Urteil gegen LRA-Kommandeur aus Uganda: Erst Opfer, dann Täter
Der Internationale Strafgerichtshof spricht sein erstes Urteil gegen Ugandas LRA-Rebellen. Dominic Ongwen ist in fast allen Punkten schuldig.
Täter, hat am Donnerstag die 9. Kammer des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag nach mehreren Jahren Prozess gegen Ongwen geurteilt. Es sprach ihn in 61 von 70 Anklagepunkten schuldig; die restlichen fallen lediglich weg, weil sie bereits in anderen enthalten sind.
Es geht um Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Mord, Folter, Versklavung, Plünderung, Zerstörung und Verfolgung bei vier von ihm geleiteten Angriffen auf Vertriebenenlager in Uganda in den Jahren 2003 und 2004; Zwangsheirat, Folter, Vergewaltigung, Versklavung und Zwangsschwängerung von sieben entführten Frauen; Rekrutierung von Minderjährigen und Sexualverbrechen an Mädchen in seiner Brigade Sinia.
Ausführlicher als sonst schilderte der Richter bei der Urteilsbegründung die grauenhaften Verbrechen und verlas auch die Namen von Opfern – per Livestream schauten zahlreiche Menschen in Uganda selbst zu, auch im ehemaligen Kriegsgebiet.
LRA-Rebellion: Die „Lord’s Resistance Army“ entstand 1987 als Nachfolgeorganisation des „Holy Spirit Movement“, eine Rebellenarmee des Acholi-Volkes im Norden Ugandas gegen Ugandas Präsident Yoweri Museveni. Geführt vom katholischen Priester Joseph Kony, führte die LRA mit Unterstützung aus Sudan einen Terrorfeldzug im Norden Ugandas, der Zehntausende Tote und Millionen Vertriebene produzierte. Berüchtigt wurden ihre massenhaften Kindesentführungen. Ab 2006 zog sie sich nach Südsudan, die Demokratische Republik Kongo und schließlich in die Zentralafrikanische Republik zurück.
Internationaler Strafgerichtshof: 2005 erließ der IStGH Haftbefehl gegen LRA-Chef Joseph Kony, seinen Stellvertreter Vincent Otti und die Kommandeure Raska Lukwiya, Okot Odhiambo und Dominic Ongwen. Nur Ongwen wurde gefasst. Lukwiya, Odhiambo und Otti sind tot, Kony ist verschollen.
Er hörte schweigend zu
Im Prozess seit Ende 2016 hatten Experten und Anwälte auch darüber gestritten, ob Ongwen, selbst ehemaliger Kindersoldat, dafür zur Rechenschaft gezogen werden kann. Ongwen, in Anzug und Krawatte, hörte schweigend zu, oft mit einem verwirrten Gesichtsausdruck. Er gab im Gerichtssaal ein ganz anderes Bild ab als früher mit seinem jungenhaften Aussehen, in einer grünen Uniform und Rastahaaren unter dem Barett.
Ongwen hatte den Ruf, ein furchtloser Krieger zu sein, der die gewagtesten Angriffe ausführte. In Lukodi wurden bei einem von ihm geführten Angriff am 19. Mai 2004 mehr als 40 Einwohner getötet und mehrere Kinder entführt.
David Okot, der nach einigen Jahren entkommen konnte, sagte 2015 zur taz: „Ich selbst habe gesehen, wie Ongwen Kinder zu Tode geprügelt hat. Er hat es nicht im Auftrag getan, er hat getötet, weil er es gern getan hat. Er ist kein Opfer, sondern ein williger Täter. “
Im selben Jahr malte Ongwens Halbschwester Julanda Aayo im Interview ein ganz anderes Bild. „Er war ein süßer Junge. Ein gehorsames Kind. Er hat nur getan, was ihm gesagt wurde.“
Das Gericht stellt nun fest: Mildernde Umstände liegen nicht vor. Der einstige Kindersoldat beging seine Verbrechen als Erwachsener freiwillig, ohne Druck und ohne psychisch geschädigt zu sein, wie seine Verteidigung es behauptet hatte.
In der Zeit der Termiten
Als Dominic Okumu Savio kam er auf die Welt. Seine Eltern, beide Lehrer, gaben ihm später den Namen Ongwen, „geboren in der Zeit der Termiten“. Diesen Namen sollte er sagen, falls jemand ihn entführt. Es herrschte damals schon Krieg in Norduganda, die meisten Eltern in gaben ihren Kindern Spitznamen, um die Familien zu schützen, falls ihre Kinder verschleppt wurden.
Ongwen wurde wie alle entführten Kinder in der LRA einer grausamen Ausbildung unterzogen. Neue Rekruten mussten nicht nur zusehen, wie andere Kinder gefoltert oder ermordet wurden, sondern es auch selbst tun. Sie lernten, mit Waffen umzugehen und Angriffe auszuführen, manchmal an Orten, wo ihre Familien lebten.
Ongwen endete in der Gruppe von Vincent Otti, Nummer zwei der LRA. Zwischen beiden entwickelte sich Kameraderie. Mit 18 Jahren war Ongwen Major, mit Ende zwanzig leitete er seine eigene Brigade Sinia. Er erwarb sich Ehefrauen unter den entführten Mädchen und Frauen, mit denen er viele Kinder zeugte.
Einige von Ongwens Frauen haben ihren Ekel über ihn zum Ausdruck gebracht, andere, wie Florence Ayot, sind ihm treu geblieben. Sie besuchte ihn sogar im Gefängnis und wurde wieder schwanger.
Bruch mit seinem Chef Joseph Kony
Der IStGH erließ 2005 Haftbefehle gegen Ongwen und weitere LRA-Kommandeure, darunter den LRA-Führer Joseph Kony. Ein Jahr später zog sich Ongwens Brigade als letzte LRA-Gruppe aus Uganda zurück und setzte ihre Aktivitäten in den Nachbarländern fort. Kurz darauf begannen Friedensgespräche mit Ugandas Regierung, die aber scheiterten.
Vincent Otti war ein Befürworter des Friedens, aber Kony sah darin Verrat und ließ ihn töten. Ongwen flehte vergeblich darum, Ottis Leben zu retten.
Ongwen wurde widerspenstig. Er folgte immer weniger Konys Befehle und weigerte sich zeitweise, überhaupt über Funk mit ihm zu sprechen. Kony ließ ihn schließlich in einer LRA-Basis in der Zentralafrikanischen Republik einsperren. Ongwen befürchtete, getötet zu werden und konnte mit Hilfe einiger Kämpfer fliehen.
Die lokale Rebellengruppe Séléka griff ihn auf, woraufhin er schließlich in Den Haag landete. Während er auf seinen Transfer wartete, sagte er, er habe sich ergeben, weil „die LRA keine Zukunft hat“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
Hamas und Israel werfen sich gegenseitig vor, Gespräche zu blockieren