Urteil zu Polizeiberichten als Quelle: Wenn das Gericht dem Amt nicht traut
Journalisten dürfen ungeprüft nur aus veröffentlichten Polizeiberichten zitieren. Der Verlag der Mafia-Expertin Petra Reski unterliegt mit seiner Klage.
Wenn Journalisten negativ über Privatpersonen schreiben, dürfen sie sich nicht ausschließlich auf interne Polizeiberichte verlassen. Das hat jetzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall der deutschen Autorin und Mafia-Expertin Petra Reski entschieden.
Reski veröffentlichte 2008 das Buch „Mafia – Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“. Auf zwei von 352 Seiten ging es auch um den italienischen Großgastronomen S. P., der bereits in Erfurt, aber auch in Duisburg, Leipzig und anderen Städten Restaurants betrieben hat. Reski beschrieb ihn als „mutmaßliches Mitglied der ’Ndrangheta“, also der kalabrischen Mafia.
S. P. klagte gegen diese Passagen und hatte vor deutschen Gerichten Erfolg. Mehrere Sätze des Buches, die ihn in die Nähe des organisierten Verbrechens rückten, durften nicht mehr verbreitet werden. 2011 billigte ihm das Oberlandesgericht München auch noch 10.000 Euro Schadenersatz zu, die Reskis Verlag Droemer zahlen muss. 2013 lehnte das Bundesverfassungsgericht eine Klage des Verlags ohne Begründung ab.
Der Droemer Verlag rief daher den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg an und berief sich auf die Meinungsfreiheit. Die Autorin habe ihre Anschuldigung gegen S. P. immerhin auf zwei interne Berichte des Bundeskriminalamts (BKA) gestützt. Ein starkes Argument, denn bisher hatte der EGMR die journalistische Sorgfaltspflicht gewahrt gesehen, wenn sich Autoren auf amtliche Berichte berufen konnten. Sie mussten diese nicht weiter prüfen, sondern nur die Quelle angeben.
Im Fall Reski differenzierte der EGMR nun jedoch. Journalisten können sich nur auf amtliche Berichte stützen, die auch veröffentlicht wurden. Unveröffentlichte Berichte könnten zwar eine Quelle sein, müssten aber näher überprüft werden. Journalisten sollen also nicht ungeprüft Aussagen veröffentlichen, die der Staat (noch) nicht für veröffentlichungsfähig angesehen hat.
In dem 20-seitigen Urteil billigt der Straßburger Gerichtshof, der kein EU-Gericht ist, auch andere Vorwürfe gegen Reski. So habe sie den Verdacht gegen S. P. übertrieben. Während sich aus den BKA-Berichten allenfalls ein vager Verdacht ergebe, lese sich Reskis Darstellung so, als sei eine Mafia-Mitgliedschaft sehr wahrscheinlich. Zudem habe Reski entlastende Faktoren nicht erwähnt, etwa dass die BKA-Berichte am Ende nicht zu Ermittlungsverfahren führten. Auch habe die Autorin S. P. keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Dass S. P. zehn Jahre zuvor in anderem Kontext eine Mafia-Mitgliedschaft abgestritten habe, genüge nicht. Reski habe damit die Grenzen verantwortlichen Journalismus überschritten, so der Gerichtshof.
Zweites Urteil
Das Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist, fiel mit sechs zu eins Richterstimmen. Nur die georgische Richterin Nona Tsotsoria stimmte dagegen und kritisierte die „beunruhigende Abkehr“ von der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs (Az.: 35030/13). Petra Reski sprach in ihrem Blog von einem „schwarzen Tag für die Meinungsfreiheit“. Das Urteil habe sie darin bestärkt, weiterhin Romane über die Mafia zu schreiben. Kürzlich ist ihr dritter Mafia-Roman mit der Ermittlerin Serena Vitale erschienen.
In einem Parallelurteil akzeptierte der EGMR einen Bericht der New York Times über den Düsseldorfer Geschäftsmann B. F. Darin war erwähnt worden, dass das FBI in ebenfalls unveröffentlichten Berichten Verbindungen F.s zum organisierten Verbrechen in Russland beschrieb. Der New York Times-Autor habe in seinem Bericht die journalistischen Standards eingehalten. Eine Beschwerde F.s gegen deutsche Gerichtsurteile scheiterte. (Az.: 71233/13)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen