Urteil aus Straßburg: Nawalny-Demos auch ohne Erlaubnis
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt Russland. Der Staat verletze die Rechte des Oppositionellen Alexej Nawalny.
Die 17-köpfgie Große Kammer des EGMR verurteilte Russland, weil es die Versammlungsfreiheit Nawalnys mehrfach verletzt habe. Auch sei er zu Unrecht inhaftiert und unfair behandelt worden. Das Vorgehen der Behörden sei politisch motiviert gewesen.
Gegenstand des Verfahrens waren sieben Verhaftungen Nawalnys in den Jahren 2012 bis 2014. Alle standen im Zusammenhang mit ungenehmigten Oppositionskundgebungen von 30 bis 500 Personen. Nawalny wurden dabei Verstöße gegen das Versammlungsrecht und Missachtung von Polizeianordnungen vorgeworfen. Er musste jeweils stundenlang zur Polizei mitkommmen, zweimal kam er für einige Stunden in Untersuchungshaft. Am Ende wurde er zu Geldstrafen zwischen umgerechnet 13 und 400 Euro verurteilt, zweimal erhielt er kurze Freiheitsstrafen von sieben und fünfzehn Tagen.
Im Februar 2017 hatte bereits eine siebenköpfige Kammer des EGMR Russland in dieser Sache verurteilt. Dagegen hatte aber nicht nur Russland, sondern auch Nawalny Rechtsmittel eingelegt. Denn die Kammer hatte es für „nicht notwendig“ erachtet zu prüfen, ob das Vorgehen gegen Nawalny politische Gründe hatte.
Pluralismus unterdrückt
Im nun endgültigen EGMR-Urteil wurde Russland erneut wegen Verletzung der Versammlungsfreiheit in sieben Fällen verurteilt. Die in Russland bestehende Pflicht, Versammlungen vorab von den Behörden genehmigen zu lassen, sei „kein Wert an sich“. Die Regierung sollte friedliche Versammlungen tolerieren, auch wenn sie nicht genehmigt sind. In fünf der sieben Fälle wertete der EGMR das Vorgehen der Behörden gegen Nawalny deshalb als unverhältnismäßig.
In zwei weiteren Fällen habe bereits ein legitimer Grund für die Verhaftung Nawalnys gefehlt, denn dieser sei gar nicht Teil der monierten Versammlungen gewesen oder habe sich bereits entfernt. Vor allem in diesen zwei Fällen drängte sich für den EGMR der Eindruck auf, dass es der Regierung um das politische Ziel gehe, Pluralismus zu unterdrücken.
Außerdem sei Nawalnys Recht auf Freiheit verletzt worden. Es habe keinen Grund gegeben, ihn jedesmal mit auf die Wache zu nehmen. Die Vorwürfe hätten auch vor Ort geklärt werden können. In sechs von sieben Fällen warf der EGMR Russland auch ein unfaires Verfahren vor. Die russischen Gerichte hätten sich nur auf die Darstellung der Polizei gestützt.
Nawalny kam nach Straßburg
Die Straßburger Richter riefen Russland nun auf, seine Gesetze nachzubessern. Künftig sollten friedliche, ungenehmigte Versammlungen toleriert werden. (Az.: 29580/12)
Nawalny war persönlich nach Straßburg gekommen. Russland halte sich nicht an internationales Recht, sagte er nach der Urteilsverkündung. Er rechne deshalb damit, dass die russische Regierung auch dieses Urteil ignorieren werde.
In Deutschland müssen Versammlungen nicht vorab von den Behörden genehmigt werden. Gesetzlich ist nur eine Anmeldung vorgesehen. Das Grundgesetz garantiert sogar die Versammlung „ohne Anmeldung“. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass zumindest Spontanversammlungen ohne Anmeldung rechtmäßig sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus