Urteil über Bremer Kitabeiträge: Wer hat, der muss auch zahlen

Vor dem Oberverwaltungsgericht ge­schei­tert: Bes­ser verdienende Familie war gegen die soziale Staffelung der Bremer Kitagebühren vorgegangen.

Ein weinendes Kleinkind liegt inmitten von Spielzeug auf einer Stoffdecke

Teilen fällt Kleinkindern schwer. In der Kita müssen auch die Eltern Solidarität oft erst lernen Foto: imago/Blickwinkel

BREMEN taz | Die armen Eltern! „Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller zu 1. bis 8. als Gesamtschuldner“, heißt es im Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) zu einer Normenkontrollklage bezüglich der Kita­gebühren.

Gegen deren soziale Staffelung waren Eltern aus dem Umfeld des Gesamtelternbeirats der katholischen Kirche und der damaligen Zentralen Elternvertretung (ZEV) zu Felde – und vor Gericht gezogen. Im Sinne des Gesetzes Gutverdiener-Eltern, darauf kommt es hier an. Sie allein waren betroffen, also klageberechtigt.

Acht Familien mit einem Jahreseinkommen von jeweils über 95.000 Euro witterten in der 2016 beschlossenen Neuordnung eine Diskriminierung und eine unfaire Benachteiligung. Zu Unrecht, wie das Oberverwaltungsgericht schon in der mündlichen Verhandlung am 17. Juni unmissverständlich klargestellt hatte.

Jetzt liegt die Begründung des Urteils vor (2 D 243/17). Als Rechtsmittel wäre nur eine Beschwerde zulässig, auch wieder beim OVG. Kosten würde die auch verursachen.

Behörde hat gut getüftelt

„Wir fühlen uns in unserem Handeln bestätigt“, kommentierte die Sprecherin der Kinderbehörde Annette Kemp die Entscheidung. Die Mitarbeitenden des Ressorts hätten „getüftelt, hart und akribisch dafür gearbeitet, eine gerechtere Beitragsordnung zu schaffen“, schilderte sie die Entstehung des beklagten Regelwerks. „Das ist offenbar gelungen.“

Damit spielte sie auch auf die Vorgeschichte an. Ende Oktober 2014 war die Vorgängerregelung kassiert worden. Sie war noch in der Zuständigkeit von Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) etabliert worden. Zu ihren gröbsten Rechtsfehlern hatte einerseits gehört, dass die massive Beitragserhöhung mitten im Kitajahr erfolgte.

Andererseits sah die Regelung für finanziell Schwache, die keine Beiträge hätten aufbringen können, einen Beitrag vor, von dem sie sich jeweils regelhaft per Antrag inklusive „einer konkret-individuellen Zumutbarkeitsprüfung“ hätten befreien lassen müssen. Also: Wer arm ist, sollte sich wenigstens auch nackig machen, um keine unzumutbaren Lasten aufgebürdet zu bekommen.

Das OVG stoppte die Schikane. Die Kosten der Panne für Bremen: rund 30 Millionen Euro. Nach der Wahl 2015 und dem neuen Ressortzuschnitt war es dann der Job von Claudia Bogedan (SPD), für eine Neuordnung zu sorgen.

Dafür sei „eine komplett neue Tabelle entworfen“ worden, informierte Kemp. Deren Ziel: zwischen niedrigen, mittleren und hohen Einkommen besser unterscheiden und die Beiträge angemessen gestalten zu können – einschließlich einer „stärkeren Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit insbesondere der höheren Einkommensgruppen“, wie Kemp erläutert.

Klar, selbst die katholische Soziallehre sieht vor, dass Leistungen auf die verschiedenen Glieder je nach ihrer Leistungsfähigkeit zu verteilen sind. Aber wer will heute schon mit einem halben Mantel rumlaufen: Die Gebührenordnung gefährde in ihrer Staffelung den „sozialen Frieden“, weil durch sie eine Minderheit die anfallenden Beitragskosten auffangen müsse, befanden ZEV und Katholikeneltern und launchten umgehend eine Onlinepetition.

Ein Blick auf diese lohnt, um die Beweggründe für die Klage nachzuvollziehen – und die mitunter besorgniserregenden Gerechtigkeitsvorstellungen, die ihr zugrunde liegen: „Die Mittel, die mir zur Verfügung stehen, wurden mir von niemandem geschenkt, sondern ich arbeite viel und hart dafür“, ergießt sich ein namentlich genannter Unterstützer in die Kommentarspalten.

Er habe es satt, „auch die Eltern zu finanzieren, die eine Selbstversorgung ablehnen“, stellt er klar. „Es ist so schon schlimm genug, dass ich meiner Tochter eine private Schule finanzieren muss, wenn ich nicht will, dass sie an einer staatlichen Schule zu derselben Gruppe Arbeitsunwilliger herangezogen wird, für die mit der neuen Beitragsordnung noch mehr Annehmlichkeiten geschaffen werden sollen“, lamentiert er.

Eine andere Stimme findet es „einfach eine Unverschämtheit, so viel Geld für die Betreuung unserer Kinder zu verlangen“, auch wenn der Höchstsatz von 430 Euro pro Monat 320 Euro unter den Kosten eines Kitaplatzes in Bremen liegt. Ein Mann bringt schließlich noch ein besonders schlüssiges Argument: „Sollte es so kommen, wie es geplant ist“, schildert er seine Nöte, „dann muss meine Frau zu Hause bleiben.“

Regel nicht frauenfeindlich

Tatsächlich war von Klä­ge­r*in­nen­sei­te der Versuch unternommen worden, die Beitragserhöhung für Besserverdienende als frauenfeindlich darzustellen. Weil: Naja.

Das OVG dazu: „Die Frage, ob es sich angesichts des Kostenbeitrages ‚lohnt‘, das Kind in die Betreuung zu geben, um in dieser Zeit Erwerbseinkommen zu erzielen, oder es lieber selbst zu betreuen, stellt sich für Mütter und Väter in gleichem Maße.“ Es sei denn, die Diskriminierung liegt jenseits der regulierbaren Öffentlichkeit, im Privaten.

Das, was von den Klä­ge­r*in­nen hingegen als besonders schreiende Ungerechtigkeit gebrandmarkt wurde, war, dass jemand, der mehr verdient, mehr zahlen muss: „Soziale Gerechtigkeit finde ich gut und wichtig, aber nicht zu Lasten der Besserverdienenden“, hatte ein Petitionsunterstützer die Denkweise bündig zusammengefasst.

Rechtlich ist sie ein Irrweg. Denn dem OVG zufolge wäre genau die Gleichbehandlung von Ungleichem ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes.

Dem wiederum gehorche das Kitagesetz von 2016, gerade weil „die Beitragssätze an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beitragsschuldner ausgerichtet“ sind, wie das Urteil lobt. Auch, wenn die Beitragsordnung nur für Kinder unter drei Jahren noch von Bedeutung ist.

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