Untersuchungsausschuss zu Wirecard: Der Ex-Chef mauert
Lange hatte sich Markus Braun, Ex-Chef des Pleitekonzerns Wirecard, gesträubt, vor dem Ausschuss des Bundestags zu erscheinen. Nun kam er doch – und sagte wenig.
„Die staatsanwaltschaftliche Ermittlung steht auf gleicher Stufe wie dieser Ausschuss“, ermahnte ihn Ausschussmitglied Florian Toncar von der FDP. Es half wenig: Braun mauerte. Dabei hatte er sich lange geweigert, nach Berlin in den Bundestagsausschuss zu kommen. Er wolle nicht mit dem Coronavirus infiziert werden. Eine von seinem Anwalt geforderte Videovernehmung hatte aber der Bundesgerichtshof abgelehnt.
Braun stellte sich derweil in einer vorbereiteten Erklärung von der Wortwahl her als Opfer dar. „Die Gerichte müssen klären, wer die Verantwortung für den Zusammenbruch der Wirecard AG trägt“, sagte er. Die Ermittler sollten „den Verbleib veruntreuter Unternehmensgelder“ klären, er vertraue auf deren Objektivität. Aus Sicht der Ankläger war Braun jedoch die treibende Kraft hinter dem Milliardenbetrug bei Wirecard.
Die Firma aus München-Aschheim galt bis zum Sturz in diesem Sommer als Star der deutschen Börsenwelt. Das Unternehmen hat die Verarbeitung von Kreditkartenzahlungen angeboten. Angeblich soll es damit traumhafte Gewinne erzielt haben. Im Jahr 2018 stieg das einstige Start-up sogar in den Deutschen Aktienindex DAX auf.
1,9 Milliarden Euro fehlten in der Kasse
Im Juni dieses Jahres flog auf, dass 1,9 Milliarden in der Kasse fehlen. Inzwischen kursieren auch noch deutlich höhere Zahlen für den Fehlbetrag. Die Bilanz war offenbar um 3,2 Milliarden Euro aufgebläht. Die Gläubiger des Unternehmens sehen sich gar um 12 Milliarden Euro geprellt.
„Ich habe zu keiner Zeit Feststellungen getroffen oder Hinweise darauf erhalten, dass sich Behörden, Aufsichtsstellen oder Politiker nicht korrekt, pflichtwidrig oder in irgendeiner Form unlauter verhalten hätten“, sagte Braun vor den neun Abgeordneten im Ausschuss.
„Das gilt auch für den Aufsichtsrat als Kontrollorgan und die Wirtschaftsprüfer, die im Rahmen der Abschlussprüfungen offenbar massiv getäuscht wurden und daher trotz umfangreichster und tiefgreifender Prüfungshandlungen keine Unregelmäßigkeiten feststellen konnten.“ Vor diesem Hintergrund sei es für ihn nicht nachvollziehbar, warum externe Aufsichtsstellen, die viel weiter weg seien, Versäumnisse zu verantworten hätten.
Unter anderem der Finanzaufsicht Bafin und Wirtschaftsprüfern von Ernst & Young (EY) wird vorgeworfen, zu spät die Bilanzunregelmäßigkeiten bei Wirecard entdeckt zu haben.
Braun gilt als Schlüsselfigur des Wirtschaftskrimis
Braun bügelte sämtliche Fragen der Abgeordneten ab. „Ich werde mich nicht abweichend von meinem Statement äußern“, sagte er immer wieder. Die Fragen der Abgeordneten drehten sich vor allem um Kontakte von Braun und Wirecard zu Politik und Regierung, aber auch zu Behörden, ebenso zum Geschäftsmodell des pleitegegangenen Zahlungsabwicklers.
Braun gilt als Schlüsselfigur des Wirtschaftskrimis um Wirecard. Der ehemalige Firmenchef soll nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ein Finanzkarussell organisiert haben, um gewaltige Scheingewinne zu erzeugen. „Das Unternehmen sollte finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver dargestellt werden“, lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft München I. Damit wollten Braun und seine Helfer „regelmäßig Kredite von Banken und sonstigen Investoren erlangen“.
Grund zum Misstrauen gab es bei Wirecard von Anfang an reichlich. Schon vor zehn Jahren gab es erste Gerüchte über Unregelmäßigkeiten in der Bilanz, die Braun jedoch immer wieder zerstreuen konnte. Im Frühjahr 2018 berichtete die Financial Times erstmals über Betrugshinweise. Mitarbeiter von Wirecard in Singapur hatten versucht, auf Unregelmäßigkeiten hinzuweisen.
Die deutsche Finanzaufsicht Bafin behandelte diese Berichte jedoch mehr wie den Versuch der Verleumdung eines einheimischen Unternehmens. Statt eine Untersuchung zu beginnen, hat sie den Investoren verboten, auf fallende Kurse von Wirecard zu wetten. Die Begründung für ihre weitere Untätigkeit: Wirecard sei eine Technikfirma, keine Finanzfirma.
Hier hören die erschütternden Fehlleistungen deutscher Behörden allerdings nicht auf. Denn der Wirecard-Skandal hat auch einen Geheimdienstaspekt. Brauns Vorstandskollege Jan Marsalek war wohl offenbar ein Spion – und dazu noch ein Doppelagent. Die Bundesanwaltschaft geht derzeit dem Verdacht nach, dass er in Österreich als Informant geführt wurde. Marsalek stammt aus Wien. Nun soll er sich in Russland aufhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist