Urteil zu Whistleblowern: "Deutschland hinkt hinterher"
Whistleblower brauchen Schutz vor Kündigung und Diffamierung, sagt der Journalist Hans Leyendecker. Denn sie könnten das Risiko ihrer Taten oft nicht richtig einschätzen.
taz: Herr Leyendecker, wie wichtig sind Whistleblower im investigativen Journalismus?
Sie sind wichtig, um an Unterlagen, an Interna zu Missständen zu gelangen, zu denen man auf anderem Wege keinen Zugang hätte. Im journalistischen Alltag spielen sie allerdings eine geringe Rolle. Nur etwa zehn Prozent meiner Recherchen basieren auf Informationen von Whistleblowern, der Rest auf denen gewöhnlicher Informanten.
Was ist der Unterschied?
ist 62 und leitet das Ressort Investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung. Er deckte u.a. die CDU-Spendenaffäre sowie den NDR-Heinze-Fall auf.
Whistleblower schlagen Alarm, machen aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus Situationen öffentlich, die für sie unerträglich sind, agieren also immer auch aus persönlicher Betroffenheit und riskieren dafür ihre Existenz. Bradley Manning etwa, der angeblich US-Militärgeheimnisse Wikileaks zuspielte, ist so ein klassischer Whistleblower. Informanten dagegen sind in ein bestimmtes System eingebunden und in einem bestimmten Bereich sachkundig, über den die Öffentlichkeit ihrer Meinung nach mehr erfahren sollte.
Welche Motive bringen Menschen dazu, sich Journalisten anzuvertrauen?
Das können altruistische, gemeinwohlorientierte, aber auch niedere, charakterschwache Motive sein. Das gilt sowohl für Whistleblower wie Informanten.
Tragen Journalisten Whistleblowern gegenüber eine besondere Verantwortung?
Ja, denn den meisten Whistleblowern ist nicht klar, dass das gesellschaftliche Umfeld in der Regel nicht auf der Seite desjenigen ist, der auspackt: Auch Frau Heinisch wurde ja fristlos gekündigt und als Nestbeschmutzerin beschimpft. Und die Medien, die Whistleblower zunächst feiern, neigen oft dazu, sie nach einer Weile in Frage zu stellen, weil nur die wenigsten dem aufgebauten Saubermann-Image dauerhaft standhalten. Diese Fallhöhe führt bei den betroffenen Personen häufig zu massiven Identitätskrisen.
Was können Sie dagegen tun?
Zunächst ist es wichtig, den Leuten klar zu machen, welch großes Risiko sie eingehen - nicht nur für ihre berufliche, sondern für ihre gesamte Existenz. Das wissen die meisten nicht. Wenn jemand Papiere rausholt, die insgesamt nur drei Leute kennen, rate ich ihm, die Informationen im Unternehmen breiter zu streuen, bevor er sie an einen Journalisten weiterreicht.
Glauben Sie, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg potenzielle Whistleblower in Zukunft ermutigen wird?
Das weiß ich nicht, aber es ermutigt hoffentlich den Gesetzgeber, Whistleblower besser vor Kündigung und Diffamierung zu schützen. Da hinkt Deutschland hoffnungslos hinterher. Ich hoffe, dass diese Entscheidung den Nachholbedarf klar macht - auch wenn das rechtliche Risiko den Whistleblower in der Regel nicht stört. Der Leidensdruck ist größer. Aber nicht nur Whistleblower verdienen einen besonderen Schutz. Es ist unfassbar, wie viel in der Kantine über Informanten gequatscht wird. Das halte ich für ein Verbrechen.
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