Urteil im Stiftungsrat-Prozess: AfD darf ausgeschlossen werden
Die AfD hat kein Recht auf einen Sitz im Stiftungsrat niedersächsischer Gedenkstätten. Das hat der Niedersächsische Staatsgerichtshof entschieden.
„Die Stiftung kann jetzt endlich mit der Arbeit beginnen, darüber sind wir sehr froh“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen Landtagsfraktion Helge Limburg der taz. Die von der AfD angestoßenen geschichtsrevisionistischen Debatten um „Stolz auf die Wehrmacht“ oder eine anstehende „Wende“ in die Geschichts- und Erinnerungskultur, zeigten, wie nötig diese Arbeit sei, so Limburg.
Gerichts-Präsident Herwig van Nieuwland sagte, die Klage der AfD-Fraktion sei teilweise nicht zulässig und nicht begründet. Im Juli vergangen Jahres hatte die Fraktion um die Vorsitzende Dana Guth die Klage eingereicht, mit der sie sich gegen eine Änderung des Gedenkstättengesetzes wandte. Die AfD wurde dadurch aus dem Stiftungsrat ausgeschlossen.
Nach einem Gutachten des Staatsrechtlers Karl Albrecht Schachtschneider habe die Mehrheit im Landtag mit dieser Änderung einen „deutlichen Verfassungsverstoß“ verübt, so die AfD.
Jens Nacke, CDU-Fraktion
Schachtschneider, der sich seit Jahren in rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen bewegt, argumentierte, mit der Änderung des Gesetzes würden die „fundamentalsten Rechte“ der AfD beschnitten. Denn nach Artikel 19 und 20 der niedersächsischen Landesverfassung hätten die Oppositions-Fraktionen ein Recht auf Chancengleichheit in Parlament und Öffentlichkeit. Artikel 20 lege fest, dass alle Fraktionen entsprechend ihrer Stärke in den Ausschüssen vertreten sein müssten, mindestens jedoch durch ein Mitglied mit beratender Stimme. „Moralistische Befürchtungen gegenüber der AfD haben keinen Verfassungsrang“, meinte Schachtschneider.
In der Entscheidung erklärt das Gericht jedoch, „das Recht auf Chancengleichheit 'im Parlament’ nach Art. 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 NV“ verpflichtet den Landtag nicht, jeder Fraktion „die Entsendung eines ihrer Mitglieder in den Stiftungsrat zu ermöglichen“. Denn nach der Gesetzesänderung beruhe die Entsendung „allein auf dem 'Modell der Repräsentanz des Niedersächsischen Landtages im Stiftungsrat’“. Diese Repräsentanz sei durch vier Landtagsabgeordnete gegeben, die der Landtag nach dem Mehrheitsprinzip wählt. Die Gesetzesänderung selbst sei ebenfalls rechtens, da die AfD „hinreichend Gelegenheit“ gehabt habe, ihre ablehnende Haltung im Parlament einzubringen. Die „jeweiligen Abstimmungen seien „nach dem Mehrheitsprinzip erfolgt und korrekt verlaufen“.
Im Februar hatte der Landtag das Gesetz geändert. Nach dem Einzug der AfD ins Parlament war eine Debatte um ihr mögliches Agieren in der Stiftung aufgekommen. Die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen, die von der Stiftung getragen wird, protestierte. Überlebendenverbände aus den USA, Frankreich und Israel hatten sich an die Stiftung gewandt und die weitere Zusammenarbeit infrage gestellt, sollte die AfD in den Stiftungsrat einziehen.
Die Stiftung zeigt sich erleichtert. „Wir hatten keine andere Entscheidung erwartet, weil es unsererseits keinen Zweifel daran gab, dass die Gesetzesänderung rechtskonform ist“, sagte Stiftungs-Geschäftsführer Jens-Christian Wagner nach dem Urteil. „Im Stiftungsrat sollte nur mitarbeiten, wer den gesetzlich definierten Stiftungszweck unterstützt“, führte Wagner aus. „Das trifft auf die AfD-Landtagsfraktion, wie ich mich selbst Ende 2017 in einem Gespräch mit ihrer Fraktionsspitze überzeugen konnte, nicht zu.“
Das Märchen von der Opfer-Rolle
In der Partei werde „die Verharmlosung oder gar Leugnung der NS-Verbrechen“ geduldet, sie treibe auch offen „Antisemitismus, Rassismus und rechtsextreme Hetze gegen Geflüchtete und Andersdenkende“ voran. Solche Positionen würden die Stiftung und ihr Anliegen deutlich beschädigen, die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und die Würdigung der Opfer in der Gesellschaft zu fördern, so Wagner.
Die Entscheidung begrüßten bis auf die AfD alle Parteien im Landtag. Die SPD-Landtagsabgeordnete Wiebke Osigus sagt, das „Ziel des Gesetzes“ sei erreicht: „die Arbeitsfähigkeit des Stiftungsrates und die weitere Mitarbeit der Opferverbände in diesem Gremium zu gewährleisten“.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion Jens Nacke fügte hinzu: „Mit der Änderung des Gedenkstätten-Gesetzes haben wir verhindert, dass die Opferverbände aus der Gedenkstättenarbeit aussteigen.“ Er glaubt, dass es der AfD gar nicht um einen Sieg vor Gericht ging, sie wollte „einmal mehr das Märchen von der Opferrolle erzählen, in die sie die anderen Parteien angeblich hineindrängen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern