piwik no script img

Urteil im FDLR-UnterstützerprozessSchuldig und auf freiem Fuß

Das Oberlandesgericht Düsseldorf erklärt die FDLR zur „terroristischen Vereinigung“, spricht drei Angeklagte schuldig – und lässt sie laufen.

FDLR-Einheiten im Kongo. Bild: Simone Schlindwein

DÜSSELDORF taz | An einem Ende der Zuschauerreihen sitzen die vier Beamten des Bundeskriminalamtes, die vor genau zwei Jahren, am 5. Dezember 2012, in Köln und Bonn drei seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Ruander festgenommen hatten. Am anderen Ende sitzen diverse ruandische Familienangehörige der Angeklagten.

Schweigend hören sie, durch eine Glaswand getrennt vom Gerichtssaal 2 im Hochsicherheitsgebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf, kurz nach 10 Uhr am 5. Dezember 2014 das Urteil: Alle drei sind der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung schuldig und werden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Und am Ende, gute zwei Stunden später, die Überraschung: Alle drei kommen frei, denn eine Haftstrafe ist auf Bewährung und die anderen Haftbefehle werden gegen Meldeauflagen außer Vollzug gesetzt.

So macht sich nach Abschluss der Sitzung doch noch Erleichterung breit: Einzelne der Ruander im Publikum erheben die Finger zum Siegeszeichen und ballen solidarisch die Fäuste, während die Verurteilten aus ihrem eigenen Hochsicherheitsglaskasten breit grinsen. Aber auch Ankläger und Verteidiger scheinen zufrieden zu sein. Jeder hat etwas erreicht – aber jeder etwas anderes.

„Besonders gefährliche terroristische Vereinigung“

Eigentlich ist es ein historisches Urteil, das der Strafsenat 6a des OLG Düsseldorf an diesem Freitag fällt. Die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), die im Kongo unter wechselnden Namen seit zwanzig Jahren kämpft und für grausame Verbrechen an der Zivilbevölkerung Ostkongos verantwortlich gemacht wird, gilt nun amtlich als „terroristische Vereinigung“ – und zwar eine „besonders gefährliche terroristische Vereinigung“, wie die Vorsitzende Richterin Stein betont.

Allein zwischen 2010 und 2012 seien gezielten FDLR-Angriffen im Ostkongo mindestens 536 Zivilisten zum Opfer gefallen, die Straftaten reichen von Freiheitsberaubung, Plünderung und grausamer Behandlung bis zu sexueller Gewalt und Mord.

Seit 2009, so die Richterin, verfolge die Miliz – die aus jener Armee und jenen Milizen hervorgegangen ist, die 1994 in Ruanda einen Völkermord an mindestens 800.000 Menschen, zumeist Tutsi, verübten – im Ostkongo die Strategie, die „gesamte Bevölkerung als Feind anzusehen“. Damals sei in Reaktion auf kongolesisch-ruandische Militärschläge gegen die FDLR angeordnet worden, eine „humanitäre Katastrophe“ unter der Zivilbevölkerung anzurichten. „Dieser Befehl wurde seit 2009 immer wieder in die Tat umgesetzt“.

Und das waren „nicht eigenmächtige Einzelaktionen marodierender Truppen, sondern großangelegte Bestrafungsoperationen.“ An anderer Stelle führt die Richterin aus: „Größere Militäroperationen werden nicht ohne Zustimmung der Führung der FDLR angeordnet.“

Sie sollten dem Präsidenten helfen

Wegen dieser Verbrechen stehen in Stuttgart die in Deutschland lebenden höchsten politischen Führer der FDLR, Präsident Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, vor Gericht. Sie wurden im November 2009 festgenommen, der Prozess begann im Mai 2011. Es war in diesem Zusammenhang, dass die drei Angeklagten in Düsseldorf aktiv wurden.

Bernard T., Félicien B. und Jean-Bosco U. lebten seit den 1980er und 1990er Jahren in Deutschland, als politische Flüchtlinge aus Ruanda anerkannt und mittlerweile mit deutscher Staatsangehörigkeit. Sie kannten Murwanashyaka und wollten ihm helfen.

Als Murwanashyakas damaliger Anwalt Gallas sie bei einem Treffen in Köln bat, bei der Suche nach Entlastungsmaterial behilflich zu sein, reaktivierten sie alte Verbindungen: Bernard T. nahm Kontakt zu seinem Schwager Alphonse Monaco auf, ein FDLR-Kader im Exil in Mosambik, und Jean-Bosco U. mit seinem Großneffen Stany Gakwerere, hoher Kommandeur der FDLR in der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu. Es ging darum, Entlastungszeugen für den Prozess in Stuttgart aufzutreiben.

„FDLR-Zelle“ verbreitet Presseerklärungen

Konkret halfen die drei dem in Nord-Kivu lebenden FDLR-Informationskommissar Laforge Fils Bazeye dann lediglich mit Presseerklärungen: sie korrigierten die Entwürfe, formatierten sie, verbreiteten sie, unter Nutzung fiktiver Namen und gemeinsamer Mailadressen. Eine „FDLR-Zelle“ war entstanden, wie es Staatsanwalt Barthe am 28. November in seinem Plädoyer ausgedrückt hatte: „Sie waren keine Mitläufer“.

Die FDLR sei eine „besonders gefährliche terroristische Vereinigung“, so Richterin Stein: „Daran ändert der Umstand nichts, dass die Verbrechen in 6.000 Kilometer Entfernung stattfanden und besonders leicht in Vergessenheit geraten. Umso gefährlicher ist es, sie in Pressearbeit zu verteidigen.“

Die Richterin betont, beim Hauptangeklagten Bernard T. – der sich am meisten ins Zeug legte – gehe die Arbeit weit über bloße Mitgliedschaft in der FDLR hinaus. Bernard T wird schließlich auch wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz verurteilt: zweimal hat er 2009 jeweils 60 und 100 Euro an Dritte zugunsten Murwanashyakas überwiesen, der selbst mit UN- und EU-Sanktionen belegt war und keine Finanztransaktionen mehr vornehmen durfte.

Ansonsten werden Bernard T. und Félicien B. wegen „mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ unter §129a.1.1 und §129b.1.1 StGB schuldig gesprochen, Jean-Bosco U. lediglich wegen „Unterstützung in fünf Fällen“. Bernard T wird zusätzlich wegen zwei Geldüberweisungen aus dem Jahr 2009 an Dritte zugunsten des mit Sanktionen belegten FDLR-Präsidenten Murwanashyaka wegen Verstoßes gegen das Bereitstellungsverbot des Außenwirtschaftsgesetzes unter §34.4.2 AWG verurteilt.

T. erhält 4 Jahre Haft und B. drei Jahre. Beide Strafen werden unter Auflagen ausgesetzt - die beiden erhalten ihre Reisepässe nicht zurück, dürfen Deutschland nicht verlassen und müssen sich zweimal wöchentlich bei der Polizei melden. U. erhält zwei Jahre Haft auf Bewährung mit dreijähriger Bewährungsfrist.

Alle drei waren geständig

Dass sie alle drei jetzt auf freien Fuß gesetzt werden, liegt daran, dass alle drei geständig gewesen sind und Reue gezeigt haben – U. schon während der Vernehmung durch das BKA Anfang 2013, die anderen beiden gegen Ende des Prozesses, der im November 2012 begonnen hatte. Die Geständnisse würden nicht durch ihren späten Zeitpunkt entwertet, würdigt die Richterin – dieser sei „Ausdruck des Ringens mit sich selbst“.

Mit den Geständnissen konnte der Prozess einvernehmlich zu Ende gehen. Das Urteil gegen den Hauptangeklagten Bernard T. entspricht genau dem, was der Senat bereits am 17. Oktober am 80. Verhandlungstag in Aussicht gestellt hatte; am darauffolgenden Verhandlungstag wurde eine formelle „Verständigung“ mit dem zweiten Angeklagten Félicien B. laut §257c des Strafgesetzbuches verkündet, und beim dritten, Jean-Bosco U., war durch sein Geständnis schon vor Prozessbeginn ohnehin alles klar.

So kamen an den Verhandlungstagen 82 bis 87 die Geständnisse von T. und B., und damit war die Beweisaufnahme geschlossen.

In ihrem Plädoyer am 28. November, dem 89. Verhandlungstag, forderte die Bundesanwaltschaft nur geringfügig höhere Strafen als nun ergangen sind, und auch sie wollte lediglich den Hauptangeklagten in Haft behalten wissen. Die drei Verteidigungen wiederum erklärten in ihren Schlussvorträgen am 1. und 2. Dezember, den Verhandlungstagen 90 und 91, sie träten der Beweiswürdigung der Anklage nicht entgegen. Es herrschte Harmonie.

Wie beweist man „terroristische Vereinigung“?

Außer in einem Punkt. Eigentlich hatte die Verteidigung eine mehrjährige Beweisaufnahme fordern wollen, um die Frage des mutmaßlichen terroristischen Charakters der FDLR – jenseits der Tatvorwürfe gegen die drei Angeklagten – erschöpfend von allen Seiten zu beleuchten.

Karl Engels, Anwalt des Hauptangeklagten T., machte in seinem Schlussvortrag Andeutungen, wohin das hätte führen können, bis hin zu Exhumierungen von mutmaßlichen FDLR-Opfern im Kongo. Man müsste zum Beispiel herausfinden, ob die über 90 Opfer des FDLR-Überfall auf das Dorf Busurungi mit Macheten oder Gewehren getötet wurden, um zu klären, ob die Toten der Miliz „zurechenbar“ seien oder nicht, sagt Engels.

Dass die FDLR selbst den Angriff auf Busurungi gar nicht leugnet und Beteiligte dazu in Stuttgart ausgesagt haben, verschweigt er dabei. Und die von ihm geforderten Ermittlungen hat es in dieser Form nirgends gegeben, weder beim Prozess gegen die politische FDLR-Führung in Stuttgart noch bei irgendeinem Verfahren im Kongo oder beim Internationalen Strafgerichtshof.

Aber „diesen Fragen wären wir nachgegangen, wenn T. nicht entschieden hätte: es soll jetzt zu Ende gehen“, sagte Engels. „Er hat dadurch, dass er darauf verzichtet hat, diesen Fragen nachzugehen, das Verfahren um mehrere Jahre verkürzt. Ich behaupte nicht, eine solche Beweiserhebung hätte bewiesen, dass die FDLR keine terroristische Vereinigung ist. Sondern dass die Möglichkeit, alle Beweismittel auszuschöpfen, zu einer mehrjährigen Beweisaufnahme geführt hätte. Vielleicht hätte sie die These der Bundesanwaltschaft in Teilen bestätigt. Dazu wird es jetzt nicht kommen.“

Urteil aufgrund von Expertenzeugen

So stützt sich das Urteil, wonach die FDLR eine terroristische Vereinigung ist, allein auf Expertenzeugen: den deutschen Leiter der UN-Mission im Kongo (Monusco), Martin Kobler, den ehemaligen UN-Demobilisierungsmitarbeiter Matthew Brubacher, den Demobilisierungsexperten Hans Romkema sowie als Sachverständiger den deutschen Wissenschaftler Gerd Hankel.

Es wurden in Düsseldorf keine aktiven oder ehemaligen FDLR-Kämpfer befragt und keine kongolesischen Zeugen, anders als in Stuttgart.

Urteil schreibt „Rechtsgeschichte“

Dabei besteht die Signalwirkung des Düsseldorfer Urteils gerade in der Einstufung der FDLR als terroristische Vereinigung. Das hat Bedeutung weit über diese einzelne Miliz hinaus: „Erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte wurde eine Organisation, bei der Kriegsverbrechen im Mittelpunkt stehen, als terroristische Vereinigung festgestellt“, lobte Oberstaatsanwalt Christian Ritscher gegenüber der taz.

Es hat auch Bedeutung in den Kongo hinein. Während in Düsseldorf Ruander als Terrorunterstützer vor Gericht stehen, weil sie an der Verbreitung von FDLR-Presseerklärungen mitgewirkt haben, sind die FDLR-Kader im Kongo selbst anerkannte diplomatische Verhandlungspartner, wie ein Verteidiger säuerlich anmerkte.

„Die FDLR attackiert die Schwächsten“

Das Urteil fällt in einer Zeit, in der die UN-Mission im Kongo unter ihrem deutschen Leiter Martin Kobler – der in Düsseldorf als Zeuge ausgesagt hatte – Gespräche mit der FDLR über deren mögliche freiwillige Entwaffnung führt. Erst vergangene Woche waren die ersten Einheiten der FDLR, die sich im Mai und Juni freiwillig gestellt und in UN-Lager in Nord- und Süd-Kivu begeben hatten, von der UNO in Militärlager in der Stadt Kisangani weit weg von ihrem Kampfgebiet geflogen worden, und in diesen Tagen berät die FDLR-Führung intern über eine Neuaufstellung.

Mit scheinbarem guten Willen will die FDLR vermeiden, dass geltende UN-Beschlüsse umgesetzt werden, militärisch gegen sie vorzugehen, wenn sie bis 2. Januar 2015 nicht die Waffen streckt.

An guten Willen der FDLR glauben die Angeklagten in Düsseldorf zumindest nach außen nicht mehr. Ein Angeklagter wurde von seinen Anwälten mit deutlichen Worten zitiert: „Die FDLR hat immer die Schwächsten attackiert. Wegen einer Ziege werden kleine Mädchen vergewaltigt. Sie begehen Völkermord, egal wo sie sich befinden. Man sollte sie bekämpfen.“

Und in seinem eigenen Schlusswort sagte er: „Ich bereue aufrichtig, mich der Propaganda der FDLR-Verbrechen angschlossen zu haben – Verbrechen gegen die friedliche kongolesische Bevölkerung, die ihr Obdach gewährt hatte. Meine Gedanken sind bei den unschuldigen kongolesischen Opfern.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Das ist sehr entäuschend. Habt ihr den internationalen Gerichtshof in Kenntnis gesetzt? Besteht noch eine Möglichkeit das man die Personen nach Den Haag ausliefert und den Fall neu verhandelt? Wie dem auch sei diese Haftstrafen werden so oder so angerechnet daher Zweifel ich daran.

  • "[...] während die Verurteilten aus ihrem eigenen Hochsicherheitsglaskasten breit grinsen."

     

    Völlig klar, so sieht ehrliche Reue aus! Bestimmt war das auch ein "Ausdruck des Ringens mit sich selbst"...