Unterwegs mit Rangern in Hamburg: „Man schützt, was man liebt“
Seit einigen Monaten patrouillieren Ranger in Hamburgs Naturschutzgebieten, um die Einhaltung der Regeln zu überwachen. Gelingt ihnen das?
Christian Walte und Anne Jüngst sind Ranger. Uniformiert in Trekkinghosen und Wanderschuhen patrouillieren sie durch Hamburgs Naturschutzgebiete. Ihr Auftrag: Flora und Fauna pflegen – und verteidigen.
Lange gibt es den Rangerdienst noch nicht. Erst Ende 2021 hatte die Hamburger Umweltbehörde ihr neues Team vorgestellt: sechs Frauen, vier Männer, zuständig für 7.422 Hektar Naturschutzgebiet, für Heide, Moore, Wälder, Dünen. Ein Zehntel von Hamburgs Landesfläche machen sie aus – so viel wie in keinem anderen Bundesland. Der Naturschutzbund startete auch deshalb 2017 eine Volksinitiative. Die Forderung: „Hamburgs Grün erhalten“. 23.000 Menschen unterschrieben, der Senat ließ sich auf Verhandlungen ein. Eins von vielen Ergebnissen waren die Ranger. Können sie etwas ausrichten?
Die Tour von Christian Walte, 52, und Anne Jüngst, 41, beginnt auf einem Parkplatz am Stadtrand. Es ist Freitag, 16 Grad, die Sonne strahlt auf ihre Köpfe. Jüngst und Walte ziehen sich ihre Schiebermützen ins Gesicht. Sie prüfen Hosentaschen und Rucksack: Gebietskarten, Taschenmesser, Notizblock – alles da.
Über weichen Boden stiefeln sie in den Wald. Anne Jüngst deutet auf ein Schild zwischen den Kiefern: „Fischbeker Heide“ steht darauf, „Naturschutzgebiet“, und in gefetteter Schrift: „Bitte helfen Sie mit, die Schönheit und Artenvielfalt dieser Landschaft zu erhalten, indem Sie folgende Regeln beachten“. Dazu zählt: Hunde an der Leine führen, Wege nicht verlassen, Abfälle mitnehmen, kein Feuer machen, keine Pflanzen pflücken. Würden sich alle an diese Regeln halten, wären Walte und Jüngst heute nicht hier.
Als er im Oktober seine Ranger vorstellte, sagte Jens Kerstan, Hamburgs grüner Umweltsenator: „Gerade in der Pandemie haben wir erlebt, dass Bürgerinnen und Bürger die Natur der Stadt zu lieben gelernt haben. Wir müssen aber aufpassen, dass diese Gebiete nicht zu Tode geliebt werden.“ Etwa, wenn Menschen querfeldein spazieren, Decken ausrollen, Würstchen grillen. Alles schon passiert, sagen Walte und Jüngst.
„Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass sie schon damit dem Gebiet schaden“, sagt Walte. Und erklärt: „Mit jedem Fußabdruck verdichtet sich der Boden. Wasser versickert nicht mehr, Pflanzen wachsen nicht nach. Oder Hunde: Die hinterlassen Duftmarken, die das Wild verschrecken.“ Die wichtigste Aufgabe der Ranger ist deshalb die Kommunikation. „Wir wollen Aufklärer sein, den Leuten ins Gewissen reden“, sagt Walte. Statt zwingen: überzeugen.
Nach ein paar Minuten öffnet sich vor ihm und Jüngst ein Tal: sandiger Boden, vereinzelte Birken, Heidekraut. Mountainbiker rollen über die Hügel, in der Ferne wandern ein paar Menschen. „Relativ ruhig für einen Freitag“, sagt Walte. Umso mehr Zeit bleibt zum Staunen. Ständig halten die zwei an, ständig gibt es etwas zu entdecken: das Wurzelgeflecht einer umgestürzten Kiefer, die Knospen einer Eiche, Spechtlöcher, Meisengezwitscher, zwei Mauersegler am Himmel. Anne Jüngst verschwindet hinter ihrem Fernglas und legt den Kopf in den Nacken: „Da, ein Mäusebussard!“
Jüngst ist Hobby-Ornithologin und Wildtierpflegerin. Wie die meisten Ranger hat sie also einen „grünen Beruf“ gelernt. Anders als Christian Walte: Früher war er Sporttrainer, heute leitet er das Team. Aber auch er ist ein Outdoor-Typ. Wandert, klettert, joggt. Immer in der Natur.
Unten im Tal erspäht Anne Jüngst dann doch noch einen Regelbrecher: Ein kleiner Junge trottet mit seinem Hund durch die Heide, über einen Trampelpfad. Im Laufschritt holt Jüngst ihn ein: „Moooin! Stadt Hamburg, Umweltbehörde.“
Der Junge macht große Augen. „Ich weiß: Das hier sieht aus wie ein Weg“, sagt Jüngst und geht in die Hocke. „Es ist aber keiner. Es ist wichtig, dass du die Hauptwege benutzt. Wir haben Brut- und Setzzeit. Wenn immer mehr Leute hier durchspazieren, gehen die Pflanzen kaputt. Und die Fläche für die Tiere wird immer kleiner.“
„Oh. Achso. Okay.“
„Soll ich dir eine Gebietskarte mitgeben? Da sind alle Wege eingezeichnet.“
Der Junge nickt. Die Rangerin kehrt zufrieden zurück.
„Ich würde 20 Euro wetten, dass der nächstes Mal wieder da lang geht“, sagt Walte.
„Ich weiß nicht.“ Jüngst schaut dem Jungen hinterher. „Der war in einem Alter, in dem ihm das unangenehm war, angesprochen zu werden.“
„Weitererzählen wird er es bestimmt“, sagt Walte, „seinen Kumpels oder Eltern.“
Jüngst nickt: „Ja, das ist wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Er schlägt Wellen. Irgendwohin.“ Was die Ranger bewirken können – messbar ist es kaum.
Nach dem Vorfall macht Anne Jüngst einen Strich in ihr Notizbuch. Bei jeder Tour führt sie eine Liste: für Hunde, Fahrräder – und eben „Austritte“, also Menschen, die abseits der Wege gehen, wie der Junge. Denn die Ranger sind nicht nur als Aufpasser unterwegs. Sie dokumentieren auch: Wie viele Besucher ihre Wege kreuzen, welche Arten sie wann und wo finden. Sie pflegen außerdem die Natur: indem sie Müll sammeln, Bäume zurückschneiden, Wiesen mähen. Sie sperren Trampelpfade ab und wischen Schmierereien von Schildern. Nicht alles davon machen sie immer. „Für jede Begehung setzen wir uns ein Thema“, erklärt Christian Walte.
Bis zum Ende der Tour zählt Anne Jüngst 81 Menschen. Vier von ihnen müssen sie und Walte verwarnen: den Jungen in der Heide. Einen Herrn mit freilaufendem Dackel. Zwei plaudernde Freundinnen auf einer Picknickdecke. Theoretisch könnten sie für solche Verstöße Knöllchen verteilen, wie das Ordnungsamt. „In den ersten Monaten haben wir uns bewusst zurückgehalten“, sagt Walte. „Wenn wir jetzt aber immer wieder dieselben Leute treffen, dann ist ein schärferes Schwert gefordert.“
Die Sonne steht tief, als die beiden „die Glatze“ erklimmen. Von hier oben, mit Blick auf die Heide, macht es Sinn: Man schützt nur, was man liebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja