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Urteil des VerfassungsgerichtsRecht auf Vergessen gestärkt

Die Verfassungsbeschwerde eines 1982 verurteilten Mörders war erfolgreich. Sein Name muss zukünftig aus Online-Artikeln gelöscht werden.

Die Verfassungsrichter verwiesen auf die Bedeutung der seit einer Tat vergangenen Zeit Foto: Stockhoff/imago images

Karlsruhe afp | Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht auf Vergessen im Internet auch bei schweren Straftaten gestärkt. Die Richter und Richterinnen gaben in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss der Verfassungsbeschwerde eines im Jahr 1982 wegen Mordes verurteilten Manns statt, der sich gegen die vollständige Nennung seines Namens in online noch immer verfügbaren Presseartikeln wendet. Bei der Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und Pressefreiheit muss demnach besonders der zeitliche Abstand zu einer Tat beachtet werden. (Az. 1 BvR 16/13)

Der Kläger wurde im Jahr 1982 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er an Bord einer Jacht zwei Menschen erschossen hatte. Wer heute – 37 Jahre später – seinen Namen in einer Internetsuchmaschine eingibt, stößt nach wie vor auf kostenlos abrufbare Artikel im Archiv des Magazins Der Spiegel. In denen wird der vollständige Name des Manns genannt. Dagegen erhob er schließlich eine Unterlassungsklage.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte diese Klage allerdings in letzter Instanz abgewiesen. Der Schutz der Persönlichkeit habe in diesem Fall hinter dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten, so der Gerichtshof damals. Dagegen zog der Mann vor das Bundesverfassungsgericht, das seiner Verfassungsbeschwerde gegen das BGH-Urteil nun stattgab.

Onlinepressearchive können laut dem Beschluss des höchsten deutschen Gerichts in Karlsruhe verpflichtet sein, Schutzvorkehrungen gegen die zeitlich unbegrenzte Verbreitung personenbezogener Berichte durch Internetsuchmaschinen zu treffen. Es sei ein Ausgleich anzustreben, der einen ungehinderten Zugriff auf einen Originaltext möglichst weitgehend erhalte, diesen bei bestehendem Schutzbedarf aber im Einzelfall doch hinreichend begrenze. Die Entscheidung des BGH halte diesen Anforderungen nicht in jeder Hinsicht stand.

Die Verfassungsrichter verwiesen auf die besondere Bedeutung der seit einer Tat vergangenen Zeit. Das berechtigte Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung nehme mit zunehmendem zeitlichen Abstand ab, hob das Gericht hervor.

Das Verfassungsgericht stellte zugleich klar, dass Betroffene nicht allein über das „Recht auf Vergessenwerden“ bestimmen könnten. „Welche Informationen als interessant, bewundernswert, anstößig oder verwerflich erinnert werden, unterliegt insoweit nicht der einseitigen Verfügung des Betroffenen“, erklärte das Gericht. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folge nicht das Recht, alle früheren personenbezogenen Informationen aus dem Internet löschen zu lassen.

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