VW verliert Prozess im Dieselskandal: Wider die guten Sitten
Das Oberlandesgericht Bremen urteilt im Dieselskandal verbraucherfreundlich gegen VW und legt damit die Grundlage für eine Entscheidung von ganz oben.
Dabei spielte keine Rolle, dass es im konkreten Fall nur um einen Gebrauchtwagen ging. Und auch ein Update der Software für die Abgasreinigung rettete den Hersteller nicht vor Strafe – denn er hatte den Kunden zuvor „arglistig getäuscht“. Die Möglichkeit nachteiliger Folgen für den Kunden sei durch neue Software „nicht ausgeräumt“, entschied das Oberlandesgericht. Das Auto erfüllte die Euro-5-Abgasnormen zunächst nur auf dem Prüfstand, aber nicht im normalen Straßenverkehr.
Der Kläger hatte im Sommer 2014 einen VW Golf mit Turbodiesel für 13.300 Euro gekauft – die Maschine wurde wenig später als „Betrugsdieselmotor“ bekannt. 2015 hatte VW ihn auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamtes zunächst nachgebessert. Gleichwohl wollte der Kläger sein Auto wieder zurückgeben und dafür den Kaufpreis erstattet bekommen. Weil er mit seinem Golf aber trotzdem weiter gefahren war, bekommt er nun nicht die volle Summe, sondern knapp 8.200 Euro – und gibt VW das Auto wieder zurück.
Schon in erster Instanz hatte das Landgericht Bremen dem Mann recht gegeben. Denn: „Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet.“ So steht's in Paragraf 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Und genau das hatte der VW-Konzern nach Ansicht der Richter*innen gemacht.
Volkswagen und der Bundesverband der Verbraucherzentralen haben sich Ende Februar in einer Musterfeststellungsklage nach langen Verhandlungen auf einen Vergleich geeinigt.
Insgesamt 830 Millionen Euro sollen die rund 260.000 Beteiligten demzufolge erhalten – knapp 3.200 Euro pro Fahrzeug.
Klagevertreter*innen warnen, das Angebot anzunehmen: Auf dem individuellen Klageweg seien bessere Konditionen durchzusetzen. VW möchte sich gern zeitnah mit allen Klageberechtigten auf eine Entschädigung einigen. Wer das Angebot annimmt, muss sein manipuliertes Auto behalten und auf weitere Ansprüche verzichten.
Allein die Tatsache, dass das Auto einen Motor eingebaut bekam, der nur auf einem Prüfstand einen normgerechten Schadstoffausstoß aufwies, zeige die auf Täuschung angelegte Konzeption, so das Oberlandesgericht. „Dabei ist es besonders gravierend, dass VW in einem breit angelegten jahrelangen systematischen Manöver aus Streben nach Gewinnmaximierung und Wettbewerbsvorteilen eine hohe Zahl von Käufern täuschte, einen entsprechend exorbitanten Schaden herbeiführte und darüber hinaus das bislang hohe Vertrauen in die Marke missbrauchte“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Der VW-Konzern habe dabei nicht nur „vorsätzlich“, sondern mit Blick auf Schaden auch „leichtfertig“ gehandelt. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig – das Oberlandesgericht ließ die Berufung vor dem Bundesgerichtshof (BGH) zu.
Dort wird im Mai ein Grundsatzurteil in einem ganz ähnlichen Fall gefällt (Aktenzeichen VI ZR 252/19). Dann wird über die Klage eines anderen Gebrauchtwagen-Besitzers entschieden, der wegen des Betrugsdieselmotors ebenfalls sein Auto zurückgeben und den Kaufpreis erstattet bekommen wollte. Denn ein Verkauf manipulierter Autos rentiert sich oft nicht – sie haben durch den Dieselskandal extrem an Wert verloren.
Das Landgericht hatte die Klage zunächst abgewiesen, das Oberlandesgericht in Koblenz gab ihm aber recht (Aktenzeichen 5 U 1318/18). Dort argumentierten die Richter*innen ähnlich wie nun ihre Kolleg*innen in Bremen. Sie sprachen von einer „vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung“ des Käufers. Das war das landesweit erste Urteil eines deutschen Oberlandesgerichts gegen Volkswagen, dem nun der erste BGH-Prozess im Abgasskandal folgt.
Der Richterspruch wird für sämtliche Gerichte Signalwirkung haben. Seit dem Urteil aus Koblenz „urteilen nahezu alle Gerichte in Deutschland verbraucherfreundlich“, sagt jener Anwalt, der das Urteil erstritten hat – nach eigenen Angaben vertritt er in dieser Sache 17.800 Mandant*innen.
Wer nach diesem Urteil jetzt noch klagen will, für den ist es aber wohl zu spät: Im Falle von Betrug oder sittenwidriger Schädigung gilt eine Verjährungsfrist von drei Jahren. Da Volkswagen seine Kund*innen 2016 informierte, gehen die meisten Jurist*innen davon aus, dass noch offene Fälle bereits am 31. Dezember vergangenen Jahres verjährt sind.
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