FDLR-Kriegsverbrecherprozess vor Abschluss: Das Jüngste Gericht sieht anders aus

Seit 2011 läuft in Stuttgart das Verfahren gegen zwei Exilführer der ruandischen FDLR-Miliz. Die Beweisaufnahme ist fast abgeschlossen.

Ignace Murwanashyaka muss sich als mutmaßlicher Kriegsverbrecher vor Gericht verantworten. Er kommt immer im lila Hemd (Archivbild vom 4. Mai 2011). Bild: dpa

STUTTGART taz | Die Furchen haben sich tief eingegraben in das Gesicht von Ignace Murwanashyaka. Mit höchster Konzentration beugt sich der 51-jährige Ruander auf der Anklagebank zu seiner Anwältin Ricarda Lang herüber und weist sie mit gestrecktem Zeigefinger wieder einmal auf eine sprachliche Unstimmigkeit in einer Gerichtsakte hin.

Seine Augen stechen durch seine Brille, seine Mundwinkel sind leicht nach unten verzogen. Nach fast vier Jahren Gerichtsverhandlung beschränkt sich die Macht des Präsidenten der Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), einer der meistgefürchteten bewaffneten Gruppen in der Demokratischen Republik Kongo, heute auf geflüsterte Hinweise auf Übersetzungsfehler.

In sechs Wochen wird der Prozess vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen Ignace Murwanashyaka und seinen ehemaligen Vize Straton Musoni wegen Kriegsverbrechen der FDLR im Kongo in sein fünftes Jahr gehen – falls er dann noch läuft. An diesem Montag geht er in seinen 292. Verhandlungstag.

An keinem der Prozessbeteiligten ist diese Zeit spurlos vorübergegangen: Die sechs Richter plus Protokollantin unter dem Vorsitzenden Jürgen Hettich, der sein verschmitztes Lächeln nur noch selten zeigt; die wechselnden Vertreter des Generalbundesanwalts unter Oberstaatsanwalt Christian Ritscher, dessen Gesicht längst nicht mehr so oft rot anläuft wie anfangs; die Verteidigerteams unter den beiden Pflichtverteidigerinnen der ersten Stunde, Ricarda Lang und Andrea Groß-Bölting, die im Laufe der Jahre immer flapsiger auftreten.

Die "Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas" (FDLR) entstanden 2000 im Kongo als Sammelbecken ruandischer Hutu-Soldaten, die nach ihrem Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 in den Kongo geflohen waren.

Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, zwei in Deutschland lebende ruandische Hutu-Exilanten, wurden Präsident und 1. Vizepräsident der FDLR.

Am 17. November 2009 wurden Murwanashyaka und Musoni in Deutschland verhaftet.

Am 4. Mai 2011 begann vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der Prozess gegen sie wegen FDLR-Kriegsverbrechen im Kongo. (d. j.)

Der Saal 6 im OLG Stuttgart, ein weißgetünchter verschachtelter Raum mit wenig Tageslicht und kaum Frischluftzufuhr, ist zu einer Art Salon mutiert, wo man sich zweimal wöchentlich trifft und Rituale pflegt; wo man mal herumalbert oder sich unvermittelt anschreit; wo man auch mal nicht sofort merkt, dass die Richter mit ihrer üblichen Viertelstunde Verspätung in den Saal geschlichen kommen.

Es stört ja auch keinen. Die Öffentlichkeit beschränkt sich in der Regel auf die taz und die Beobachterin eines Konsortiums von Menschenrechtsorganisationen. Man kennt sich, einschließlich der Justizbeamten im Saal, der Polizisten an der Sicherheitsschleuse und des ruandischen Gerichtsdolmetschers. Dass zwei der Anwesenden immer in Handschellen hereingeführt werden, fällt kaum noch auf.

Immer mit lila Hemd

Eines hat sich allerdings nicht geändert: Für Murwanashyaka geht es ums Ganze. Ihm droht lebenslange Haft. Sein Mitangeklagter, der ehemals 1. FDLR-Vizepräsident Straton Musoni, darf mit neun Jahren rechnen, erklärte der Bundesgerichtshof im Dezember, als er Musonis Haftbeschwerde ablehnte. Murwanashyakas Strafe dürfte deutlich darüber liegen, denn die Anklage gegen ihn ist breiter gefasst.

Anders als Musoni, der schon vor Jahren seinen Austritt aus der FDLR erklärt hat, ist Murwanashyaka nach wie vor der Präsident seiner Organisation; erst im vergangenen Dezember wurde er von seinen Truppen im Kongo im Amt bestätigt. Anders als Musoni, der sich jeden Morgen umguckt und auch mal dem spärlichen Publikum zunickt, würdigt Murwanashyaka, wenn er mit großen Aktenstapeln auf den gefesselten Handgelenken in den Saal geführt wird, niemanden eines Blickes, manchmal nicht einmal seine Anwältin.

Er trägt ein lila Hemd und einen Rosenkranz um den Hals. Er lässt sich mit „Dr. Murwanashyaka“ anreden. Wenn seine alten SMS-Nachrichten verlesen werden und er mit seinen Beanstandungen der Übersetzung fertig ist, signalisiert er den Richtern durch eine herrschaftliche Handbewegung, dass sie zur nächsten Textnachricht übergehen dürfen, so als ob er ihnen das Wort erteilt und nicht umgekehrt. Zumindest auf den paar Quadratmetern um ihn herum ist er Präsident.

Reden in der dritten Person

Da sein zweiter Pflichtverteidiger seit fast einem Jahr nicht mehr mitmacht und Murwanashyaka den vom Senat benannten Nachfolger nicht akzeptiert, schreibt der Ruander viele seiner Anträge mittlerweile selber, mit Bleistift, und verliest sie auch in holprigem Deutsch, wobei er Pausen einlegt, um Fehler mit Radiergummi zu korrigieren. Er spricht von sich selbst in der dritten Person: „der Angeklagte“. Er spricht manchmal sehr leise. Wenn sich die Staatsanwälte in ihren roten Roben auf der anderen Seite des Saals beklagen, sie hätten vieles nicht verstanden, tönt seine Verteidigerin Lang: „Das sind die Folgen von fünf Jahren Isolationshaft.“

Der FDLR-Präsident sitzt in Stuttgart-Stammheim ein, im einst für die RAF-Häftlinge errichteten Hochsicherheitstrakt; seit fast einem Jahr weigert er sich wegen der scharfen Überwachung, jeglichen Besuch zu empfangen. Für den Ruander, den seine Vertrauten als einen tiefgläubigen Menschen beschreiben, ist dieser Prozess eine Prüfung, die er durch innere Stärke überstehen will.

Seit einigen Wochen ist es Murwanashyakas persönliche Vergangenheit, die der Stuttgarter Senat Revue passieren lässt. Zwei voluminöse Dateien mit von Murwanashyaka selbst archivierten SMS-Nachrichten aus der Zeit von 2006 bis 2009, einmal aus dem Kongo nach Mannheim und einmal umgekehrt, verlesen die Richter in Übersetzung, insgesamt wohl einige tausend Textnachrichten.

"Viele waren bei der Messe"

Es ist wie ein Kriegstagebuch der FDLR: Lageberichte von der Front, Austausch über Versammlungen und Reisen, Nachrichten über Telefonguthaben und den Umgang mit Satellitentelefonen. Das Geschehen reicht von 2007, als die FDLR sich fast täglich Kämpfe mit den kongolesischen Tutsi-Rebellen von Laurent Nkunda lieferte und von Kongos Armee zum Teil unterstützt wurde, bis 2009, als Kongos Regierung die Seiten wechselte und gemeinsam mit Ruandas Regierungsarmee gegen die FDLR kämpfte.

Die Dateien enden kurz vor der Verhaftung der beiden Exilführer in ihren Wohnungen in Mannheim und Neuffen am 17. November. „Wir grüßen Sie, Exzellenz“, schreibt ein FDLR-Funktionär aus dem Kongo seinem Präsidenten in Deutschland am 24. August 2009. „Der Feind hat uns am Sonntag schon wieder unerwartet besucht. Viele von uns waren bei der Messe. Wir sind jetzt im Wald.“

Murwanashyakas Schreiben dienen vor allem dazu, die Miliz zu Wachsamkeit vor dem Feind, Misstrauen gegenüber Freunden und zu innerer Geschlossenheit anzuhalten. „Wir können den Kongolesen nicht vertrauen, sie planen gemeinsam mit Kigali, uns zu zerstören“, erklärt der Präsident dem Oberkommandierenden für Nord-Kivu, General Omega, bereits am 20. November 2008. Zuvor hat er monatelang alle Vermittlungsversuche abgelehnt und immer wieder gesprächswillige FDLR-Vertreter als Verräter ohne Mandat gebrandmarkt.

Es gibt Kritik daran in den eigenen Reihen. „95 Prozent der Leute hier im Exekutivkomitee bezichtigen Sie des radikalen Extremismus“, schreibt der 2. Vizepräsident Victor Byiringiro am 24. September 2007. Murwanashyaka lässt sich sechs Tage Zeit mit der Antwort. „Einige von unseren Kollegen sind müde und denken, dass es eine magische Lösung gibt“, schreibt er. „Mein Team hier in Europa arbeitet Tag und Nacht.“

Nicht nur gebetet

Jede von Murwanashyakas Kurznachrichten endet mit den Buchstaben THT – Abkürzung für „Twese hamwe tuzatsinda“ (Gemeinsam werden wir siegen), eine alte Parole der Völkermordmilizen aus Ruanda. Oft findet sich vor „THT“ die Floskel: „Unsere Mutter BM und der Größte Umucunguzi mögen euch beistehen“. BM steht für „bikira mariya“, die Jungfrau Maria; „Umucunguzi“ ist das ruandische Wort für Retter und gleichzeitig die Einzahl für die FDLR-Bezeichnung ihrer eigenen Kämpfer, „Abacunguzi“. Das religiöse Selbstverständnis wird sehr deutlich. Als Anfang 2009 der Krieg naht, schreibt Murwanashyaka an General Omega: „Die Dinge werden sich in nächster Zeit tatsächlich ändern. Aber die Himmlischen werden dabei eine Rolle spielen. Wir müssen dafür beten.“

Die FDLR hat dann, glaubt man der Anklage sowie allen Menschenrechtsberichten aus jener Zeit, nicht nur gebetet, sondern vor allem zahlreiche Verbrechen begangen, aus Rache. Das schwerste war der Überfall auf das ostkongolesische Dorf Busurungi, das die FDLR in der Nacht vom 9. zum 10. Mai 2009 dem Erdboden gleichmachte, wobei laut Anklage mindestens 96 Zivilisten erschossen, erstochen, erschlagen oder zerhackt wurden.

UN-Berichte, wonach Murwanashyaka in jener Nacht intensiven SMS-Kontakt zu seinen Generälen vor Ort gehabt habe, lassen sich durch die in Stuttgart verlesenen SMS nicht erhärten: Immer wieder gibt es Lücken in den Dateien, die darauf hindeuten, dass Murwanashyaka nicht seinen gesamten Textverkehr archiviert hat.

Am 16. Mai allerdings schreibt der FDLR-Präsident dem obersten Militärkommandanten General Mudacumura: „Es ist notwendig, dass ihr uns eine erschöpfende Liste des erbeuteten militärischen Materials zukommen lasst, mit Einzelheiten von FARDC, die dort gestorben sind. Damit wir mit offenkundigen Beweisen dementieren können, dass wir in Busurungi gegen APR/FARDC (die ruandische/kongolesische Armee) gekämpft haben, und falls Zivilsten während dieser Kämpfe gestorben sind, dass die Schuld bei den FARDC liegt.“

Das Busurungi-Massaker

In einer anderen SMS an General Omega vom 21. April 2008 schreibt der Präsident: „Machen Sie die Operationen weiter, bis sie oben in Kinshasa darum bitten, den Krieg einzustellen … Erbeuten Sie so viel Material, wie es geht.“ Für die Anklage steht fest: Murwanashyaka hätte per Textnachricht den Krieg beenden können, tat es aber nicht, sabotierte Friedensinitiativen und verschleierte Verbrechen. Für die Verteidigung steht fest: Murwanashyaka hatte keine Befehlsgewalt, er erteilte keine Einsatzbefehle, sondern höchstens Empfehlungen und achtete ansonsten auf die Disziplin.

Vergangene Woche hat die Bundesanwaltschaft auf Anregung des Senats eingewilligt, das Verfahren in der Mehrheit der Angeklagepunkte einzustellen. Von ursprünglich 16 Punkten sind jetzt noch viereinhalb übrig, darunter allerdings die schwersten, wie eben das Massaker von Busurungi, über dessen Ablauf zahlreiche Zeugen detailliert ausgesagt haben. Für die Verteidigung ist das schon ein vorweggenommener Sieg, der zeigt, dass die Beweise in diesem Verfahren insgesamt nicht stichhaltig sind. Für die Anklage ist es eine Konzentration auf das Wesentliche, die hilft, einen Schuldspruch auf gesicherte Erkenntnisse zu gründen.

Zu Ostern ist mit der Beweisaufnahme zunächst Schluss, das Ende des Prozesses ist in Sicht. Ostern war für die FDLR immer besonders wichtig. Im Schlüsseljahr 2009 veröffentlichte Murwanashyaka eine Osterbotschaft an „alle Ruander“ mit dem Satz: „Lieber im Kampf sterben als wie ein Hund leben“. Den „Abacunguzi“ schrieb er: „Die Jungfrau Maria soll für uns beten, damit wir alle Helden werden.“ Ein paar Wochen später schreibt ihm jemand aus dem Kongo, manche in der Miliz fänden ihn „zu katholisch“. Murwanashyaka antwortet: „Man soll für sie beten. Die Zeit wird kommen, wo sie verstehen werden.“

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