VERGIFTETE POMMES: DER VERBRAUCHERSCHUTZ HAT VÖLLIG VERSAGT: Rückfall in alte Zeiten
Kartoffelchips, Pommes oder Knäckebrot sind nicht gerade exotische Nahrungsmittel. Wenn in ihnen hohe Konzentrationen eines mit hoher Wahrscheinlichkeit Krebs erregenden Stoffes festgestellt werden, sollte man eigentlich einen allgemeinen Aufschrei erwarten – besorgte Eltern, Krisenstäbe in Ministerien, alarmierte Forscher, schnelle Maßnahmen. Doch beim schon Anfang des Jahres flächendeckend gefundenen Acrylamid geschieht nichts von alledem.
Stattdessen kommt es zu einem Rückfall in alte Zeiten: Gesundheitsforscher forschen so lange mit ungewissem Ergebnis, bis die Industrie ihre Verfahren umgestellt oder alte Anlagen sich amortisiert haben. Schießlich ist es ja nicht völlig sicher, wie gefährlich Acrylamid wirklich ist. Der Politik sind die Hände gebunden; die Industrie schweigt, wiegelt ab oder droht mit Schadenersatzklagen.
Dem Bundesverbraucherministerium sind derweil enge Schranken gesetzt: Dank dem vor allem von CDU und CSU verstümmelten Verbraucherinformationsgesetz dürfen Behörden keine Namen nennen. Zudem gibt es für Acrylamid bisher keinen offiziellen Grenzwert, weil noch niemand auf die Idee gekommen ist, dass dieser Stoff überhaupt in Nahrungsmitteln enthalten sein könnte. Er ist aber drin, und zwar teilweise in sagenhaft hohen Dosen. Für die Pommes- und Chips-Abhängigen der Republik wäre natürlich wissenswert, welche Marke die geringste Menge des erbgutschädigenden Stoffes enthält – immerhin differieren die Konzentrationen um mehr als das Zehnfache. Nur: Wo es keinen amtlichen Grenzwert gibt, da gibt es auch keine amtliche Information.
Wohlgemerkt: Wer zu viel Pommes und Chips isst, hat sowieso ein Gesundheitsproblem. Und an Übergewicht werden sicherlich weiterhin mehr Menschen in unseren Breiten sterben als an falsch weiterverarbeiteter Kartoffelstärke. Trotzdem sollte auch bei ernährungswissenschaftlich minderwertigen Lebensmitteln zuerst der Verbraucher geschützt werden – nicht die Industrie. Der Acrylamid-Skandal ist nicht nur „Essen pervers“, sondern perverser Verbraucherschutz. REINER METZGER
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