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Urteil des BundesverfassungsgerichtsDemokratie vor Regierungslogik

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Deutschland erwog 2015 Griechenland aus dem Euro zu drängen. Darüber hätte der Bundestag vorab informiert werden müssen, so das Verfassungsgericht.

Die Bundesregierung muss den Bundestag über EU-Verhandlungen informieren Foto: imago

D ie Demokratie in Europa ist komplexer als die Demokratie in einem Nationalstaat. Denn in der EU machen 27 Demokratien miteinander gemeinsame Gesetze. Dabei ist das wichtigste Gremium der Entscheidungsfindung der EU-Ministerrat, in dem die Regierungen der 27 EU-Mitgliedsstaaten vertreten sind.

Das gesetzgeberische Handeln der Regierungen bleibt aber demokratisch rückgekoppelt, weil die nationalen Parlamente auf die Mi­nis­te­r:in­nen einwirken und ihnen Vorgaben machen können.

In diesem Spannungsfeld hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Mittwoch eine wichtige Entscheidung veröffentlicht. Danach muss die Bundesregierung den Bundestag über ihre Initiativen schon informieren, bevor sie darüber Vorgespräche mit anderen Regierungen aufnimmt.

Wie brisant die Entscheidung ist, zeigt der zugrunde liegende Fall. Im Juli 2015 sollte ein EU-Gipfel über weitere Hilfen für das überschuldete EU-Mitglied Griechenland entscheiden. Der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wollte Hilfen nur zustimmen, wenn das damals links-regierte Griechenland zu tiefgreifenden Reformen bereit ist. Andernfalls solle Griechenland vorübergehend den Euro-Währungsraum verlassen.

Über diese Initiative, mit der sich Schäuble nicht durchsetzen konnte, informierte er den Bundestag erst nach dem EU-Gipfel. Deshalb klagten die Grünen beim Bundesverfassungsgericht. Sie sahen die Informationsrechte des Bundestags verletzt und bekamen nun Recht. Schäuble hätte das Parlament informieren müssen, bevor er bei anderen Regierungen für seine Ideen wirbt.

Brisante Frage, gutes Urteil

Es geht bei diesem Beschluss um die Abläufe der europäischen Demokratie – jedenfalls im deutschen Teil davon. Erst muss der Bundestag erfahren, was die Regierung vorhat, dann können die EU-Partner informiert werden.

Diese Entscheidung ist sehr zu begrüßen. Sie stellt sicher, dass die Beteiligung des Bundestags auch in hochbrisanten Fragen nicht nur auf dem Papier steht. Im Grundgesetz-Artikel 23 heißt es, dass der Bundestag in EU-Angelegenheiten „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ zu unterrichten ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat sichergestellt, dass diese sehr parlamentsfreundliche Verfassungsnorm ernst zu nehmen ist. Denn wer nicht weiß, was passiert, kann auch keinen Einfluss nehmen.

Bedenklich ist aber, dass die Rich­te­r:in­nen auch eine vertrauliche Information des Bundestags für möglich halten – wenn das frühzeitige Bekanntwerden der deutschen Verhandlungsposition das „Staatswohl“ gefährden würde.

Für eine vitale Debatte

Doch die Einschaltung des Bundestags ist kein Selbstzweck. Sie soll soll auch in komplexen europäischen Entscheidungsprozessen eine lebendige Demokratie sicherstellen. Die Unterrichtung der Abgeordneten in der Geheimschutzstelle des Parlaments ist das Gegenteil davon. Denn nur wenn die Opposition auch die Öffentlichkeit mobilisieren kann, sichert der Einbezug der Opposition eine vitale Debatte.

Es mag im Einzelfall die Verhandlungsposition der Bundesregierung beeinflussen, wenn deutlich wird, dass ihre Initiative in der deutschen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wird. Aber so ist das in der Demokratie: Die Vorgänge sind öffentlich und alle Interessierten können sich zumindest diskursiv beteiligen.

Wer eine lebendige europäische Demokratie will, muss öffentliche Debatten vor der Entscheidung ermöglichen und fördern. Europäische Gesetzgebung muss demokratische Gesetzgebung sein und kein Staatengeschacher hinter verschlossenen Türen. Das gilt erst recht, wenn dabei Regierungen verhandeln.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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3 Kommentare

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  • Die Griechen wären vmtl besser dran gewesen wenn das passiert wäre. Was wir mit Griechenland gemacht haben (oder immer noch machen) ist eine riesen Sauerei. Die Politk gibt sich ja immer gerne pro europäisch, aber eigentlich sind das nur Neoliberale, die in der EU ein instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen sehen. Dem deutschen Arbeiter wird derweil weisgemacht er würde von den Griechen ausgenutzt, während wir das Ausland mit Billiglohnpolitik ruinieren...



    Und da wundert sich einer über die gesellschaftlichen Verfallserscheinungen.

  • Ja - Karlsruhe - 2. Senat - merkwürdig hasenfüßig.

    Wer die Neigung der Exekutive - uns Mielke auf Rädern vorweg - .



    Jeden Scheiß zum Geheimen - zum Staatswohl hochzujazzen - kennt - wa!



    Kann da nur den Kopf schütteln. Zumal.



    Zumal ja gerade ein Wolfgang Schäuble! Gellewelle.



    “Wer anderes von mir verlangt. Dann tret ich zurück!“ zum Grexit!



    Gerne - & nicht nur da - mit der Verfassung - dem Grundgesetz - Fußball spielt.



    Und zudem noch ganz andere Schweinereien gerade via Griechenland am Start hatte.



    Was die Reperationsforderungen in Höhe von 218 Milliarden angeht! etc …



    Däh! Verbot nicht fällig zu stellen & das übliche übrige!



    Nachzulesen im einzelnen bei Yanis Varoufakis in seinem: “ Die ganze Geschichte. Meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment. Kunstmann, München 2017, ISBN 978-3-95614-202-4 (englischer Originaltitel: "Adults in the room").“

    Diese einer demokratisch verfaßten Gesellschaft zuwiderlaufenden Einstellung Karlsruhe zur Öffentlichkeit & seine immer wieder zutage tretende hasenfüßig-staatstragenden Entscheidungen!



    Sind das Relikt der sog Carl-Schmitt-Fronde & der Kommentierung des Organisatorischen Teils des Grundgesetzes durch Theodor Maunz!



    Einem Fellowtraveler der Kieler Schule - der Speerspitze der Nazi“Jurisprudenz“.



    Und seiner Zöglinge -



    &



    Es ist eben deswegen auch kein Zufall - daß unser Mielke auf Rädern.



    Nicht nur mit Briefumschlägen. Nein. Sondern - Mit seiner “schauderhaften Nachtlektüre“ - die Welt!! - eines üblen Carl-Schmitt-Apologeten aufgekippt ist •

    unterm——- servíce —



    amp.welt.de/welt_p...Nachtlektuere.html



    &



    www.zeit.de/2007/3...bles_Nachtlektuere



    & bis zum Schluß under cover für die NationaleSoldatenzeitung



    de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Maunz



    & braunste Soße - Dr. Frey - Roman Herzog will nichts gemerkt haben - 🤭 -



    de.wikipedia.org/w...ung_(M%C3%BCnchen)

    So geht das

    • @Lowandorder:

      Sorry - paßte nicht mehr - aber ekelwichtig

      de.wikipedia.org/wiki/Kieler_Schule



      “ Als Kieler Schule bezeichnet man eine Gruppe nationalsozialistischer Rechtswissenschaftler, die zur Zeit des Nationalsozialismus an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gewirkt haben.

      An der Kieler Universität, die im NS-Sprachgebrauch „Grenzlanduniversität des nordischen Raumes Kiel“ genannt wurde, mussten nach der nationalsozialistischen Machtergreifung überdurchschnittlich viele jüdische und politisch unliebsame Professoren ihre Stelle verlassen. Ohne neue Professorenstellen zu schaffen, bot sich nun durch zielgerichtete Neubesetzung der Lehrstühle mit jungen systemkonformen Rechtswissenschaftlern die Möglichkeit, aus der Fakultät eine Art nationalsozialistische Musterfakultät („Stoßtruppfakultät“) zu schaffen, die der nationalsozialistischen Idee der „Rechtserneuerung“ dienen sollte.…

      Ebenfalls im Zusammenhang mit der Kieler Schule steht die von Karl August Eckhardt organisierte Dozentenakademie im Kitzeberger Lager. In diesem Gemeinschaftslager an der Kieler Bucht kamen nationalsozialistische Juristen zusammen, um über die völkische Rechtserneuerung zu referieren.



      Die im Kitzeberger Lager gehaltenen Referate wurden ein Jahr später im ersten Band der neu erschienenen Zeitschrift „Deutsche Rechtswissenschaft“ veröffentlicht. Neben den Kieler Rechtswissenschaftlern kamen hierhin von außerhalb:

      Heinrich Lange (Breslau)



      Hans Thieme (Breslau)



      Hans Würdinger (Breslau)



      Theodor Maunz (Freiburg)



      Heinrich Henkel (Marburg)



      Reinhard Höhn (Heidelberg)



      Einer der Teilnehmer des Kitzeberger Lagers – Franz Wieacker – fasste die Atmosphäre der Veranstaltung folgendermaßen zusammen:

      „Wanderungen, Ausmärsche, Frühsport und die kleinsten Ereignisse des Lagerlebens schufen die Entspannung und die kameradschaftliche Beziehung, in der die Übereinstimmung im Denken sich zur kämpfenden Arbeitsgemeinschaft vertieft.“

      Na Mahlzeit & Kontinuität post WK II