piwik no script img

Urteil gegen zweiten G20-GegnerStrafe für Böller und Taucherbrille

Der Angeklagte wird zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Polizei hatte ihn wegen auffälliger Gegenstände festgenommen.

Wer im falschen Moment ein solches Gerät mit sich führt, dem könnte das schaden Foto: dpa

Hamburg taz | Vor dem Amtsgericht ist am Dienstag der zweite Angeklagte im Rahmen der G20-Verfahren zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Der 24-jährige Pole Stanislaw B. bekam sechs Monate Haft, die zu zwei Jahren auf Bewährung ausgesetzt werden. Er saß bereits seit sieben Wochen in Untersuchungshaft. Sein Anwalt kündigte an, in Berufung zu gehen.

Die Staatsanwaltschaft wirft B. Verstöße gegen das Waffengesetz, das Sprengstoffgesetz und das Versammlungsgesetz vor. B. war am Samstag des G20-Gipfelwochenendes in der Hamburger Innenstadt von der Polizei kontrolliert worden. Die Beamten, die im Prozess als Zeugen aussagten, hatten den Auftrag, „auffällige Klientel“ zu kontrollieren, die auf dem Weg zur Großdemonstration „Grenzenlose Solidarität“ sein könnte. B. hatte einen größeren Rucksack dabei, seine Begleiterin hatte Dreadlocks – für die Polizisten nach eigener Aussage ein Anlass, beide zu kontrollieren. Im Rucksack fanden sie eine Taucherbrille, Feuerwerkskörper, Glasmurmeln, einen Stadtplan mit Treffpunkten für G20-Demonstrationen, Pfefferspray und schwarze Klamotten. Sie nahmen B. vorläufig fest.

Mit den Murmeln hätte er mit einer Zwille auf Polizisten schießen wollen, lautete zunächst der Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft allerdings im Laufe der Verhandlung fallen ließ. Fest hielt sie hingegen an der Auffassung, die gefundene Taucherbrille diene als Schutzbewaffnung, zum Beispiel gegen den Einsatz von Reizgas, und stelle damit einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz dar. Das Pfefferspray polnischer Herstellung sei in Deutschland nicht zugelassen, ebenso wenig die Feuerwerkskörper. Dass er auf direktem Weg zur Demo gewesen sei, daran hatten Staatsanwaltschaft und Gericht keinen Zweifel.

B. beteuerte hingegen, er habe gar nicht zur Demo gewollt, sondern ins Camp im Volkspark. Dort wollte er seine Kontaktlinsen wechseln und gucken, ob sein Zelt noch da sei, weil es zuvor Tumulte und Verhaftungen im Camp gegeben hatte. B. sei lediglich als Tourist auf der Durchreise in Hamburg gewesen und wollte Freunde in Spanien besuchen, sagte er aus. Da er per Anhalter unterwegs sei, habe er zur Sicherheit Pfefferspray dabeigehabt. Auch die Taucherbrille und das Feuerwerk erklärte er mit dem Spanienurlaub. Die Glasmurmeln seien ein Glücksbringer von seiner Mutter, die das als Zeugin bestätigte.

Obwohl B. nicht vorbestraft ist, in Warschau studiert und gerade ein Auslandssemester in Newcastle absolviert hat, glaubte ihm der Richter nur die Aussage über die Murmeln. Zu der Haftstrafe entschied er sich auch, um einen „generalpräventiven Aspekt“, also eine Abschreckung gegenüber der Allgemeinheit, geltend zu machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Dieser Richter wäre wahrscheinlich lieber Gespenst in einer Geisterbahn geworden, als Jurist. Vielleicht war ja der Herr Papa dagegen. Der Job wird schließlich mies bezahlt und hat auch sonst kein gutes Imag.

     

    Einen „generalpräventiven Aspekt“ im Sinne einer „Abschreckung gegenüber der Allgemeinheit“ kennt das geschriebene deutsche Recht gar nicht. Noch gilt hier gilt das sogenannte Gesetzlichkeitsprinzip. Das lautet: Kein Verbrechen, keine Strafe ohne Gesetz (nullum crimen, nulla poena sine lege). In Europa hat man nämlich nicht nur Traditionen, sondern auch schlechte Erfahrungen mit ungeteilter Allmacht.

     

    Es ist NICHT Aufgabe der Richter, abzuschrecken. Wenn überhaupt (die Schwarze Pädagogik, heißt es, sei gar nicht mehr zeitgemäß) ist das Aufgabe der Gesetze. Die aber verabschieden die Parlamente. Kein Richter sollte sich anmaßen, eine vermeintliche Gesetzeslücke eigenhändig und unter Umgehung demokratischer Mindeststandards zu schließen.

     

    Meines Wissens gibt es kein Gesetz, das das Mitführen von Murmeln, Taucherbrillen, Stadtplänen, schwarzen Klamotten oder Dreadlocks tragenden Freundinnen verbietet. Reizgas ist nicht waffenscheinpflichtig. Ob es angewendet werden darf oder nicht, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Ähnlich verhält es sich mit Feuerwerkskörpern.

     

    Was eine „Schutzbewaffnung“ sein soll, müsste mir der Richter übrigens erst noch erklären. Nach meinem Sprachverständnis ist es eher eine Defensivhandlung, sich zu schützen. Dass man – wie einst die Schüler in des Kaisers Schule – die ungeschützten Hände hinhalten muss, wenn Vater Staat zuschlagen will,konnte ich mir bisher nicht vorstellen.

     

    Übrigens: Solte Polen das Urteil als unfreundlichen Akt arroganter Nachbarn betrachten, würde ich mich nicht wundern. Aber da regiert ja grade die PIS. Die hat es auch mit L&O. Das Risiko ist also gering, dass Polen zur Abschreckung ein Exempel statuiert an unserem Herrn Richter.

  • Hallo,

     

    Ich muss zugeben, dass ich nicht sehr bewandert bin in der Rechtsauslegung bzgl. Demonstrationen etc.

     

    Könnte mich hier einer Aufklären:

    Wenn ich eine Taucherbrille als Schutz vor eventuellem Pfeffer-spray "Angriffen" dabei habe, inwiefern verstößt das gegen das Versammlungs-/Demonstrationsgesetz? Darf ich mich nicht selbst schützen, oder muss ich mich darauf verlassen, dass die Polizei schon nicht zu krass reagieren wird...ha..ha...ha....*seufz*

     

    Die Böller und das Pfefferspray sind in dieser Konstellation in Deutschland nicht zugelassen, ok. Das kann ich dann verstehen, doch glaube ich ist da die potenzielle Gefahr eher gering. Kann mich aber auch irren.

     

    Die schwarze Bekleidung kann ja nun für alles mögliche sein. Jetzt eine direkte Verbindung zum schwarzen Block herzustellen, ist doch recht weit hergeholt und spekulativ.

     

    Ich weis nicht, irgendwie hat das ganze gerade absolut den Anschein von reinen Abschreckungs-Schau-Prozessen.

    Der vorherige Fall, wo ein Flaschenwerfer zu über 2 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, ist auch krass.

     

    Man muss hier doch mal realistisch denken:

    Werfe ich auf eine normal gekleidete Person eine Glasflasche, dann kann das extrem Gefährlich werden.

    Werfe ich auf einen schwer gepanzerten Polizisten eine Glasflasche, dann ist dessen Verletzungsrisiko WESENTLICH geringer. Hatte er ja auch selbst gesagt, dass er nur kurz ein wenig Schmerz gespürt hatte.

     

    Irgenwie geht hier ein wenig die Verhältnismäßigkeit abhanden, finde ich.

     

    Es sei noch dazu gesagt, dass ich diese ganzen gewalttätigen Ausschreitungen in vielen Punkten für absolut dämlich halte. Erst recht diese Vollpfosten, die wahllos irgendwelche Autos anzünden und Läden demolieren. Auch offensive Gewalt gegen Polizisten geht erst mal nicht. Doch wenn sie erfolgt ist, muss eine gerechtfertigte Strafe erfolgen.

    Die krassen Abschreckungsmaßnahmen jetzt schüren doch eher weiter den Unmut eben dieser Gruppe. Ist doch Schwachsinn.

     

    MfG

    Nerei

  • Vielleicht sollte man sich mal minimaljuristisch beraten lassen, wenn man Kommentare zu Prozessen schreibt. Die Strafe ist 6 Monate die auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde - keine Bewährungsstraf von 2 Jahren.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Wichtig wäre Tabestände die asoziales Verhalten, Rowdytum und Boykotthetze unter Strafe stellen, einzuführen. So gibt es bei blosser Verdachtsbestrafung wenigstens ein Mäntelchen an Legitimtät. In der DDR hat das wunderbar geklappt ...

  • Bei Strolchen bedarf es auch dringend eines geistigen Trainings. Dieser gefährliche "Täter" gilt als vorbestraft, wenn das Urteil rechtskräftig wird.

     

    Die Taucherbrille ist natürlich ein Ausweis eines aktiven Tätertums. Bereits der angesehene Jurist Kurt Tucholski kommentierte in einem Fachaufsatz zur Einführung der Prügelstrafe folgenden Straftatsbestand bei Masochisten, welche der Prügelstrafe unterzogen wurden wie folgt: ihnen (den Masochisten) sollte nun der Prozess gemacht werden wegen der "rechtswidrigen Aneigung von Vermögensvorteilen".

     

    Herumstrolchende am falschen Ort müssen, wenn man dem Urteil folgt, sich in prügelbereiter Grundstellung dem Polizisten präsentieren, dürfen aber nachweislich damit keinen persönlichen Lustgewinn verbinden. Im Gegenteil, sie haben die Pflicht die Beamten auf die Stellen hinzuweisen, wo es besonders weh tut. Damit die Strafe auch als Solche empfunden wird. Wer dabei stirbt, geht als Merkel-Märtyrer in den schwarzen Himmel ein und hat zu seiner Rechten die ewige Misere.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...was für Beweis gibt es eigentlich, dass der Typ auf dem Weg zur Demo war?

    Keine.

    Vielleicht war er wirklich nur auf'm Weg zu seinem Zelt?

    'Alle' schreien immer, wenn in Russland Demonstranten weggesperrt werden. In der BRD werden Menschen weggesperrt, die VIELLEICHT auf dem Weg zu einer Demo sind.

  • Etwas mehr Sorgfalt. Die Strafe sind sechs Monate und nicht zwei Jahre! Die Strafe ist zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Der Text bedarf dringend der Überarbeitung.