Urteil im Fall Oury Jalloh: Verurteilt, aber nicht aufgeklärt
Der angeklagte Polizist habe versäumt, nach Oury Jalloh in der Zelle zu schauen, so das Gericht. Die Vernichtung von belastenden Beweisen sei nicht erwiesen.
MAGDEBURG taz | In der Magdeburger Innenstadt hatten sich am Mittag Polizeiwagen postiert. Nach dem Urteil in dem skandalträchtigen Oury-Jalloh-Prozess rechneten die Behörden mit Demonstrationen. Kaum ein Verfahren um Polizeigewalt hat in den vergangenen Jahren ähnliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie der rätselhafte Feuertod des Asylbewerbers aus Sierra Leona in einem Polizeirevier in Dessau.
Fünf Jahre lang hat die Justiz versucht, den Fall aufzuklären. Beim ersten Anlauf vor dem Landgericht Dessau hatte der Richter den Prozess wegen offensichtlicher Lügen der Polizeizeugen frustriert beendet. Später hob der Bundesgerichtshof die Freisprüche für einen der beiden angeklagten Polizisten auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung nach Magdeburg.
Dieses Landgericht verhandelte 67 Tage lang den Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge gegen den mittlerweile wegen Krankheit aus dem Dienst ausgeschiedenen Polizisten Andreas S. Das überraschendste Ergebnis des neuen Prozesses: Die Polizei hätte Jalloh niemals in die Zelle sperren dürfen. Denn weder bestand der Verdacht, er könnte eine Straftat begangen haben, noch war seine Identität ungeklärt, erklärte die Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Zudem wäre die Polizei verpflichtet gewesen, das Einverständnis eines Richters einzuholen.
Rechtswidrige Praxis
Diese Versäumnisse mochte sie dem Angeklagten aber nicht anlasten: Denn der sei mehreren Irrtümern aufgesessen, für die er dem Gericht zufolge nichts konnte. So musste er denken, dass Jalloh eingesperrt wurde, weil er sich gegen die Kontrolle gewehrt habe. Und weil im Dessauer Polizeirevier „noch nie“ ein Richter zur Bestätigung einer Gewahrsamnahme angerufen worden sei, habe S. annehmen können, dass diese rechtswidrige Praxis in Ordnung sei.
Ihr einziger Vorwurf gegen den Beamten: Er habe es versäumt, häufiger in der Zelle nach Jalloh zu schauen. Methling erinnerte daran, dass drei Jahre vor Jallohs Tod der Obdachlose Mario Bichtermann in derselben Zelle an einer Kopfverletzung gestorben war. Auch damals war S. Dienstgruppenleiter. Die Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt, weil Bichtermann trotz Operation nicht hätte gerettet werden können. „Es wäre auch deshalb S.’ Pflicht gewesen, Jalloh optisch zu überwachen“, sagte die Richterin. Deshalb das Urteil: 120 Tagessätze à 90 Euro wegen fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge. Zudem muss S. die Prozesskosten tragen.
Die Nebenklage hatte im Lauf der Verhandlung immer wieder auf eklatante Lücken in der Beweisführung der Staatsanwaltschaft hingewiesen. „Wir sind uns bewusst, dass es Ermittlungsfehler gegeben hat“, sagte Methling dazu am Donnerstag – etwa vernichtete Asservate oder gelöschte Videos. „Was daraus zu schließen wäre, muss offen bleiben.“ Es könne jedoch „nicht nachgewiesen werden, dass Beweismittel gezielt vernichtet wurden“. Die Indizien der Nebenklage konnten das Gericht nicht überzeugen. Methling schloss aus, „dass das Feuer durch Defekt oder eine andere Person ausgelöst wurde.“
Noch vor dem Ende der halbstündigen Urteilsbegründung verließen einige Zuschauer protestierend („Schande!“, „Das war Mord!“) das Gerichtsgebäude; etwa 70 Personen zogen danach mit Transparenten in Richtung Innenstadt.
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