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Urteil gegen „Zwölf Stämme“Ein trügerisches Idyll

Ihre Mitglieder verprügeln und demütigen ihre Kinder. Die Sekte hat Deutschland verlassen, sieben Kinder stehen weiter unter der Obhut des Jugendamtes.

Unterricht bei den „Zwölf Stämmen“ im Jahr 2004 Foto: dpa

München taz | Es war eine geballte Polizei- und Behördenaktion, wie sie der beschauliche bayerisch-schwäbische Landkreis Donau-Ries kaum je erlebt hatte. 100 uniformierte Beamte sowie Mitarbeiter des Jugend­amtes rückten an jenem Tag Anfang September 2013 um sechs Uhr morgens an und nahmen sämtliche Kinder der christlich-fundamentalistischen Sekte „Zwölf Stämme“ mit – „in Obhut“, wie es in der Behördensprache heißt. Sie kamen zu Pflegeeltern. Begründet wurde dies damit, dass die Kinder und Jugendlichen dauerhaft und massiv misshandelt wurden – verprügelt, weggesperrt, gedemütigt. 28 waren es am Hauptsitz Klosterzimmern, 80 Kilometer nördlich von Augsburg gelegen, und zwölf in der Sekten-Dependance in Mittelfranken.

Die Blaulicht-Aktion läutete den Anfang vom Ende der „Zwölf Stämme“ seit 1994 in Deutschland ein. In der Folge wurde immer mehr bekannt über den Erziehungsstil der Gemeinschaft, die sich vordergründig als eine Art urchristliche Landkommune präsentierte. Der Name „Zwölf Stämme“ steht für die biblischen „Zwölf Stämme Israels“, die in der Überlieferung im Alten Testament zum Volk Israel wurden.

Mit der Rute und anderen Gegenständen wurden die Kinder der Landkommune massiv geschlagen. „Nicht wöchentlich, sondern täglich“, erzählte der damals 22 Jahre alte Sektenaussteiger Christian Reip in einem Gespräch. Es habe ein „Klima der Angst und der totalen Überwachung“ geherrscht. Die „Zwölf Stämme“ hatten vom bayerischen Kultusministerium die Genehmigung erhalten, die Kinder selbst zu unterrichten, wodurch die Schüler kaum Gelegenheit hatten, das Areal der Sekte zu verlassen. Im Nachhinein wurde dies vielfach als fahrlässig kritisiert. Auch das Lehrpersonal prügelte, eine einstige nicht ausgebildete Lehrerin war deshalb vom Amtsgericht Nördlingen zu einer Strafe von zwei Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden.

Laut dem Verständnis der „Zwölf Stämme“ war und ist die körperliche Züchtigung, wie sie im Alten und Neuen Testament angepriesen wird, ein legitimes und auch pädagogisch sinnvolles Mittel der Erziehung. Auf der Webseite der nach Tschechien ausgewanderten Truppe steht ein Lehrvideo mit dem zynisch klingenden Titel: „Seitdem die Rute verboten wurde, ist die Hölle los.“ Reip berichtete von regelmäßigen Schlägen auf die offenen Hände und den nackten Po. Die Lehrkräfte umwickelten die Ruten mit Tesafilm – „damit sie mehr wehtun und nicht so schnell kaputtgehen“. Denn geprügelt wurde, bis die Rute kracht.

Hölle im Idyll

Von den damals 40 aus der Sekte entfernten Kindern und Jugendlichen ist ein Teil in der Zwischenzeit volljährig geworden und aus der Obhut des Jugendamtes entlassen. Sieben Kinder aber sind laut der Sprecherin Gabriele Hoidn weiterhin vom Landkreis in Pflegefamilien untergebracht und besuchen öffentliche Schulen. Diese sind 7 bis 15 Jahre alt. Ein 15-Jähriger lehnt von sich aus den Kontakt zu seinen leiblichen Eltern ab, die anderen sehen ihre Familien regelmäßigen in Absprache mit der Behörde.

Anfang vergangenen Jahres verließen die Zwölf Stämme Deutschland komplett und zogen in einen kleinen tschechischen Ort, 50 Kilometer von Prag entfernt

Das einstige „Zwölf-Stämme“-Gut Klosterzimmern – ein früheres Zisterzienserinnen-Kloster mit Kirchlein und jeder Menge Nebengebäude – wirkte früher für Außenstehende und Besucher wie ein Idyll. Die Gemeinschaft lebte von der Landwirtschaft, betrieb aber auch Firmen für Bau und die Errichtung von Photovoltaik-Anlagen. Die Mitglieder kleideten sich wie Hippies und lebten weitgehend isoliert, nur das jährliche Hoffest galt in der weiteren Umgebung als Attraktion.

Ihren Hauptsitz haben die „Zwölf Stämme“ im US-Bundesstaat Tennessee, in den USA gibt es laut eigener Darstellung Dutzende Kommunen. Ableger existieren auch in Südamerika, Großbritannien oder Südfrankreich. Anfang vergangenen Jahres verließen die „Zwölf Stämme“ Deutschland komplett und zogen in einen kleinen tschechischen Ort, 50 Kilometer von Prag entfernt. Das Anwesen in Klosterzimmern haben sie an einen Bauern verkauft, der es nach letztem Informationsstand verpachten möchte.

In Tschechien, wo das Schulgesetz nicht so streng ist, haben die „Zwölf Stämme“ die Möglichkeit, Kinder privat zu beschulen, auch ist dort die Prügelstrafe in gewissem Umfang gesetzlich erlaubt. Auf Anrufe reagiert die Gruppe nicht. Ob sie wieder Kinder in ihrer Gemeinschaft haben, ist unbekannt. „Für uns sind sie verzogen, somit sind wir nicht mehr zuständig“, sagt die Landratsamts-Sprecherin in Donau-Ries.

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10 Kommentare

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  • Bei den heutigen Leistungen in den Schulen habe ich mir auch so manches Mal gewünscht meine Kinder selbst zu Unterrichten!

     

    Aber, ein großes Aber, kommt jetzt.

    Ich hätte mir nie verzeihen können, meine Kinder derart zu isolieren, was zwangsläufig bei einer anderen Lehrstelle als der Öffentlichen Schule geschehen wäre.

     

    Allein schon aus diesem Grund hätte das bayrische Kultusministerium diesen Antrag ablehnen müssen.

    Es war doch abzusehen, dass die Isolierung der Schüler von der Öffentlichkeit zu einem Stil führen würde, der nicht gesetzeskonform war.

     

    Alles was im "Dunkeln" gehalten werden soll, wird nach bester Möglichkeit abgeschottet.

     

    Wer sich mal mit der Geschichte der "Zwölf Stämme" auseinander gesetzt hätte, hätte auch ein mulmiges Gefühl zu der Sondergenehmigung der Gruppe bekommen müssen, mir persönlich wäre es jedenfalls nicht geheuer gewesen, nach der Lektüre der Ausrichtung der Sekte.

     

    Zu den Kommentatoren, die die Christen auch als eine Sekte sehen, sie haben bis zu einem bestimmten Punkt recht, aber niemand der sich in eine der christlichen Kirchen begibt, wird so strengen Verhaltensregeln unterworfen, wie in den Sekten, wie z.B. Zwölf Stämme oder den Scientologen.

     

    Das was die Kirchen, vor allem die Katholische betrifft, in Hinsicht auf Kindesmissbrauch und Schlägen zur Erziehung von Kindern, muss man sagen, das dies im Kontext der Jahrhunderte Alten Gepflogenheiten der Zeit vorkam.

    Die sexuellen Übergriffe wurden von den Kirchen, hoffe ich, nicht gefördert, aber vertuscht und geleugnet und das teilweise bis zum heutigen Tag.

     

    Ich wurde manchmal auch von meinen Eltern und von den Lehrern durch Schläge gezüchtigt, hat mir nicht geschadet!

    Aber ich selbst, Vater von drei Kindern, habe mit dieser Tradition gebrochen, allein schon aus der Tatsache heraus, dass ich meine Kinder so erzogen habe, dass es nie nötig gewesen wäre und selbst dann andere Maßnahmen ergriffen hätte.

     

    Die wichtigste Maßnahme ist Kommunikation beider Seiten, auch mit den Kleinsten!!!

  • "Die „Zwölf Stämme“ hatten vom bayerischen Kultusministerium die Genehmigung erhalten, die Kinder selbst zu unterrichten"

    Wie kann sowas überhaupt legal sein? Ich weiß Bildung ist Länder Sache, aber wenn das Kultusministerium eine sondergenehmigung erteilt, muss es dann nicht auch gewährleisten dass die von ihm beschlossenen Bildungsgesetze auch eingehalten werden? Und wäre dann nicht aufgefallen das die Lehrmethoden dieser Sekte weder mit den Bildungsgesetz noch dem Grundgesetzt vereinbar sind?

    Bin ich froh das unser neue Bildungsminister nicht von der CSU ist.

    • @Arianus:

      Bei jedem vorankündigtem Besuch, Kontrollbesuch zeigte sie sich immer von ihrer besten schönsten Seite.

      Menschen einwickeln konnten einge führende Personen sehr gut.

      Die Sondergenemigung wurde ja nicht gleich ausgesprochen.

      Aber bei den Überprüfungen die angemeldet waren zeigte sich die Stammeshüter immer von ihrer besten Seite. Da musste sicherlich kein Kind für meherer Stunden im Eck stehen oder wurde körperlich gezüchtigt.

      • @J.D.:

        Das angemeldete Kontrollbesuche nicht funktionieren ist schon lange bekannt, von daher gibt es ein anderes gängiges Mittel mit überraschungeffekt :) .

        Sondergenemigungen zum privat unterricht sind äußerst kritische, da dies die brutstätte von paralellen bis fanatischen Gedankengut ist. Von daher sollten solche genehmigungen nur erteilt werden, wenn man den Lehrplan sowie die lehrmethoden genaustens untersuchen kann, wie es z.B. bei den freien Schulen der Fall ist.

        Ist dies nicht der Fall, darf eigentlich keine Sondergenehmigung erteilt werden und das sie denoch erteilt wurde, ohne das die Schule genaustens untersucht wurde wirkt für mich schon mehr als skandalös.

  • Jeder Glaube der zu einer Organisation gehört ist eine Sekte.

    Da ich aus der Gegend bin habe ich sehr lange die Lebenweise und Taten der zwölf Stämme oft öfentlich verurteilt.

    Aber gerade von älteren Menschen (65+)

    wurden die Taten Mißhandlungen als Gut geheißen. Mit der Begründung, uns hat das früher auch nicht geschadet und dort bei den zwölf Stämmen gibt es wieder Zucht und Ordnung das schon lange für die heutige Jugend fehlt.

    Über diese Zucht und Ordnung könnte ich pers. ein Buch schreiben.

  • War die deutsche Christenheit auch eine Sekte, als sie bis vor wenigen Jahrzehnten gewohnheitsmäßig ihre Kinder verprügelte bzw. gleich missbrauchte oder ist das eine andere Geschichte?

    Der Sektenbegriff führt keinen Deut weiter, dient allein der Diffamierung und der Markierung des Anderen. Eine religiöse Ein- und Unterordnung ist daher an dieser Stelle für mich fragwürdig.

    • @emanuel goldstein:

      Die deutsche Christenheit hat bis vor wenigen Jahrzehnten gewohnheitsmäßig ihre Kinder mißbraucht? Habe ich da was verpasst?

       

      Ich möchte diese Gruppierung als Andere markieren.

       

      Seine Kinder jeden Tag zu prügeln und den Stock mit Tesafilm zu umwickeln, damit es mehr wehtut und er nicht so schnell kaputtgeht, das ist ein Erziehungsstil, von dem ich mich in aller Form distanziere.

       

      Das Christentum ist übrigens immer noch eine jüdische Sekte und wird es immer bleiben. Der ursprüngliche Sektenbegriff ist keine Diffamierung.

    • @emanuel goldstein:

      Es geht hier aber nicht um den Sekten begriff, sondern um die systematische verletzung des Grundrechtes.

    • @emanuel goldstein:

      Im Großen und Ganzen haben Eltern heute akzeptiert, dass sie ihre Kinder nicht mehr schlagen dürfen. Nur gewisse Subkulturen nehmen sich das Recht heraus, anders zu agieren. Sekten gehören u.A. dazu. Die sind nun mal religiös motiviert. Warum verschweigen?