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Urteil: Räumungsklage in NeuköllnMär von der bedürftigen Eigentümerin

Ein seltener Erfolg für Mieter*innen im begehrten Neuköllner Schillerkiez: Das Landgericht weist eine Klage wegen Eigenbedarfs ab.

Das Landgericht in Berlin weist die Klage wegen Eigenbedarfs ab Foto: dpa

Anna S. kann aufatmen: Sie muss ihre Wohnung im Neuköllner Schillerkiez nicht verlassen. In zweiter Instanz wies das Landgericht eine Eigenbedarfsklage ab. Die Richterin glaubte der Hauseigentümerin nicht, dass sie wirklich selbst in der Wohnung leben werde.

Die hatte angegeben, die Wohnung zusammen mit ihrem Mann als Zweitwohnsitz nutzen zu wollen, um ihren Arbeitsweg zu verkürzen. Derzeit wohnten die beiden in einem Einfamilienhaus am Stadtrand, der Arbeitsplatz liege in Mitte. Das hat die Richterin „nicht überzeugt.“

Zum einen hatte der Ehemann ausgesagt, der weite Arbeitsweg seiner Frau belaste das Familienleben. Da er selbst aber sein Büro im Haus am Stadtrand eingerichtet hat und dorthin pendeln müsste, würde der Stress der Frau durch seinen Stress ersetzt, erklärte die Richterin. „Das scheint mir nicht vernünftig, und Eigenbedarf muss sich auf schlüssige und vernünftige Gründe stützen.“

Auch das Argument, die Wohnung müsse sehr günstig sein, weil die Vermieterin nur eine geringe Rente erwarte, verfing nicht. Schließlich müssten auch die Immobilien eingerechnet werden, die das Ehepaar besitzt – neben dem Mietshaus in Neukölln und dem Einfamilienhaus auch noch eine Wohnung in der Schönhauser Allee und ein Ferienhaus. Den angeblichen finanziellen Sorgen widerspricht auch der Zustand der gewünschten Zweitwohnung: Sie ist unsaniert, hat statt einem Badezimmer nur eine Dusche in der Küche und ist insgesamt so eng, dass der Kühlschrank auf dem Flur steht. Die Renovierungsarbeiten wären teuer.

Sich zu wehren lohnt sich

Insbesondere konnte die Richterin den zeitlichen Zusammenhang der Kündigung nicht ignorieren. Anna S. hatte im vergangenen Jahr eine Mieterhöhung erhalten. Als sie sich mit Verweis auf die Mietpreisbremse dagegen gewehrt hatte, kam kurz darauf die Kündigung wegen Eigenbedarfs. „Das alles zeigt, dass Eigenbedarf nicht der Grund der Kündigung sein kann“, beendete die Richterin ihre Begründung.

Anna S. war nach der Verhandlung erleichtert: „Es hat sich gelohnt, dass ich gekämpft habe. Jetzt kann ich mein Zuhause behalten.“ Sie hoffe, dass nun ihre Schlafprobleme aufhörten. Aber sie bleibt vorsichtig: „Vielleicht versucht die Vermieterin bald etwas anderes, um mich rauszubekommen.“

Das sieht auch die Gruppe Solidarische Aktion Neukölln so, die Anna S. unterstützt hat. „Trotzdem ist das Urteil ein Signal: Sich wehren lohnt sich“, sagt Sprecherin Mariam Genski. Das wird die Gruppe auch morgen machen, wenn im Amtsgericht Neukölln der nächste Eigenbedarfsprozess ansteht.

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1 Kommentar

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  • Glückwunsch zum Sieg. Nur ein Gedanke stört mein Glücksgefühl: Wenn es keine Vermieter mehr gäbe, die mehr als eine Wohnung besitzen und deswegen nicht selbst in all ihren Wohnungen wohnen wollen/müssen, gäbe es auch keine Mietwohnungen – und keine Mieter.

    Unsere Städte würden dann sehr viel anders aussehen, als wir sie gewöhnt sind. Viel weniger urban vor allem. Etwas so, wie US-amerikanische Reisbrett-Suburbias: flach, flächenfressend, technisch und gähnend langweilig. Leute wie Anna S. könnten sich dann nicht mehr darauf verlassen, dass jemand anderer sich für das Dach über ihrem Kopf zuständig fühlt. Sie könnten auch kein Gericht anrufen, das ihnen einen bestimmten monatlichen Kostenrahmen garantiert. Mit dem Nur-Fordern und dafür wenig zahlen wär's dann vorbei. Eigenverantwortung wär' angesagt. Wie komfortabel das in einer Gesellschaft wäre, in der auch andere Eigentümer (Arbeitgeber etwa) auf Maximalprofite (und damit minimale Kosten) aus sind, wäre noch die große Frage.

    Es wäre also schön, wenn die taz künftig nicht ausschließlich dann über Vermieter berichten würde, wenn sie unfair agiert haben und dafür verurteilt worden sind oder attackiert werden von irgendwelchen selbsternannten Rettern der Enterbten. Schließlich ist auch nicht jeder Mieter ein Heiliger. Gibt genug Leute, die sich keinerlei Gedanken über die Grenzen ihrer Forderungen macht. Zum Erwachsenwerden gehört es nämlich leider dazu, Verantwortung zu haben für sich selber. Hat man die nicht, muss man auch nicht erwachsen werden. Man kann dann einfach losplärren, wenn einem was nicht passt - und darauf hoffen, dass schon jemand vorbei kommen wird, der das zum Anlass nimmt, mal richtig auf den Tisch zu pochen und zu zeigen, wo ganz genau der große Hammer hängt und wie er diesen schwingen kann.