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Untersuchungsausschuss Friesenhof„Nicht gut aufgehoben gefühlt“

Die Kieler Heimaufsicht ließ sich von einem Anwalt des Heims einschüchtern. Das wurde bei der Zeugenaussage eines Sachbearbeiters deutlich.

Geschlossen – aber viel zu spät: Friesenhof-Heim in Hedwigenkoog. Foto: Carsten Rehder/dpa

KIEL taz | Er war gerade mal drei Wochen im Dienst, da bekam Mark Westermann, Sozialarbeiter und Mitarbeiter der Heimaufsicht in Kiel, im November 2013 den Fall der Friesenhof Mädchenheime auf den Schreibtisch. Sofort sei er hingefahren und habe mit einer Kollegin eine „örtliche Prüfung“ gemacht, berichtete er am Montag als Zeuge vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die Beschwerden gingen von fehlender Privatsphäre der untergebrachten Mädchen bis hin zu Strafsport und Provokation der Kinder im Rahmen der Konfrontativen Pädagogik. Er habe seinerzeit eine „Kindeswohlgefährdung“ nicht festgestellt, sagte der 50-jährige Zeuge, wohl aber „Rückschlüsse auf konzeptionelle Schwächen“ gezogen.

Darüber wollte er mit dem Träger reden. Doch schon bald schaltete Betreiberin Barbara Janssen den Fachanwalt Rüdiger Meier aus Hamburg ein. Damit war, so Westermann „die rechtliche Ebene erreicht“. Er konnte nicht mehr „mit dem Träger direkt kommunizieren“.

Missstände 2011 erkannt

Im Juni 2015 wurden die Friesenhof-Heime in Dithmarschen geschlossen. Zu spät, meint die Opposition. Dabei ging das sechsköpfige Team der Kieler Heimaufsicht schon seit Ende 2011 und „insbesondere ab Oktober 2013 davon aus, dass es sich nicht mehr um Beschwerden der ‚üblichen Art‘, sondern um massives Fehlverhalten diverser Mitarbeiter/innen handelt, dies wahrscheinlich durch die Leitungsebene der Einrichtung verstärkt, aber zumindest gebilligt wurde“. So steht es in einem Vermerk vom 22. Juni 2015, den der Zeuge mit unterschrieben hatte.

Doch die juristische Einschätzung von Westermanns Vorgesetzter, der Referatsleiterin Sabine Toffolo, war, dass eine rasche Schließung vor Gericht keinen Bestand hätte. Die Korrespondenz mit dem Anwalt aus Hamburg hatte offenbar tiefen Eindruck hinterlassen.

Westermann las zu Beginn seiner Aussage einen Text vor, in dem er schilderte, dass viele Mädchen die straffe Struktur „auch als Chance“ gesehen hätten. Viele Beschwerden ließen sich weder zeitlich noch inhaltlich bestimmen und seien „teilweise widerlegt“. Zwar habe sich bestätigt, dass sich „die Kinder dort in dem konzeptionellen Rahmen nicht gut aufgehoben gefühlt haben“. Auch Meldungen des ehemaligen Mitarbeiters H., der sich 16-mal an die Heimaufsicht wandte, weil die Kinder provoziert wurden und stundenlang sitzen mussten, hätten sich bestätigt.

Auf die Frage, welche Vorwürfe widerlegt worden seien, antwortete Westermann nur zögerlich. Schließlich räumte er ein, Freiheitsentziehende Maßnahmen, Kontaktsperren und das körperliche Durchsuchen bei der Aufnahme hätten zwar stattgefunden. Die Maßnahmen hätten sich aber durch die Auskunft von Anwalt Meier „relativiert“, sie seien „mit den zuständigen Jugendämtern der Kinder so vereinbart worden“. Diese Dinge seien „als Notlösung angesehen worden, was die Klientel angeht“.

Warten auf Partizipation

Kritisch gesehen habe die Heimaufsicht die Anwendung der Konfrontativen Pädagogik. Dies sei zwar eine „anerkannte pädagogische Methode“, bei der ein Pädagoge ein Kind, das verbale Mittel einsetzt, „mit gleichen Mitteln konfrontiert“. Doch die Art und Weise, wie die Konfrontative Pädagogik im Friesenhof eingesetzt wurde, habe die Heimaufsicht „als nicht gut angesehen“, so Westermann

Auch die Frage der Partizipation und der Beschwerdemöglichkeiten der Kinder – seit 2012 gesetzlich vorgeschrieben – fand der Heim-Kontrolleur im Friesenhof nicht gut gelöst. Die Kinder sollten einen „Bürgermeister“ wählen, der ihre Beschwerden in der Dienstbesprechung vorträgt. Das fand Westermann zu wenig demokratisch. Die Heimchefin habe ihm versprochen, sie werde eine neue Konzeption erstellen. „Darauf habe ich ziemlich lange gewartet.“

Fachkräftemangel im Heim

Unübersehbar war, dass dem Friesenhof Fachkräfte fehlten. Die Ausschussvorsitzende Barbara Ostmeier (CDU) hielt dem Zeugen sieben Schreiben vor, von Oktober 2013 bis März 2015 datiert, in denen er die Nicht-Einhaltung der Fachkräftequote beim Friesenhof angemahnt hatte. Das kann ein Anlass sein, Heime zu schließen. Doch Anwalt Meier habe argumentiert, eine Fachkräfte-Quote gebe es rechtlich gar nicht.

Dennoch vereinbarte Westermann mit dem Träger, zumindest die Einrichtungen „Birkenhof“ und „Elbenhof“ zu schließen. Ende 2014 schrieb er in einem Vermerk, er habe das Gefühl, der Friesenhof sei nicht mehr in der Lage, eine positive Änderung herbeizuführen. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie Schleswig waren Mädchen gelandet, die sich selbst verletzt hatten, um aus dem Friesenhof herauszukommen.

Die Heimaufsicht erließ eine umfangreiche Auflagenverfügung. „Irgendwann“, sagt der Zeuge, der allein für 210 Jugendheime zuständig war und nach eigener Aussage nicht mal die Zeit fand, die Friesenhof-Akten seines Vorgängers zu lesen, müsste man „einen Schlussstrich ziehen“.

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2 Kommentare

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  • Dass im Friesenhof – und nicht nur da – ein Fachkräftemangel geherrscht hat, glaube ich auch. Die taz hätte den zuständigen Amts-Mitarbeiter sonst nicht mit der Aussage zitieren können, die Konfrontativen Pädagogik sei eine "anerkannte pädagogische Methode", bei der ein Pädagoge ein Kind, das verbale Mittel einsetzt, "mit gleichen Mitteln konfrontiert".

     

    Konfrontative Pädagogik ist nicht das, was der (einschlägig vorbelastete) Laie sich drunter vorstellt. Es geht dabei keineswegs darum, aggressive Kindern aggressiv zu begegnen. Das wäre schon insofern Unsinn, als sich Kinder ihre eventuellen Unarten ja grade erst bei den Erwachsenen abgeschaut haben, ohne dabei zu kapieren, dass es Unarten sind. Das Konzept beruht vielmehr auf der Idee, aggressive Kind möglichst in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang (quasi sofort, umgehend) mit der Tatsache zu konfrontieren, dass ihr Verhalten falsch war – und ihnen vernünftige Alternativen aufzuzeigen, so lange sie noch emotional involviert sind.

     

    Was die "Erwachsenen" in diesem Trauerspiel angeht, so ist zu sagen: "Massives Fehlverhalten" entsteht in allen Hierarchien (Heimen, Ämtern, Gerichten etc.) auf die immer gleiche Art. Die sogenannte Führungskraft reagiert so lange falsch oder gar nicht auf die Fehler unqualifizierter Mitarbeiter und unfähiger Vorgesetzter, bis alle davon ausgehen, die Sache sei in Ordnung, weil man sie ja schließlich "immer schon so gemacht" hat.

     

    Dieser Anwalt, seine zahlende Klientin und die Heimaufsichts-Chefin sind womöglich auch Opfer einer falsch verstandenen Konfrontations-Pädagogik. Vielleicht haben in ihren Familien ähnlich schlimme Zustände geherrscht, wie in diesem "Heim". Statt sich allerdings selbst zu verletzen, haben die "Führer" ihre Schutzbefohlenen gequält. Es gab wohl keine Jugendpsychiatrie, die rechtzeitig eine "positive Änderung" hätte herbeiführen können – und die vorhandenen Selbstheilungskräfte haben einfach nicht gereicht.

  • Argumentieren kann man bei so etwas endlos. Der Extrakt der Sache ist aber (wie bei vielen anderen Problem auch), daß es sich lediglich um eine Strategie handelt, bestehende Mißstände nach Möglichkeit so zu zerreden, daß am Ende niemand mehr durchblickt und in der Folge möglichst lange alles so bleibt, wie es war.