret zu machen: Eine Familie mit zwei Kindern zahlt erst bei einem Jahreseinkommen von 52.000 Euro einen Soli. Ein so hohes Einkommen erreichen viele überhaupt nicht.

Wer profitiert also?

Die Besserverdienenden. Vor allem das reichste Fünftel.

Aber im Sondierungspapier steht doch, dass nur die unteren 90 Prozent der Soli-Zahler entlastet werden sollen. Wieso profitieren dann doch vor allem die Wohlhabenden?

Das Sondierungspapier stellt da eine Falle: Da die untere Hälfte gar keinen Soli zahlt, bedeuten „90 Prozent aller Soli-Zahler“, dass faktisch 95 Prozent der Haushalte vom Soli befreit werden sollen. Nur die obersten fünf Prozent werden nicht entlastet.

Wie viel würde ein Haushalt sparen, der ein Einkommen von 100.000 Euro im Jahr hat?

Das weiß momentan niemand. Denn das Geld reicht gar nicht, um den Soli abzuschaffen. Union und SPD wollen 10 Milliarden Euro ausgeben – in vier Jahren. Es würde aber fast 10 Milliarden pro Jahr kosten, die unteren 90 Prozent der Soli-Zahler zu entlasten.

Es fehlen also 30 Milliarden. Wie könnte diese Lücke geschlossen werden?

Die wahrscheinlichste Option wäre: Man schafft den Solidarzuschlag erst im Jahr 2021 teilweise ab. Dann würde es in dieser Legislatur nur 10 Milliarden kosten. Aber für die Wohlhabenden wäre es trotzdem ein gutes Geschäft: Denn die Abschaffung wäre ja für immer, sodass ihnen fortan jedes Jahr wieder 10 Milliarden geschenkt würden.

privat
Im Interview: Sebastian Dullien

ist VWL-Professor in Berlin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft.

Trotzdem kommt jetzt auch von Konservativen viel Kritik: Es würden Steuersätze von 75 Prozent anfallen.

Dieser Einwand ist nicht ganz falsch. Wenn man den Soli nicht für alle abschafft, sondern nur bis zu einer Freigrenze von beispielsweise 110.000 Euro für Ehepaare – dann setzt der Soli danach ganz abrupt ein. Da können tatsächlich sehr hohe Grenzsteuersätze entstehen. Allerdings ist das nicht übermäßig problematisch: Die hohen Grenzsteuersätze gelten dann nur für einen kleinen Teil des Einkommens, und in der Summe würde niemand mehr zahlen als heute.

Zudem soll es eine „Gleitzone“ geben, wie Union und SPD beschlossen haben.

Genau. Aber wir kennen diese Gleitzone nicht. Am besten wäre es, der Soli würde einfach bleiben, wie er ist.

SPD und Union argumentieren aber, man müsste den Soli zum Teil streichen, um die „kalte Progression“ auszugleichen. Was halten Sie davon?

Eine kalte Progression gibt es nur, wenn die Inflationsraten hoch sind. In den letzten Jahren lag die Geldentwertung aber fast bei null. Zudem wurden gerade die Wohlhabenden unter SPD-Kanzler Schröder sehr stark entlastet. Dieser Effekt ist noch lange nicht ausgeglichen durch die kalte Progression.

Der Soli wurde 1991 eingeführt, um die Wiedervereinigung zu finanzieren. Die ist aber weitgehend abgeschlossen. Warum sollte der Staat noch einen Soli kassieren?

Der Soli dient schon seit 1995 nicht mehr dazu, nur die Wiedervereinigung zu finanzieren. Es handelt sich längst um eine Sonderabgabe, die nicht zweckgebunden ist und dringende staatliche Aufgaben finanziert. Momentan benötigen wir vor allem mehr Investitionen. Der Staat ist derzeit noch nicht einmal in der Lage, seinen Kapitalstock zu erhalten. Man müsste mehr in Schienen und ins Internet investieren, mehr für die Forschung tun.

Aber der Staat macht doch schon Überschüsse!

Die Steuereinnahmen werden durch die gute Konjunktur ­überzeichnet. Sobald es zu ­einer Rezession kommt, fehlen die Mittel wieder. Es ist gefährlich, den Soli teilweise abzuschaffen.

Die SPD argumentiert, ihr Soli-Modell sei immerhin besser als das Jamaika-Konzept. Vor allem die FDP hätte den Soli gern ganz abgeschafft.

Klar, die FDP ist die Partei der Besserverdienenden. Aber man kann doch keine finanzpolitischen Fehler gutheißen, nur weil andere Parteien noch größere Fehler gemacht hätten. Die Teilabschaffung des Soli ist schlicht falsch für Deutschland.

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16 Kommentare

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  • Die meisten Menschen verstehen das Steuersystem und die Wirkung von Einkommensteuersenkungen nicht so gut und freuen sich über Steuersenkungen.

     

    Aber wenn es heißt, „Die Besserverdienenden [profitieren]. Vor allem das reichstes Fünftel.“ – nun: das ist die Klientel, für die die SPD Politik macht. Konsequent seit 1999 (s. Senkung des Körperschaftsteuersatzes und des Spitzensteuersatzes, Abgeltungsteuer, Abschaffung der Steuer auf Veräußerungsgewinne, Abschaffung der Erbschaftsteuer für Unternehmenserben, Hartz IV und Leiharbeit und und und). Das hier ist kein Versehen der SPD, das ist Absicht – seit 1999.

     

    Auch scheinen viele unser Steuersystem nicht verstehen zu wollen, bei den Steuersätzen werden immer nur der Grenzsteuersatz genannt.

     

    Tatsächlich zahlt niemand den Grenzsteuersatz. Gesetzt den Fall, eine Person hat einen zu versteuerndes Einkommen von 300.731 Euro, so zahlt sie nur für die letzten 50.000 Euro den vollen Steuersatz von 45 Prozent.

     

    Aber diese Sätze sind auch nur nominal, und nicht effektiv, denn nicht zu vergessen die vielen legalen Steuerausnahmetatbestände, alles was die Steuersätze drückt, und da gibt es vieles und da die meisten, dessen Einkommen über die Beitragsbemessung liegt, privat versichert sind, und somit sich ganz legal aus der "Solidargemeinschaft "verabschieden.

  • Soli ist ja gut, aber sollte nicht nur für den Osten sondern für alle abgehängten Regionen sein.

    • @Ansgar Reb:

      Wir sollten das Ziel gleicher Lebensverhältnisse auch in der Provinz aufgeben. Macht ökonomisch und ökologisch keinen Sinn.

  • "Von den Steuerplänen der Union und SPD profitiert das reichste Fünftel"

     

    Hätte jemand etwas anderes von SPD und CSU/CDU erwartet?

     

    Letztlich ist das doch die Essenz der Agenda-Politik und der letzten 20 Jahre. Seit 1998 haben die Reichen und Superreichen nur noch Freunde in der Politik - mag sein, dass Kohl ihnen auch wohlgesonnen war, aber Kohl musste Druck durch eine links-mittige SPD aushalten.

     

    Der entfällt inzwischen, wie man hier gut nachvollziehen kann. Eigentlich müsste die SPD doch sozial nachkorrigieren und das deutlich. Alleine die Anzahl an Aufstockern oder Menschen mit geringen Einkommen ist in Deutschland extrem hoch - es verdeckt ein wenig, dass alle sich über die Konjunktur freuen und so tun, als scheine überall die Sonne.

  • Der Skandal ist doch vielmehr, dass viel zu viele Menschen viel zu wenig verdienen auf Grund der jahrelangen Sparrunden und Niedriglöhne. Hier wird ja so getan, als ob 52.000€ Bruttoeinkommen für eine vierköpfige Familie schon Besserverdienend wäre. Also ich weiß ja nicht, wo das besserverdienend sein soll, aber wenn man bedenkt, dass netto das weitaus weniger rauskommt und man die Mietpreise für eine entsprechend große Wohnung in einer deutschen Großstadt ranzieht, dann bleibt doch da kaum der Hartz-IV-Satz pro Person übrig.

    • @Dubiosos:

      "Hier wird ja so getan, als ob 52.000€ Bruttoeinkommen für eine vierköpfige Familie schon Besserverdienend wäre."

       

      Aus welcher Quelle taucht denn dieser Quatsch immer wieder auf? Für Familien gilt der doppelte Betrag!

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Ich bezog mich auf das Interview: "Eine Familie mit zwei Kindern zahlt erst bei einem Jahreseinkommen von 52.000 Euro einen Soli. Ein so hohes Einkommen erreichen viele überhaupt nicht."

        • @Dubiosos:

          Da haben Sie ihn falsch verstanden. Er redet nur davon, dass eine Familie mit 52000 besser dran ist, als viele andere. Zu den "Besserverdienen" im Sinne von typischen FDP Wählern zählt er sie nicht.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Er hat ihn schon richtig verstanden. Jetzt lassen wir die Semantik beiseit, ob "besservedienend" gleich"so ein hohes Einkommen" ist, DUBIOSOS hat trefflich erkannt, dass für viele hier die Löhne viel zu niedrig sind.

             

            DAs zeigen die große Diskrepanz zwischen dem Durchschnitt und Median zum einen und zum anderen die Entwicklung der Arbeits-/Markteinkommen für die untere Hälfte:

            http://www.dgb.de/++co++77a49a96-e589-11e7-85ab-52540088cada/scaled/size/661

            • @agerwiese:

              "DUBIOSOS hat trefflich erkannt, dass für viele hier die Löhne viel zu niedrig sind."

               

              Das hat niemand bestritten. Auch der Professor nicht.

  • Was fuer eine Frechheit, die Abschaffung einer Jahrzehnte lang gezahlten Sonderabgabe als "Geschenk" zu bezeichnen. Man muss also nur lange genug den Buergern das Geld abnehmen, dann ist die Anschaffung ein "Geschenk".

     

    Und dass diejenigen, die dabei die ganzen Jahre (zu Recht) einen besonders grossen Teil geschultert haben, mit dem Ende auch wieder diese ueberdurchschnittlich Last abgenommen bekommen, ist doch selbstverstaendlich.

     

    In was fuer einer verzerrten Welt lebt der Herr Professor?!

    • @PS:

      "Zudem wurden gerade die Wohlhabenden unter SPD-Kanzler Schröder sehr stark entlastet."

       

      Noch Fragen?

  • Die Kalte Progression nur auf die automatische Zwangsabgabe einer Lohnerhöhung und den damit verbundenen Ausgleich der Inflationsrate zu verkürzen, ist asoziale Argumentation, verdeckt durch wissenschaftliches Professorengehabe.

    Wenn die Beschäftigten sich ein etwas größeres Stück vom Gewinnkuchen oder einen Ausgleich für deutliche Produktivitätssteigerungen erkämpft haben, sollen sie dies die Fresse haltend an die Staatskasse wohl abgeben?

    Sorry, das Geld soll ja in die Forschung, also den Professoren auch die schon üppige und weitgehend freie Arbeitsweise nach Gutdünken sichern.

    Als ob die Profs ihr leben lang immer produktiv sind, bezweifelte schon Klaus Rose, ehem. Prof. für VWL in MZ.

    Was sind die jungen heute für Menschen, die Schaffer im Volk sollen wohl ......

  • Bitte die Geschichte richtig erzählen: Der Solidaritätszuschlag wurde 1991 befristet auf ein Jahr zur Finanzierung diverser Mehrbelastungen vor allem durch den 2. Golfkrieg eingeführt. Und weil das so schön und nützlich war und die Landschaften nicht blühen wollten, wurde er ab 1995 unbefristet für die Finanzierung der Kosten der Restauration des Bismarkschen Reichs wieder eingeführt.

    • @Adele Walter:

      Dieser Bismarck, ich hab immer schon geahnt, dass er dahinter steckt!

      • @bibio:

        Und wenn Sie ab und zu ein Geschichtsbuch (aka Wikipedia) konsultieren würden, hätten Sie es nicht nur geahnt sondern auch gewusst. Die heutige BRD ist das direkte Ergebnis der durch Bismarck 1870 in Versailles initiierten Gründung des deutschen Kaiserreichs.