Ursula von der Leyen bei der CDU: Ein Musikantenstadl für Europa
Die Kommissionspräsidentin soll auf dem CDU-Parteitag die heiße Phase des EU-Wahlkampfs einleiten. Doch der Saal kommt nur langsam in Wallung.
Von der Leyen muss auf dem Parteitag einen schwierigen Spagat vollbringen: Sie muss sich ihren Leuten anpreisen, darf es sich aber gleichzeitig nicht mit der hier im Saal verschrienen Ampel-Regierung zu sehr verscherzen. Denn ohne die Zustimmung des SPD-Kanzlers Olaf Scholz wird sie nicht wieder Kommissionspräsidentin. Es sind die Staats- und die Regierungschefs, die nach der EU-Wahl am 9. Juni die Kommissionschefin aussuchen müssen.
Bei den Prognosen steht die konservative Parteienfamilie EVP mit ihrer Spitzenkandidatin von der Leyen auf dem ersten Platz. Die Politikerin aus Niedersachsen strebt eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin an, hatte zuletzt aber wegen als unsachgemäß kritisierter Berufungen in ihrer Behörde einen schwierigen Stand.
Die Band Noble Composition, von der CDU zur musikalischen Begleitung an diesem Tag gebucht, versucht, den Saal vor der Rede der Kommissionspräsidentin noch einmal in Schwung zu bringen. „Sie dürfen sich gerne rhythmisch beteiligen“, sagt die Sängerin in den Saal, der sich dann zum Song „We are Family“ von Sister Sledge zum klatschenden CDU-Musikantenstadl verwandelt.
Von der Leyens Charmetour
Von der Leyen hat es da deutlich schwerer, den Menschen im Saal noch mal ein paar Emotionen abzuringen. Sie bemüht eine Aufzählung der Naturdenkmäler in Deutschland, die, wie sie sagt, auch von der Arbeit von Landwirtinnen und Landwirte profitierten; vom Wattenmeer (Applaus) über den Schwarzwald (vereinzeltes Klatschen) bis zum Hochmoor des Hohen Venn (Stille).
Sie probiert es mit einer Charmetour, indem sie den Delegierten die Vorzüge ihres europäischen Green Deals für ihre jeweiligen Regionen präsentiert: Von der sächsischen Halbeiterproduktion bis zur Forschung an der Fusionskraft in Bayern, ohne die großzügigen Zuwendungen aus Brüssel seien diese nicht denkbar, so die Kommissionspräsidentin. „Der European Green Deal und seine innovativen Ideen sind nicht nur gut fürs Klima, sondern auch für unsere Wirtschaft.“
Immer wieder gibt es Applaus für „die mächtigste Frau der Welt“, wie Friedrich Merz von der Leyen in dem riesigen Saal in Berlin-Neukölln nennt. Am dritten Tag des Parteitags, nach der Bestätigung von Merz im Amt des CDU-Chefs, der Verabschiedung eines deutlich konservativeren Grundsatzprogramms und nach einer durchzechten Nacht leeren sich die Stuhlreihen der 1.001 Delegierten jedoch immer deutlicher.
Der Elan der Union für von der Leyen fällt vielleicht auch deshalb etwas verhaltener aus, weil diese längst gesetzt ist: Die Kandidatin muss sich für das Amt an keiner Stelle mehr den Wähler*innen in der EU stellen. Sie entschied sich gegen eine Bewerbung um einen EU-Parlamentssitz, der EVP dient sie im Wahlkampf vor allem als altes und bekanntes Gesicht.
Abgrenzung zur AfD
Merz lobt am Ende noch die „großartige Rede“ der Kommissionspräsidentin und sagt: „Wir gehen voller Zuversicht und voller Gewissheit in diesen Wahlkampf.“ Zustimmung des Parteichefs gibt es auch für von der Leyens Abgrenzung von der AfD, die er „so offen“ noch nie von ihr gehört habe.
Die Politikerin hatte zuvor gesagt, die AfD strebe einen Austritt Deutschlands aus der EU an und würde so für einen massiven Wohlstandsverlust im Land sorgen. „Den Agenten der Angst gilt es mit Lösungen entgegenzutreten“, rief die Kommissionspräsidentin unter Jubel in den Saal.
Am Ende gibt es dann auch für von der Leyen stehenden Applaus im Saal, wie für alle anderen Politiker*innen, die vor ihr gesprochen haben. Auch wenn die Stimmung müde sein mag: Die Machtinstinkte der CDU bleiben einen Monat vor den Wahlen ungetrübt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen