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Urteil des BundesverfassungsgerichtsGeldpolitik, das sind wir

Gastkommentar von Rüdiger Bachmann

Was gute Geldpolitik ist, bestimmt am Ende die EZB selbst: Das mag in einem demokratisch verfassten Staatswesen aufstoßen, ist aber unvermeidlich.

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde Foto: Rainer Unkel/imago

D as Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dienstag macht deutlich, dass wir uns von der wirtschaftspolitischen Lebenslüge verabschieden müssen, man könne Geld- und Wirtschaftspolitik sauber trennen und rechtsfest definieren, was Geldpolitik sei. Das Gericht hatte geurteilt, dass die Anleihen-Käufe der EZB teilweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Geldpolitik war historisch Geldmengensteuerung, heute versuchen die Zentralbanken der Welt, bestimmte Zinsen und damit Vermögensanlageentscheidungen so zu steuern, dass Preisstabilität herrscht. In geldpolitischen Normalzeiten genügt es, einen speziellen kurzfristigen Zins, der nur für Banken relevant ist, festzulegen; die restlichen, für Verbraucher relevanten Zinsen, zum Beispiel fürs Sparbuch, ergeben sich dann am Markt.

In geldpolitischen Normalzeiten leben wir aber nicht, so dass die Europäische Zentralbank (EZB) die für den Verbraucher relevanten längerfristigen Zinsen direkt steuern muss, wenn sie ihr gesetzliches Ziel – die Preisstabilität – erreichen will. Das geschieht wegen deren Relevanz am praktischsten durch den An- und Verkauf von Staatsanleihen.

Rüdiger Bachmann

ist Associate Professor an der University of Notre Dame in Indiana, USA. Sein Forschungsgebiet ist die Makroökonomik.

Zinsänderungen aber sind in einer Marktwirtschaft so zentral, dass sie Auswirkungen aufs gesamte wirtschaftliche Geschehen haben. Zum Teil ist das intendiert, siehe Inflationsbekämpfung, zum Teil vielleicht nicht: niedrige Zinsen für deutsche Sparer. Vermeiden lässt sich dies aufgrund vielfältiger systemischer Verflechtungen kaum.

EU ist nicht für deutsche Sparer zuständig

In der Praxis ist es daher nahezu unmöglich, geldpolitische Entscheidungen unter höchstrichterlichen Vorbehalt zu stellen. Was gute Geldpolitik ist, bestimmt am Ende die EZB selbst: „Geldpolitik – das sind wir“. Das mag in einem demokratisch verfassten Staatswesen aufstoßen, ist aber unvermeidlich. Nur das Ziel, Preisstabilität bei Unterstützung der allgemeinen EU Wirtschaftspolitik zu wahren, lässt sich demokratisch vorgeben.

Zur allgemeinen EU-Wirtschaftspolitik gehört es jedenfalls nicht, deutschen Sparern gute Zinsen zu sichern. Dafür wäre alleine die deutsche Wirtschaftspolitik zuständig. Die EZB ist nur durch die Auseinandersetzung mit ihrer Geldpolitik und durch das Überprüfen ihrer geldpolitischen Zielerreichung sinnvoll zu kontrollieren. Dazu braucht es ein Grundvertrauen in die EZB, dem das Karlsruher Urteil nicht förderlich war.

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4 Kommentare

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  • Die EZB hat ihre Entscheidungen in ihren Sitzungen begründet. Da gibt es protokolle. Wie dann das BVerfG von einer nicht stattgefundenen Abwägung auf Verhältnismäßigkeit reden kann ist mir unverständlich. hat das Gericht denn Einblick genommen? Wo ist die Wirtschaftsexpertise des Gerichts wenn es eine Verhältnismäßigkeit Anmahnt. hat sie außer D Wirtschaftswissenschaftlern noch internationale Wirschaftswissenschaftler befragt?

  • Ich verstehe irgendwie hinsichtlich des Urteils vom BVerfG nicht ganz die Fokussierung der Kommentatoren auf die EZB. Betrachtet man das Urteil genauer, stellt man fest, dass das Urteil das Handeln der EZB nur wenig tangiert. Weder wird dadurch das Quantitative Easing , noch das PSPP infrage gestellt. Der EZB wird nur sauer aufstoßen, dass sie ihre Rechenschaft (zu der sie eigentlich von Anfang an verpflichtet war, dem aber nur lückenhaft nachgekommen ist) plötzlich einem nationalen Gericht gegenüber ablegen soll. Dies ist sicherlich auch ein gefährliches Spiel, da dies bei weiteren (politisch stärker gesteuerten Verfassungs-)Gerichten Begehrlichkeiten wecken könnte.

    Grundsätzlich aber ist das Urteil doch weitaus mehr als ein Frontalangriff auf den EuGH zu werten. Und das frühere Verhalten des EuGH, die Kontrolle der EZB auf "offensichtliche Beurteilungsfehler" zu beschränken, wurde damals auch als Kunstgriff zur Erreichung eines bestimmten Zwecks gesehen - der Zweck heiligt die Mittel.



    Wenn Herr Bachmann selbst feststellt, dass das Handeln der EZB "einem demokratischen Staatswesen aufstoßen" mag, also demokratische eigentlich gar nicht legitimiert ist und wenn man weiter feststellt, dass der EuGH als Kontrollinstanz seine Arbeit gar nicht machen will - dann erscheint meiner Ansicht nach das Urteil des BVerfG in einem etwas anderem Licht. Oder würden all die Kritiker auch so urteilen, wenn die nächste Individualverfassungsbeschwerde zurückgewiesen wird, weil die Demokratie nicht offensichtlich gefährdet und die Mehrheit der Bevölkerung nicht betroffen ist?

    Mit dem Handeln der EZB wird doch nur das Versagen der Politik kaschiert, die Krisenbewältigung allein der Geldpolitik zu überlässt, anstatt demokratische legitimiert ein politisches Programm zu entwickeln, die Corona-Bonds wären als ein Beispiel zu nennen.

    Aber in Europa ist es eher wie im Vollstreckungsrecht: Streitet sich das Haus, übernimmt letztlich immer die Bank.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Mich hätte interessiert, wie eine empirische Definition von "Preisstabilität" aussieht.



    Welche Waren werden zu welchem Anteil in den Warenkorb getan?



    Wie viele Aktien, Firmenanteile, Termingeschäfte, Leerverkäufe etc sind in diesem Warenkorb? Keine? Dann ist diese Definition Klassenkampf von oben.

    • @85198 (Profil gelöscht):

      Ähmmmm... Wirtschaftswissenschaften Anfängerübung: Preisstabilität ist das Gegenteil von "Klassenkampf", da die Produzenten doch in erster Linie von einer Verteuerung ihrer Produkte profitieren und diese zu erreichen versuchen? "Leute des selben Gewerbes kommen selten zusammen, ohne eine Verschwörung gegen die Allgemeinheit zu planen oder höhere Preise zu verabreden", Adam Smith.

      Preisstabilität im Sinne der EZB ist ein Inflationsziel von unter 2%, der verwendete Warenkorb nennt sich HVPI (bzw. der von der EZB genutzte VPI-EWU) und Wertpapiergeschäfte können in einem Warenkorb gar nicht berücksichtigt werden, weil sie prinzipiell instabil sind. Betrachtet man die Schwankungen der Inflationsrate, so hatte diese keinen bis allenfalls minimalen Einfluss auf den Wertpapierhandel, wo ein einziger Tweed von Elon Musk schneller Auswirkungen zeigt, als das Handeln der EZB in zwei Jahren.