Urteil zu Kopftuch im öffentlichen Dienst: Berlin muss blechen
Landesarbeitsgericht verurteilt Berliner Senat zur Zahlung von 8.600 Euro Entschädigung an eine Lehrerin mit Kopftuch, die nicht eingestellt wurde.
Das Land Berlin muss einer Lehrerin eine Entschädigung von 8.680 Euro zahlen. Die Frau, die ein muslimisches Kopftuch trägt, hatte sich um eine Stelle als Grundschullehrerin beworben und war mit Verweis auf das Berliner Neutralitätsgesetz abgelehnt worden. Das Landesarbeitsgericht wertete dies am Donnerstag als unzulässige Diskriminierung aufgrund der Religion – anders als die erste Instanz, die die Klage der Frau im vorigen April abgewiesen hatte. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) twitterte umgehend: „Das ist der Anfang vom Ende des Berliner #Neutralitätsgesetzes. Und ein guter Tag für die #Antidiskriminierung.“
Auch Maryam Haschemi Yekani, die Anwältin der Klägerin, reagierte erfreut: Das Gericht sei neueren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gefolgt, nach denen ein pauschales Kopftuchverbot ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Religionsfreiheit sei. „Nun muss das Berliner Neutralitätsgesetz angepasst werden“, erklärte sie. Ähnlich äußerten sich das Antidiskriminierungsnetzwerk des Türkischen Bundes Berlin und das Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan). Beide Organisationen hatten die Klägerin unterstützt.
Das Berliner Neutralitätsgesetz von 2005 verbietet bestimmten Landesbediensteten wie PolizistInnen und LehrerInnen das Tragen von weltanschaulichen und religiösen Symbolen oder Kleidungsstücken im Dienst. Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in mittlerweile zwei Fällen geurteilt, dass ein pauschales Verbot nicht mit der grundgesetzlich garantierten Bekenntnisfreiheit vereinbar sei. Es müsse schon eine konkrete Gefährdung für das friedliche Zusammenleben vorliegen, so die Richter. Im ersten Fall ging es um zwei Lehrerinnen in NRW, im zweiten Fall um eine Kita-Erzieherin in Baden-Württemberg.
Schon nach dem ersten BVerfG-Urteil von Anfang 2015 hatten Gutachter des Abgeordnetenhauses festgestellt, dass mit diesen Vorgaben des obersten Gerichts das Neutralitätsgesetz nicht mehr haltbar sei, der wissenschaftliche Dienst des Landesparlaments hatte bereits Alternativen formuliert. Der rot-schwarze Vorgängersenat hatte eine Reform des Gesetzes jedoch immer abgelehnt. Das könnte sich nach den Worten von Behrendt nun offenbar ändern. Andererseits bleibt Schulsenatorin Sandra Scheeres dabei, dass sich „das Neutralitätsgesetz seit Jahren an Berlins Schulen bewährt“ habe.
Zweifel an Verfassungsmäßigkeit
Aber auch die Vorsitzende Richterin Renate Schaude legte am Donnerstag noch vor der Urteilsverkündung nahe, über eine Änderung des Gesetzes nachzudenken. Man könne durchaus Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Neutralitätsgesetzes haben, sagte sie, „und das haben wir auch“. Es sei offenkundig, dass von der Klägerin und ihrem Kopftuch für sich genommen keine Gefahr für den Schulfrieden ausgehe.
Dagegen hatte die Bildungsverwaltung argumentiert, man habe der Klägerin eine Stelle angeboten. Tatsächlich erlaubt das Neutralitätsgesetz mit Kopftuch in berufsbildenden Schulen zu arbeiten. Dies hatte die Klägerin abgelehnt, weil sie sich dennoch diskriminiert fühle.
Die CDU forderte den Senat auf, gegen das Urteil Revision beim Bundesarbeitsgericht einzulegen. „Der Schulfrieden erfordert es, dass das Berliner Neutralitätsgebot uneingeschränkt fortbesteht“, erklärte der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Burkard Dregger. Scheeres Sprecherin Beate Stoffers gab sich dagegen zurückhaltend: Man werde sich erst einmal die schriftliche Urteilsbegründung ansehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“