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Untersuchungsausschuss zu Anis AmriLKA warnte schon früh vor Anschlag

Der Untersuchungsausschuss in NRW diskutiert über einen brisanten Polizeivermerk. Die Hinweise seien allerdings nicht gerichtsfest gewesen.

Burkhard Freier, Chef des Verfassungsschutzes in NRW, sieht methodischen Verbesserungsbedarf Foto: dpa

DÜSSELDORF taz/dpa | Das Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen hat bereits im März 2016 eindeutig vor einem Anschlag des islamistischen Terroristen Anis Amri gewarnt. In einer Vorlage an die Sicherheitskonferenz im NRW-Innenministerium heißt es: „Demnach ist die Begehung eines terroristischen Anschlags durch Amri zu erwarten.“ Dies stütze sich auf Tatsachen, die sich unter anderem aus der Telefonüberwachung des Tunesiers ergeben hätten.

Die Warnung führte am Mittwoch im Amri-Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags zu bohrenden Nachfragen der Opposition an einen Abteilungsleiter des NRW-Innenministeriums. Es sei völlig unverständlich, warum der LKA-Vermerk nicht ernst genommen worden sei, kritisierte der FDP-Abgeordnete Joachim Stamp.

Burkhard Schnieder, Abteilungsleiter für Ausländerangelegenheiten im NRW-Innenministerium, sagte, es habe sich dabei nur um eine informelle „Tischvorlage“ an die Sicherheitskonferenz gehandelt. Das LKA habe Argumente zur Vorprüfung zusammengetragen, die eine Abschiebung Amris möglicherweise gerichtsfest gemacht hätten.

Im Gemeinsamen Terrorabwehrabwehrzentrum von Bund und Ländern (GTAZ) sei man wiederholt zu der Einschätzung gekommen, dass von Amri keine akute Gefahr ausgehe. Vor Gericht hätten Tatsachen und Belege präsentiert werden müssen, keine unbestätigten Hinweise, betonte Schnieder. „Da reicht Herumschwafeln nicht aus.“

Amri hatte am 19. Dezember 2016 einen Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gesteuert und zwölf Menschen getötet. Sein Asylantrag war abgelehnt worden, da der Tunesier aber keine Papiere hatte, konnte er nicht abgeschoben werden.

Vor Gericht reicht Herumschwafeln nicht aus

Burkhard Schnieder

Der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, der am Nachmittag im Untersuchungsausschuss befragt wurde, räumte ein, dass es bei seiner Behörde methodischen Verbesserungsbedarf gibt. Die Einschätzungsfähigkeit, wie gefährlich eine Person sei, sei „verbesserungsfähig“, sagte Burkhard Freier. Die Zusammenarbeit im GTAZ müsse weiterentwickelt, über eine Stärkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit Weisungs- und Steuerungsrechten in besonderen Lagen nachgedacht werden. Dafür müssten die Landesämter Kompetenzen abgeben. Dagegen hatten sich die Länder bislang immer gewehrt.

Am Mittwochnachmittag sollte noch NRW-Innenminister Ralf Jäger im Untersuchungsausschuss befragt werden. Am Freitag ist Ministerpräsidentin Hannelore Kraft als Zeugin geladen.

Unterdessen hat die Task Force des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag ihren geheimen Bericht zum Fall Amri fertiggestellt. Wie der rbb berichtet, kritisiert die Task Force das Verfahren zur Bewertung von islamistischen Gefährdern im GTAZ und die Einbindung der Nachrichtendienste bei den Ermittlungen gegen Amri als unzureichend. Das Gremium fordert zudem eine stärkere Einbindung von Justiz- und Ausländerbehörden, um Gefährder konsequenter abzuschieben.

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4 Kommentare

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  • Nein, liebe Leute, so geht das nicht. Es ist doch undenkbar, dass jemand wie Amri nachweisbar mit verschiedenen Identitäten hantiert, eindeutigen Leistungsbetrug begeht und zudem als möglicher Gefährder eingestuft wird - gleichzeitig aber argumentiert wird, die bekannten Sachverhalten reichten für eine Inhaftierung nicht aus.

    Man muss kein AfD-Fan sein, um festzustellen, dass wir solche ausländischen Straftäter hier nicht frei herumlaufen lassen dürfen. Das gilt insbesondere dann, wenn diese ihre Identität verschleiern, um eine Ausweisung und Rückführung zu vermeiden. Dass es bei dem Einen oder Anderen von ihnen schlussendlich zu Kurzschlussaktionen kommt, wenn dann der Asylantrag abgelehnt ist und eine Abschiebung tatsächlich bevorsteht, kann auch verstehen, wer nicht gerade Tiefenpsychologe ist.

    Wenn unsere Rechtssprechung das wirklich nicht anders hinbekommt, dann muss an dieser Stelle die Rechtslage geändert werden. Um diesen Schluss zu ziehen, ist nun wirklich keine rechte Position erforderlich. Man muss einfach akzeptieren, dass auch die Mitglieder unserer Gesellschaft ein Anrecht darauf haben, soweit wie möglich vor solchen Gefährdern geschützt zu werden.

    Vielleicht mal eine Chance für Grüne und Linke, ihre Positionen zu prüfen? Die Wähler würden's sicher danken...

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Gefährder" abzuschieben, das ist doch eine Schnapsidee.

    Was machen die wohl, wenn sie wieder in ihrem Herkunftsland sind?

     

    Da sind doch deutsche Menschen wichtiger als tunesische Menschen und das nur wegen ihrer Nationalität und wegen nichts anderem.

    Hier geht es nur darum, mit Nationalismus Punkte zu machen und sich gleichzeitig aus der politischen Verantwortung für die weiteren Taten des "Gefährders" zu stehlen.

     

    Zur Vermeidung von Terroranschlägen ist es das beste, wenn sich in den Herkunftsländern der Terroristen stabile politische, demokratische Zustände bilden.

    So genannte "Gefährder" gefährden nach ihrer Deportation diesen Prozess immens, viel mehr als sie die europäischen Demokratien jemals gefährden könnten.

    Sie finden viel einfacher Gleichgesinnte, entziehen sich staatlicher Überwachung und sozialen Maßnahmen und haben in dysfunktionalen Staaten wesentlich mehr Handlungsspielräume als in Europa, wo die territoriale Herrschaft (fast) komplett ist und Staat, Polizei und Geheimdienste im Prinzip funktionieren.

     

    Besteht in Europa die Chance zur Deradikalisierung durch soziale Maßnahmen, so ist der Kurs im Falle einer Deportation steil auf Eskalation gestellt.

    Da das alles sehr einfach vorhersehbar, deswegen bezweifle ich aufrichtig, dass es den Herrschaften (und Damenschaften) ernsthaft um die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus geht und sie auch nicht wirklich die deutsche Bevölkerung schützen wollen.

     

    Leider sind viele Intellektuelle wohl zu feige, um das laut auszusprechen, denn dann stünden sie fast alleine da im rauen Wind der kapitalistischen Medienwirtschaft.

     

    Da wird Angst gesäht, manchmal unabsichtlich, meistens aber ganz bewußt, um ein soziales Machtdispositum zu schaffen, ein Instrument, das Politikern aller Couleur zum Machtgewinn und -erhalt und zur Verfolgung ihrer politischen Feinde zur Verfügung steht - das ist das Angstgefühl vor dem Terror, von dem viele sagen, das "wir" es hätten.

     

    Wenn das mal nicht Terror ist?

  • "…urkhard Schnieder, Abteilungsleiter für Ausländerangelegenheiten im NRW-Innenministerium, sagte, es habe sich dabei nur um eine informelle „Tischvorlage“ an die Sicherheitskonferenz gehandelt. Das LKA habe Argumente zur Vorprüfung zusammengetragen, die eine Abschiebung Amris möglicherweise gerichtsfest gemacht hätten.…"

     

    Sorry - ne dümmere Ausrede ist ja wohl kaum denkbar.

    Dieses Sesselpuperverhalten & nachträgliches Salvieren der eigenen

    Ignoranz - erinnert fatal an den "Bereichsbullen" im Fall Schleyer -

    Der vor der Wohnungstür im fraglichen Hochhaus in Bergheim-Liblar gestanden hatte (Klein auf der anderen Seite der Tür!) &

    Der Höheren Orts beschieden wurde -

    Mal nicht so einen Wind zu machen!

    Da wollte auch nachträglich niemand "den Kopp für hinhalten!"

    kurz - Was bitte hat denn eine avisierte Ausweisung - mit der ernsthaften Warnung vor einem möglichen Anschlag von polizeilichen Profis zu tun?!

    Schlicht - Rad ab!

  • Die Tatsache der KENNTNIS von dieser LKA-Warnung sollte zum Anlass genommen werden, das Land NRW auf Schadenersatz und Schmerzensgeld zu verklagen. Am besten alle Betroffenen tun sich zumammen und nehmen sich einen FÄHIGEN Anwalt um ihre Rechte durchzusetzen. Das wäre das richtige Signal.