Urheberrecht im Internet: "Das ist das Ende der Selbstbedienung"
Die EU will sich stärker für Musiker einsetzen. Der Musiker Stefan Goldmann über Kunst im Zeitalter des Downloads und die Notwendigkeit einer postdigitalen Ökonomie.
taz: Die EU-Kommissarin für Digitales Rechtemanagement, Neelie Kroes, hat gefordert, dass sich die EU stärker für die Belange von Musikern einsetzen muss. Bisher galt das EU-Interesse ausschließlich ihren Verwertern. Wie verstehen Sie diesen Schwenk?
Stefan Goldmann: Ist das ein Schwenk? Als Künstler will man sich für gewöhnlich nicht mit PR, Vertrieb und Lizenzen befassen. Wenn Labels und Verlage an Musik nichts mehr verdienen können, wechselt das Türschild und morgen stehen dann Dienstleister zur Verfügung, die Künstler aus eigener Tasche bezahlen müssen.
Statt umgekehrt. Ich kenne keinen Musiker, der darüber begeistert wäre. Die Rede von Frau Kroes war sicher lieb gemeint, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Interessenlage der Kreativen sowie der vermeintliche Nutzen des Internets dabei richtig verstanden werden. Es klingt alles gut, ein Modell kann ich aber nicht erkennen.
Frau Kroes legte am Beispiel Deutschland dar, dass über 90 Prozent aller GEMA-Mitglieder nur geringe Einkünfte durch die Urheberrechte erzielen.
Musik generiert völlig disparate Einkommen, das ist richtig. Und die GEMA kann nur kassieren, was der Markt hergibt. Ein schmales oberes Segment erhält davon den Großteil der verfügbaren Gelder und dahinter beginnt sofort das Elend. Das sind soziale Mechanismen der Nachfrage. Vielleicht meint Neelie Kroes, dass man dort ansetzen muss. Aber mit Urheberrecht hat das nichts zu tun.
Geboren 1978 in Ostberlin. Betreibt die Plattenfirma Macro Records, arbeitet als DJ, Produzent und Komponist.
Können Sie mit Kunst Geld verdienen und steht der Verdienst in einem gerechten Verhältnis zum kreativen Aufwand?
Ja, aber weder primär wegen meinen Urheberrechten, noch aufgrund von Verbreitung im Internet. Es geht nur um Nachfrage - ist die da, findet sich auch eine Form der Entlohnung. Kunst wird nicht nach Aufwand vergütet.
Wovon hängt Erfolg ab?
Wer eine Art geistiges Monopol auf eine Nische entwickelt, also als "der Beste" einer Kategorie wahrgenommen wird, findet auch einen Weg, davon zu leben.
Hat sich Pop-Ökonomie durch diese Globalisierung verändert?
Jeder Musiker konkurriert fast schon mit der gesamten Welt. Es gibt nicht nur Zugriff auf alle Aufnahmen, sondern ich kann notfalls auch mit Easyjet zu einem Konzert nach London. Das betrifft alle Kultursphären. Der Druck, überall nur die vermeintlich Besten zu präsentieren, ist immens. Unser lokaler Geigenvirtuose hat dadurch ein Problem, das völlig neu ist. Andererseits beruht das Modell Pop darauf, dass viele sich Kosten aufteilen, die keiner allein tragen muss.
Fällt diese Aufteilung weg, kommt zwangsläufig ein "Deep Pocket"-Markt - also Kunstproduktion für eine Elite, die das finanzieren kann. In der bildenden Kunst und Neuen Musik ist das schon der Fall. Dort zahlen Institutionen und Private Geld, damit gewisse Dinge überhaupt entstehen. Eine Oper kann nun mal nicht mit Spotify finanziert werden. Das gilt irgendwann für alle anderen auch. Wenn ich in meinen Kalender für 2012 schaue, sehe ich fast nur noch Deep Pocket.
Welche Konsequenzen hätten Lockerungen im Urheberrecht eigentlich für die Gesamtwirtschaft?
Es wird meist übersehen, dass Urheberrechte Teil eines viel größeren Komplexes sind. Deshalb ist es wahrscheinlicher, dass Schutzfristen verlängert statt gekürzt werden. Es geht dabei nicht um Kunst. Die Grundlage einer Informationsgesellschaft ist die Sicherung der Ergebnisse geistiger Arbeit. Wenn Urheberrechte nicht schützenswert sind, weshalb dann Patente, Marken oder wettbewerbsrechtliche Positionen?
Ein Musiker kann seinen Auftritt vom Honorar abhängig machen. Bei austauschbaren Leistungen sieht das anders aus. Der Grund, dass ein Arbeiter bei VW das Zwanzigfache seines Kollegen irgendwo in China verdient, liegt vorrangig an rein rechtlichen Positionen seines Arbeitgebers. Wären die nicht mehr durchsetzbar, wäre binnen einem Jahr die gesamte Warenproduktion der Welt an dem Ort, an dem sie am preiswertesten, also unter den miesesten Bedingungen, erledigt werden kann.
Wer sagt: der nichtkommerzielle Gebrauch urheberrechtlicher Inhalte soll entkriminalisiert werden, muss konsequenterweise auch alle anderen Immaterialgüter zur Verfügung stellen. Waffenbaupläne, pharmazeutische Formeln, Schutzbezeichnungen aller Art. Ein "Arzt", der keiner ist, im OP ist dann auch nicht mehr so abwegig, solange er sich keine Fehler erlaubt.
Das sind zwingende Konsequenzen in einem Rechtsstaat. Gleiches darf nicht ungleich behandelt werden. Eine Schutzfrist von fünf Jahren für ein neues Medikament wäre ein Traum - aber erklären Sie das mal Bayer, die im Jahr zwei Milliarden Euro für Entwicklung ausgeben.
Ist das Recht auf geistiges Eigentum in Zeiten freier Verfügbarkeit im Netz nicht schon anachronistisch?
Gibt es wirklich freie Verfügbarkeit? Otto Normaluser ist auf Youtube oder Zippyshare konstant Werbung ausgesetzt. Die zahlen dann wie im Supermarkt an der Kasse. Die Frage des freien Zugangs ist dadurch letztlich nur ein Feigenblatt für parasitäre Gewinne einer Internet- und Computerindustrie. Das Ganze als gesellschaftlichen Fortschritt und Freiheitsgewinn zu verkaufen, ist ein geniales Geschäftsmodell.
Das ist aber nur eine Momentaufnahme. Erstens, weil die rechtssystematischen Folgen zu gravierend wären, als dass es dabei bleiben könnte, und zweitens weil irgendwann bestimmte neue Inhalte überhaupt nicht mehr ins Netz gelangen werden - weder legal noch illegal. Hinzu kommt, dass Youtube zum Beispiel der eigene technische Fortschritt in die Quere kommt. Weil sie gezielt werben wollen, kennen sie auch die Inhalte. Sie können also nicht mehr behaupten, Sie seien wie ein CD-R-Fabrikant, der keine Kontrolle darüber hat, was kopiert wird. Das ist eigentlich das Ende der Selbstbedienung.
Hat die Stimmung gegen Urheberrechte mit Businessplänen zu tun?
User generated content reicht ja anscheinend nicht aus, um die Maschine in Gang zu halten - sonst hätten wir diese Debatte gar nicht. Ein guter Teil der Marktkapitalisierung des Nasdaq beruht auf der Annahme, dass sich etwas im Urheberrecht ändern wird. Daran erkennt man, welche strategische Bedeutung geistiges Eigentum im Netz genau hat. Daran könnte auch die zweite Dotcom-Blase platzen. Vielleicht ist am Ende die freie Verfügbarkeit der eigentliche Anachronismus.
Wieso stört Sie, dass in der Debatte um Urheberrechte die Urheberpersönlichkeitsrechte übersehen werden?
Mich stört, dass immer nur über Geld und Verbreitung geredet wird. Die anderen Rechte am Werk sind letztlich viel wichtiger. Bis 2015 werden etwa die Werke jüdischer Künstler, die in den KZ ermordet wurden, gemeinfrei. Sollen jetzt Nazitexte mit deren Musik unterlegt werden dürfen? Gemeinfreiheit bedeutet ja zuallererst die Ermöglichung unkontrollierter kommerzieller Nutzungen. Für vergessene Musiker mag das ein Segen sein. Aber weshalb es jeder akzeptieren soll, dass mit seinen Liedern Erdbeerjoghurt oder das Rekrutierungsprogramm der Bundeswehr beworben werden, erschließt sich nicht.
Dass es zur Debatte steht, dass potenziell alle geistige Arbeit zu einem beliebig ausbeutbaren Rohstoff gemacht werden soll, zeigt, dass überhaupt nicht verstanden wird, was für ein Gesellschaftsmodell da auf uns zukäme. Völlig unabhängig von der Frage, wie wichtig die Urheberrechte für die Künstler sind oder nicht: ihr Schutz korreliert historisch direkt mit dem Stand der übrigen Menschenrechte. Gesellschaften, die es in diesem Bereich besonders locker nehmen, haben auch die niedrigsten rechtlichen Standards und die größten sozialen Ungleichheiten. Das kann man schon am Unterschied zwischen EU und China oder Russland ablesen. Von Haiti ganz zu schweigen.
Warum ist eine Kulturflatrate für Sie keine Alternative zu den Urheberrechten?
Da Urheberrecht eben nicht gleich Einkommen ist, ist es für die Künstler weniger wichtig, als viele vermuten. Andererseits bringen auch bezahlte, legale Lösungen im Netz immer nur Kleingeld. Weil ferner die bestehenden Pauschalensysteme, etwa der GEMA, nicht funktionieren, ist daher die Kulturflatrate für die Kreativen völlig uninteressant. Künstler werden sich also wohl oder übel Gedanken über einen postdigitalen Markt machen müssen, der sowohl traditionelle Verwertung als auch das Netz hinter sich lässt.
Und ich meine keine Almosenlösungen. Künstler, denen die Inhalte aus der Hand gerissen werden, müssen sie schon jetzt nicht mehr ins Netz stellen. Richie Hawtin ist gerade der erfolgreichste Techno-DJ der Welt. Neue eigene Musik hat er seit 2003 nicht mehr veröffentlicht. Sein Inhalt ist also überhaupt kein kopierbares Werk mehr, sondern eine persönliche Anwesenheit. Das Netz transportiert nur noch sekundäre Abbilder davon.
Das ist nicht nur verdammt lässig, sondern auch postdigitale Ökonomie. Oder anders ausgedrückt: Im New York des 19. Jahrhunderts ging die Angst um, die Stadt würde unter Pferdekacke begraben werden. Dann wurde das Automobil erfunden. Wenn das Modell Pop am Fortschritt zerbricht, dann ist das eben so.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin