Urteil zur Arbeitszeiterfassung: Stechuhr muss immer laufen

Arbeitsminister Heil prüft ein überraschendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Demnach gilt nach EU-Recht eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung.

Schwarz-Weiß-Aufnhame, Frau an der Stechuhr

Wie frü­her: Ein­che­cken vor der Ausbeutung, Stechuhr 1960 Foto: Debrocke/Classic/getty

FREIBURG taz | Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Bundesregierung überrumpelt. Am Dienstag hat das Gericht überraschend festgestellt, dass es in Deutschland bereits eine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit gibt.

Der zuständige Arbeitsminister, Hubertus Heil (SPD), will das Urteil (Az.: 1 ABR 22/21) nun prüfen, er arbeite bereits an einem Gesetzentwurf, heißt es aus dem Ministerium. Laut Arbeitszeitgesetz müssen in Deutschland bisher nur Überstunden aufgezeichnet werden. Lediglich in manchen Branchen wie bei Lkw-Fahrern muss die gesamte Arbeitszeit erfasst werden. Die Dokumentation der vollen Arbeitszeit soll bei der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften helfen sowie bei der Abrechnung von Überstunden.

Eigentlich hat schon der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2019 festgestellt, dass Arbeitgeber die gesamte Arbeitszeit erfassen müssen. Er gab den EU-Staaten aber viel Gestaltungsraum. So können die Staaten entscheiden, wie die Arbeitszeit erfasst werden soll – digital, mit der Stechuhr oder auf Papierlisten. Dabei kann auch nach Branchen oder nach Firmengröße differenziert werden.

Die Bundesregierung blieb bisher aber untätig. Zuletzt bremste die FDP, die vor „Dokumentierungswahn“ warnte. Im Ampel-Koalitionsvertrag heißt es nur vage: „Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“

Jetzt hat das BAG in Erfurt den Handlungsdruck überraschend erhöht: Die Rich­te­r:in­nen haben das Arbeitsschutzgesetz im Lichte der EuGH-Rechtsprechung neu ausgelegt und festgestellt, dass es bereits eine Aufzeichnungspflicht enthält. Im konkreten Fall brachte das den Ar­beit­neh­me­r:in­nen allerdings Nachteile: der Betriebsrat kann nun keine Einigungsstelle mehr anrufen, um in seinem Betrieb die Zeiterfassung einzuführen. Nun müssen sie auf den Gesetzgeber warten, um die Details zu klären.

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